Interview

Cat Power spricht über Bob Dylan und ihr Konzert in der Royal Albert Hall

Ende 2022 spielte Cat Power in der ehrwürdigen Royal Albert Hall in London ein komplettes Konzert von Bob Dylan aus dem Jahr 1966 nach. Ein Konzert, das zum Scheideweg wurde und mit dem der damals 25-jährige Dylan eine Lawine des Unmuts auslöste. Die Fans rasteten aus und warfen ihm Verrat vor. Grund dafür war die Elektrifizierung seiner Protest-Folk-Songs. Ein Gespräch mit Chan Marshall alias Cat Power anlässlich der Veröffentlichung von „Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert“. Wir sprachen mit ihr über ihre musikalischen Wurzeln, den „Judas“-Ruf und eine Welt ohne Bob Dylan.

Cat Power singt Bob Dylan. Foto: Inez & Vinoodh
Cat Power singt Bob Dylan in der Royal Albert Hall. Foto: Inez & Vinoodh

Cat Power, eigentlich Charlyn Marie „Chan“ Marshall, gehört zu den eindrucksvollsten und einflussreichsten Singer-Songwriterinnen ihrer Generation. Die 1972 geborene US-Amerikanerin hat mit Alben wie „Moon Pix“, „The Greates“ und „Wanderer“ ein Werk zwischen zartem Folk und opulenten Arrangements geschaffen. Immer wieder nahm sie auch Coversongs auf und zollte mit ihren eigenwilligen Interpretationen Ikonen wie den Rolling Stones, Mae West oder The Velvet Underground Tribut.

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Cat Power: „Ich sagte ja, aber ich werde nur Dylan-Songs singen!“

tipBerlin Cat Power, Musikjournalisten stellen Ihnen wahrscheinlich immer die gleichen Fragen zur Neuaufnahme des Bob-Dylan-Konzerts von 1966. Sind Sie etwas gelangweilt?

Cat Power Mal sehen, wie Du Dich anstellst!

tipBerlin Wieso haben Sie also dieses Konzert nachgespielt?

Cat Power Aus irgendeinem Grund konnte ich keinen Konzerttermin in England bekommen, dabei hatte ich fünf Singles auf BBC6, was ein großartiger Sender ist. Dann habe ich doch einen Anruf bekommen und wurde gefragt, ob ich am 5. November 2022 in der Royal Alber Hall spielen könne. An Guy Fawkes Day! Ich sagte ja, aber ich werde nur Dylan-Songs singen. Dann erstarrte ich kurz und dachte, Dylan-Songs am Guy Fawkes Day, was mache ich da überhaupt? (In England wird an diesem Tag mit großen Feuern an den misslungenen Sprengstoffanschlag aus dem Jahr 1605 erinnert. Damals plante eine Gruppe Verschwörer, angeführt von Guy Fawkes, einen Bombenanschlag auf das Londoner Parlamentsgebäude.)

tipBerlin Eine Erinnerung an Dylan an einem Tag, an dem die Engländer sich ohnehin an die Vergangenheit erinnern?

Cat Power Vielleicht ergab es aber genau deswegen Sinn, Dylans 1966er Konzerte in Manchester und London an eben diesem Tag an diesem Ort, wo Dylan selbst gespielt hat, wieder in Erinnerung zu rufen. Es war eine spontane Idee, die am Telefon entstand.

tipBerlin Songs von Bob Dylan begleiten Sie schon lange, ihr ersten Cover erschien noch in den 1990er-Jahren. Wie wichtig ist er für Sie?

Cat Power Weil ich nun mal in den USA aufgewachsen bin, lief im Radio meist amerikanische Musik. Alles von Little Richard bis Donna Summer, Allman Brothers, Mothers Finest, Sister Sledge, Patti Labelle. Das alles eben. Ich kannte die Songs, die Bands, die Hits. Es gab immer Musik, später die Partys, die DJs. Aber Dylan war anders, wenn seine Songs liefen, schien die Zeit still zu stehen. Er war der geheimnisvolle Mann mit seiner rätselhaften Musik. Bei ihm musste ich mich immer fragen, worum es ihm zum Teufel geht, dass musste ich bei anderen Sängern nicht. Alles war verschwommen in der Zeit, aber bei ihm gab es kritisches Denken, es gab diese bestimmte Aufmerksamkeit.

Cat Power: „Und dann sah ich Dylan in ‚Don’t Look Back‘ und er war eine echte Person“

tipBerlin Deshalb sind Sie selbst Musikerin geworden?

Cat Power Ich weiß nicht, ob er mich insofern beeinflusst hat, selbst Musik zu machen. Von Dylans „Royal Albert Hall“-Konzert habe ich erst gehört, als die Platte herauskam (1998 Anm. d. Red.). Mit 19 sah ich aber D.A. Pennebakers Dokumentarfilm „Don’t Look Back“ über Dylans Tour in England 1965 und ich hörte „To Ramona“ und wusste, das ist es! Das war ein Wendepunkt. In der Zeit stand ich auf die Cramps und G.G. Allin und ich will nicht sagen, dass sie es nicht gebracht haben, aber als ich diesen Song von Dylan hörte, da begann es ein Herzensding zu werden.

tipBerlin Sie haben sich in Dylan verliebt?

Cat Power Ich habe mich nicht in Bob verliebt, aber ich dachte, wow, ich habe noch nie einen Mann in dieser Art für eine Frau singen gehört. Es existierte früher eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein Mann zu sein hat. Ein Klischee, geprägt von Hollywoodstars wie Gregory Peck, James Dean, Sidney Poitier und dann sah ich Dylan in „Don’t Look Back“ und er war eine echte Person. Er war lustig, charismatisch, ein Schnösel auch, und so jung. Er rauchte, liebte Poesie, rannte rum in diesen coolen Klamotten. Patti Smith sagte mir einmal, Dylan ihr Boyfriend, also nicht wirklich, aber es würde sich für sie so anfühlen und ich dachte, lass mal gut sein, er gehört mir!

Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert

tipBerlin Was haben Sie gefühlt, als Sie 2022 auf der Bühne der Royal Albert Hall standen?

Cat Power Verdammt noch mal, ich mach das jetzt! Ich stand unter Schock, meine linke Körperhälfte begann zu zittern, das passiert mir einmal im Jahr. Dann musste ich einen Song wiederholen, was ich nicht mag und was mich verunsichert. Es war so dunkel um mich herum, ich konnte höchstens ein paar Meter weit sehen. Dann suchte ich einen bestimmten Freund im Publikum, ich dachte, er würde in der ersten Reihe sitzen, aber da war er nicht. Mein Freund saß in der zweiten Reihe, ihn zu sehen half mir. Dann merkte ich, dass der Stuhl in der Mitte der vordersten Reihe leer war, ich dachte, es wäre poetisch, wenn er leer bliebe. Dann kam aber dieser Mann doch rein und ging während der Show zweimal raus. Als ich angelächelt habe, schnitt er eine Grimasse. Vielleicht war er da, um mich auseinanderzunehmen.

tipBerlin Gab es, gut 50 Jahre nach Dylans Konzert, eine historische Dimension, der Sie sich bewusst waren?

Cat Power Nein, das überhaupt nicht. Mein Auftritt war ein Moment im Leben und die Freude, dass ich das überhaupt tun durfte, war gewaltig und dann war ich auch froh, gut weggekommen zu sein.

Cat Power: „Ich fragte Courtney Love, ob sie zum Konzert kommen würde, um das Judas-Ding zu machen“

tipBerlin Während Dylans Konzert rief jemand „Judas“. Dylan, der nun elektrisch spielte galt innerhalb der dogmatischen Folkszene als Verräter. Auch während Ihrer Show rief jemand „Judas“. War es inszeniert?

Cat Power Ich fragte ursprünglich Courtney Love, mit der ich mich während der Pandemie angefreundet habe, ob sie zum Konzert kommen würde, um das Judas-Ding zu machen. Ich dachte, das wäre eine gute Idee, sie lebt in London und ist eine amerikanische Zeitgeistfigur. Sie wollte aber nicht, weil sie gerade nüchtern ist und nicht ausgeht. Ich fragte, ob sie nur kurz vorbeikommen würde, um „Jesus“ reinzurufen. Sie fand das gut, tauchte aber nie auf. Aber ich wusste, dass irgendjemand „Judas“ rufen würde und so kam es auch und ich konterte es mit „Jesus“.

tipBerlin Warum „Jesus“, haben sich die Rollen vom Verräter zum Propheten vertauscht?

Cat Power Ich weiß es nicht genau, aber ich fand es richtig, diesen Ruf in einen positiven Kontext zu stellen.

tipBerlin Dylans Konzert wurde dadurch berühmt, dass es eine Grenzüberschreitung war. Von der politischen und akustischen Folkszene zur elektrifizierten Rock-Ära, die damit gewissermaßen begann. Glauben Sie, dass solche ästhetischen Wendungen eines einzelnen Musikers oder Musikerin in unserer Zeit einen Skandal auslösen können, oder haben wir schon alles gesehen und gehört?

Cat Power Ich denke, dass es immer noch Empörung gibt. Im Hip-Hop etwa. So jemand wie Kanye West bekam viel Unmut zu spüren für seine politischen Aussagen. Oder die East-Coast/West-Coast-Sache, die sich auch hochschaukelte. Aber vieles davon ist sehr auf bestimmte Szenen beschränkt und die Leute interessieren sich für ihre Nische und die anderen Dinge, die so passieren sind dann egal. Aber wer weiß, vielleicht sind ja doch Fans von Chris Stapleton auch gleichzeitig Fans von Rihanna. Vielleicht sind auch die jüngeren Leute ohnehin offener gegenüber verschiedenen Genres.

tipBerlin Sie haben Bob Dylan zweimal getroffen, aber er hat wahrscheinlich nicht auf Ihr Konzert reagiert, oder?

Cat Power Richtig, wir haben uns zweimal getroffen, das dritte Mal habe ich ihn verpasst und es gab dann noch ein viertes Mal, aber das war sehr flüchtig. Und ja, es gab eine Reaktion, indirekt, so verstehe ich das. Als ich das Konzert bekannt gab, sagte er, er würde in England auf Tour gehen. Kürzlich spielte er bei Farm Aid „Ballad of a Thin Man“, den Song, den er auch 1966 spielte. Das sind Reaktionen. Was immer es ist.

tipBerlin Dylan ist 82 Jahre alt und immer noch da und sehr lebendig, aber jeder ist sterblich. Können Sie sich eine Welt ohne Bob Dylan vorstellen?

Cat Power Nein.

Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert
  • Cat Power Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert, erscheint am 10.11. auf Domino Records

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