Musik

Die 12 besten Berliner Platten 2021: Von DJ Supermarkt bis Shirin David

Die besten Berliner Platten 2021 werden bleiben und begeistern, wenn das elendige Jahr an sich schon längst vergessen ist. Da ist sich unsere Jury sicher. Egal ob Queer-Queen, Supergroup, politischer Proll oder Schmuse-Champion: Hier sind die diesjährigen Lieblingsalben aus der Hauptstadt, gewählt und besprochen von unserer Musikredaktion.


1. Besten Berliner Platten 2021: „Badmómz.“ von Badmómzjay (Vertigo Berlin/Universal) 

Rap Deutschrap ist 2021 deutlich weiblicher geworden. Endlich! Und obwohl eine ganze Reihe deutscher Rapperinnen hochkarätige Releases veröffentlicht haben, sticht eine ganz besonders hervor. Keine andere rappt so selbstverständlich. Keine andere wirkt so authentisch. Keine andere ist so Rap wie Badmómzjay.

Auf ihrem Debütalbum verflechtet sie klassische Hiphop-Flows mit radiotauglichen Refrains, Trauerverarbeitung mit stürmischer Nichts-kann-mir-irgendwas-Mentalität. Popstarlevel. Immer wieder verweist sie in ihren Songs auf ihr Frausein und auf ihre Bisexualität, dreht Macker-Deutschrap-Lines spielerisch um und führt sie somit ad absurdum.

Dass 2021 ihr Jahr werden würde, war bereits im Januar klar, als sie mit dem Steglitzer Kasimir1441 die Hit-Single „Ohne Dich“ veröffentlichte, die vier Wochen auf Platz 1 der deutschen Charts stand. Dass damit am Anfang die Kollaboration mit einem Rapper stand, der in seinen Videos gerne neben kaum bekleideten Frauen posiert und öfter mit sexistischen Lines auffällt, scheint wohl eine der vielen Ambivalenzen zu sein, die Badmómzjay so spannend machen. (Benedikt Kendler)


2. „Yacht Soul – The Cover Versions“ von DJ Supermarkt (How Do You Are?/Rough Trade)

Disco-Soul Seit 2014 gibt’s die „Too Slow To Disco“-Partys von Marcus Liesenfeld alias DJ Supermarkt, samt gleichnamiger Compilation-Reihe mit Yacht-Rock, der lange verschmähten, etwas gechillteren, weil kalifornischen Variante von Disco aus den späten Siebzigern. Auf der neuesten Episode der Reihe werden solche Songs wiederum gecovert von Soul-Acts um 1980 herum; darunter Aretha Franklin und auch Quincy Jones.

Die Compilation „Yacht Soul – The Cover Versions“ wurde international beachtet und gefeiert. Zurecht! Der Berliner DJ hatte sowieso früh einen Riecher für das Revival von Yachtrock, noch bevor Leute wie Thundercat, Foxygen und HAIM ihn wieder riesig machten. (Stefan Hochgesand)


3. „The Sticky Fingers“ von Albertine Sarges (Moshi Moshi Records/Rough Trade)

Hero-Pop Ach, wäre der Autor gerne in den Achtzigern dabei gewesen, als Bands wie die Talking Heads oder the B-52s neue Popdimensionen erkundeten. Verspielt, experimentell, punkig, abgedreht aber trotzdem eingängig und verdammt funky-tanzbar. Die Kreuzbergerin Albertine Sarges kramt in der Plattenkiste und überträgt den Spirit in die Neuzeit — nicht langweilig nostalgisch, sondern generalüberholt und aufpoliert.

Entstanden ist hierbei ein unfassbar vielschichtiges Album, in dem Eigeninterpretationen von Byrne, Nicks, Pierson und anderen Heroes wie selbstverständlich aufeinandertreffen. Dazu gibt es Power-Feminismus — Sarges rezitiert etwa eine Sara-Ahmed-Passage — oder mimt im Abschlusssong das Riot Grrrl. (Lennart Koch)


4. „Woanders“ von Masha Qrella (Staatsakt/Bertus) 

Lyrik-Pop Wenn aus der Tiefe des Raums die verhallten Klänge aufsteigen, dann hört man nicht nur die Texte von Thomas Brasch, sondern spürt die Verlorenheit des ausgebürgerten, dissidenten Dichterstars, der in der DDR nie zuhause war und in der BRD nie heimisch wurde. Masha Qrella hat die Brasch-Texte nicht nur zu kongenialen Popsongs geformt, sondern sie sich zu eigen gemacht und als Vehikel benutzt, die Geschichte der eigenen Post-Mauerfall-Generation aufzuarbeiten und Worte zu finden, für ihre lange verdrängte ostdeutsche Identität. (Thomas Winkler)


5. „Lonely Guest“ von Lonely Guest (False Idols/!K7)

Kollektiv-Kunst Der britisch-berlinische Soundvisionär Tricky hat in einem Nebenprojekt namens Lonely Guest mit Leuten wie Idles-Sänger Joe Talbot, dem dieses Jahr verstorbenen Dub-Genie Lee Scratch Perry und der dänischen Elektropopperin Oh Land ein atmosphärisches Werk geschaffen. Die Klanglandschaften liefern den perfekten Rahmen für die grandiosen Feature-Gäste. Trickys Soundkunst verbindet die Songs zu einem stimmigen Album, das Trip-Hop, Rap, Soul und Punk vereint. So darf gesungen, gerappt, genuschelt, gehaucht, musikalisch herumgespukt werden — und trotzdem passt alles zusammen. (Lennart Koch)


6. „Auf der Suche“ von Nura (Universal)

Rap Während ihre frühere SXTN-Kollegin Juju zwar einige Charterfolge, aber auch ein Feature mit Aluhut Xavier Naidoo auf dem Kerbholz hat, ist Nura das gute politische Gewissen des Deutschrap geworden. Diese Rolle füllt sie auf ihrem großartigen Album „Auf der Suche“ aus, ohne ins moralinsaure Dozieren zu kommen. Gleich der garstig herumprollende Opener „Fotze wieder da“ verweist auf den fast gleichnamigen Song von SXTN, und das aus gutem Grund: Es wird noch immer so heftig geflucht und geklotzt, dass die (männliche) Konkurrenz die Betonköpfe einzieht. Aber eben: nicht nur. Nuras Texte sind, bei aller Straßen-Härte, solidarisch und antifaschistisch – dazu mal grell, mal entspannt gekleidet in Trap-beeinflussten Rap auf hohem Niveau. (Julia Lorenz)


7. „Water“ von Lotic (Houndstooth)

Electronica Der Deconstructed-Club-Sound, den Lotic einst miterfand und für den sie stand, ist mittlerweile von den Janus-Partys (auch in der Berghain-Säule) in den Pop-Mainstream gewandert, bis hin zu Kanye West und Beyoncé. So gesehen lässt sich der popkulturelle Einfluss von Lotic sowieso kaum überschätzen. Laut Björk (und wer würde ihr widersprechen?) ist Lotic ohnehin eine der aufregendsten DJs der Welt.

Mit dem neuen Album „Water“ ist Lotic, eine trans woman of color, in ihrem Element, dem Wasser angekommen; schließlich meinte lotisch immer schon: dem Wasser verbunden. In ihren Vocals lässt Lotic Verletzlichkeit zu, über dräuenden Streichern, scharfen Rasseln, fragilen Harfen und prächtigen Bläsern. Lotic hat den Pop transformiert – und sich selbst gleich mit. (Stefan Hochgesand)


8. „Bitches brauchen Rap“ von Shirin David (Universal)

Rap Als Youtube-Königin über DSDS in die Charts: Shirin David hat vorgezeichnet, wie eine Medienkarriere für die Social-Media-Generation funktioniert. Auf dem ersten Album ein bisschen R’n’B, ein Skandal hier, ein Shitstorm da; die Aufmerksamkeitsspirale dreht sich schon von selbst. Eigentlich hätte Shirin David an der Konstellation nichts verändern müssen – aber die Rapperin wollte mehr. In Kollaboration mit Hiphop-Veteran Laas Unltd. entstand ein Album mit Kampfeshymnen für Feminist:innen im Werden mit Zeilen wie „Boys werden nicht ma’ boykottiert, sind sie Frauenschläger“. Unangefochtener Höhepunkt des Albums ist aber das letzte Stück, „Bramfeld Storys“: 154 Bars lang spittet sie uns ihre Lebensgeschichte entgegen – und setzt einen Meilenstein für deutschen Mainstream-Rap. (Aida Baghernejad)


9. „Exit Strategy“ von Drangsal (Virgin/Universal)

Intello-Schlager Der einst größte Pöbler in Berlin blättert uns sein großes Poesiealbum auf: „Exit Strategy“ sind in Gassenhauer gegossene Depressionen – das macht schon der fulminante Doppel-Opener „Escape Fantasy“ / „Exit Strategy“ klar. Falls das wirklich noch Schlager ist, dann ist Drangsal der beschlagenste Schlagersänger des Landes – lyrisch with a little help from Tocotronic’s Dirk von Lowtzow. Mit „Mädchen sind die schönsten Jungs“ singt der (inzwischen selbstbewusst bisexuelle) Max Gruber zudem eine herzzerreißende Mutmachhymne für Menschen jenseits der Cisgender-Norm. Drangsal = dringlich. Fehlt nur noch, dass der NDR ihn endlich mal zum Eurovision Song Contest schickt. Denn wenn die Koks-Italiener von Måneskin dort gewinnen, kann unser Drangsal das auch – und uns den ESC-Pokal nach Berlin holen. 2022? (Stefan Hochgesand)


10. „Mieses Leben“ von Haiyti (Hayati Musik/Universal Urban)

Rap Seit Jahren prophezeit die Expertise den großen Durchbruch für die rappende Wahlberlinerin. Wenn Haiyti hemmungslose Flows ins Mikro feuert, ihren aggressiven Sprechgesang an den Grenzen der Stimmbänder kratzen lässt, mal eben den gesamten Gangsta-Rap auf die Schippe nimmt und mit den brutal scheppernden Beats verschmilzt, ist echt nicht zu verstehen, warum sie nicht längst die Spitze des deutschen Hip-Hops erreicht hat. Mit Brettern wie „Snob“ und „Freitag“ sollte es nur noch eine Frage der Zeit sein. Vielleicht klappt es im nächsten Jahr. Und wenn nicht, freuen wir uns schon aufs nächste Album – die Ausnahmekünstlerin hat sicherlich noch einige Asse im Ärmel. (Lennart Koch)


11. „So Sweet So Nice“ von John Moods (Mansions and Millions/Cargo)

Soft-Pop Wer sich im Lockdown schon nicht auf DJ Supermarkts Yachtfeten (siehe Platz 2) weichschmusen lassen konnte, kriegte von John Moods zumindest eine Extraportion Schaum in die warme Wanne. Auf seiner LP „So Sweet So Nice“ fährt der Sänger der Psychedelic-Band Fenster von schlankem Softrock bis Synth-Pop viel Zartes und Schwelgerisches auf, um das Versprechen des Albumtitels einzulösen. Wir sind – bei so viel stilsicherem Cheese – natürlich schockverliebt. Wie übrigens auch in einige Label-Kolleg:innen: Mit den Alben von Nalan und Magic Island hat das Neuköllner Label Mansions and Millions noch mehr Jahres-Favoriten im Portfolio. (Julia Lorenz)


12. „Die Gruppe“ von Ja, Panik (Bureau B/Indigo)

Apokalypsen-Pop Ihr sehnsüchtig erwartetes Comeback nach sieben Jahren hatte sich die Berliner Band sicherlich anders vorgestellt. Statt auf einer Bühne landete sie im Lockdown. Wenn dann aber Andreas Spechtl in „The Cure“ einen Doktor anfleht, doch bitte hinausgehen zu dürfen, scheint der Zeitpunkt gerade richtig – obwohl die Lyrics bereits vor der Pandemie entstanden sind. Musikalisch rauscht, dröhnt, quietscht es dystopisch. Die Utopie ihres „Libertatia“-Albums von 2014 scheint gescheitert. Wenn dann jedoch plötzlich ein hymnischer Chor einsetzt, blitzt etwas Hoffnung durch die sperrigen Kompositionen. In diesem Moment erinnert man sich wieder, was man all die Jahre vermisst hat. Trotzdem echt schwere Kost für ein so schweres Jahr. Daher lief das Album vermutlich unter dem Radar von vielen. Zu Unrecht. (Lennart Koch)


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Auch letztes Jahr haben wir schon abgestimmt: Hier sind die besten Berliner Alben 2020: Berghain, Pet Shop Boys und Bumssoundtrack. Er ist eine Legende: David Bowie in Berlin – 12 Dinge, die man wissen sollte. Ihr seid Rap-Fans? Das sind 12 Berliner Rapper, die ihr kennen solltet. Die Berliner Hip-Hop-Geschichte ist lang und spannend: Eine Zeitreise in Bildern durch die Berliner Rap-Historie.

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