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Hype um Italo Disco: Hat Techno ausgedient?

Der Hype um Italo Disco in Berlin wächst immer weiter. Von Palermo-Club bis Panorama Bar, eine neue Party-Generation entdeckt die Italo-Hits der Achtziger neu und eine regelrechte Italomania breitet sich aus. Steckt dahinter vielleicht mehr als Nostalgie und Sommerurlaubsromantik? Hat Techno ausgedient?

Mehr Disco, und manchmal auch mehr Diskurs: Alex Maiorano. Foto: Promo
Mehr Italo Disco, und manchmal auch mehr Diskurs: Alex Maiorano. Foto: Promo

Italo-Party im berühmt-berüchtigten Gay-Afterhourclub Ficken 3000

Es duftet nach Pizza vor dem Baergarten, aus den Boxen klingen House-Beats. Junge Menschen stehen Schlange, manche tragen Beutel mit dem Schriftzug des Neuköllner Amore Store. Maltitz begrüßt einige Leute an der Tür, dann zieht er sich zurück, er wird gleich auflegen. Er trägt ein buntes Hemd und eine Sonnenbrille mit pink getönten Gläsern. Maltitz ist ein DJ-Name, und Maltitz legt nicht nur auf, sondern organisiert auch die Partyreihe „Italo Sundaze“, die einmal im Monat im Garten hinter dem Revier Südost stattfindet.

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Als Chris Knipp (aka Maltitz) 2014 nach Berlin zog, verfiel er ganz klassisch dem Techno. Berghain, all black everything, Klischees bedienen. Das alles änderte sich mit einer Italo-Party im berühmt-berüchtigten Gay-Afterhourclub Ficken 3000. Was die Leute auf der Tanzfläche damals noch irritierte, zieht heute längst ein diverses Publikum: Italo ist hip. Auf der queeren Partyreihe „Cocktail D’Amore“ oder bei der „Italomania“ wird zu Italo-Disco-Schlagern von Sam Ruffillo oder Pino D‘Angiò getanzt, während Peter Fox sich dazu bekennt, ein „Toskana Fanboy“ zu sein – im Duett mit der 85-jährigen Canzone-Legende Adriano Celentano. Das Revival des Italo-Sounds beschränkt sich nicht nur auf den Dancefloor. Doch was ist es, das Berliner Hipster dazu bringt, ein Genre neu zu beleben, das – zumindest im Club-Kontext – lange Zeit nicht unbedingt als cool galt. Ist es die pure Nostalgie? 

Italo Disco: Klavier-Synthie-Sax-Arrangements, sentimentale Popmusik

Das Genre, das in den frühen 1980er Jahren in Italien entstand, lieferte Generationen von Deutschen den Soundtrack zu ihren Urlauben am Mittelmeer. Klavier-Synthie-Sax-Arrangements, sentimentale Popmusik, die rauf und runter in der Strandbar oder der Stammpizzeria daheim läuft. Für manche Kitsch, für viele heute auf eine schräge Weise reizvoll. „Gerade weil die Musik im Kern so uncool ist, ist sie wieder cool“, glaubt Laura Aha, die als DJ Harry Nipples in Berlin Italo Disco auflegt. Für sie steckt darin eine große Aufrichtigkeit, bei der es mehr um ehrliche Freude geht als um Looks, und sie ist sich sicher, dass die Leute auf Italo-Partys die Musik nicht bloß ironisch abfeiern. Aha bedauert, dass sie meist die einzige Frau im Line-up ist: „Italo Disco und House sind leider noch immer männlich dominierte Szenen. Dabei spiegelt sich das in der Crowd nicht wider, die sehr gemischt und auch oft queer ist.“ 

Laura Aha, aka Harry Nipples legt Italo Disco auf. Foto: Lisa Schulz

Nicht alle Italo-Fans tragen Schnurrbart

So entstand auch die Idee zu Lauras DJ-Namen, Harry Nipples: Mit der Erwartung brechen, dass alle Italo-Fans Männer mit Schnurrbart und haariger Brust sind. Die Berliner Italo-Szene ist immer noch recht klein, man kennt sich untereinander, manche Namen fallen immer wieder. Da gibt es Pioniere wie den Produzenten Franz Scala, der mit fast archivarischem Eifer daran arbeitet, die Vielfalt des Genres hervorzuheben und dabei stets dem Erbe italienischer Tanzmusik treu zu bleiben. Auf seinem Label Slow Motion sind italienische Acts von Mailand bis Shanghai vertreten, und in seinen eigenen Sets verbindet er klassischen Italo Disco mit moderneren Sounds, etwa dann, wenn er die Panorama Bar regelmäßig in die „Italorama Bar“ verwandelt. Gleichzeitig sprießen mehr und mehr Italo-Partys aus dem Boden, bei denen „Felicità“ läuft und der Nostalgie-Faktor im Vordergrund steht.

Das Spannende ist dabei gerade, dass es so ein breit gefächertes Genre ist, findet Laura Aha. Italo ist nicht gleich Italo. Für sie geht es darum, alte Klassiker mit neuen Sounds in einen Dialog zu bringen: „Sonst ist es am Ende einfach eine 80er-Jahre-Mottoparty. Das wäre auf Dauer langweilig.“

Techno hat ausgedient: Es lebe Italo Disco!

Einer, der das ähnlich sehen dürfte, ist Mathias Modica. Auf seinem Label Toy Tonics versammelt er aufstrebende Talente neben großen Namen, etwa die Hälfte davon hat italienische Wurzeln wie er. Toy Tonics veranstaltet Partys auf der ganzen Welt, in Paris, Mailand, London – natürlich auch in Berlin, zum Beispiel im Oxi und auch in der Panorama Bar. In Berlin beobachtet er, dass sich ein Trend abzeichnet, der in London oder Amsterdam längst da ist: Techno hat ausgedient. Fast jeder Club stelle sich allmählich darauf ein: weniger bpm, mehr House, mehr Disco.

Glaubt man Modica, so erlebt Techno mit dem aktuellen Hype auf TikTok ein letztes großes Momentum – und hat sich gleichzeitig selbst überholt. „Techno ist gerade ultra Mainstream, die Kids feiern im Internet Raver-Fasching, aber kurz bevor die Dinosaurier ausgestorben sind, waren sie auch am größten“, sagt Modica und lacht. Disco hingegen, das ist Musik für Leute, die einfach eine gute Zeit haben wollen. Eine neue Generation von Feiernden, die mit dem verdrogten Techno nicht viel anfangen kann, hat mit Italo-Partys einen Wohlfühlort für sich entdeckt. 

Dass nicht nur italienische, sondern auch immer mehr deutsche DJs Italo-Sounds auflegen, zeigt seiner Meinung nach, dass italienische Popkultur relevanter wird: „Natürlich spricht die Begeisterung der Deutschen für die Qualität der italienischen Kultur.“ Dahinter verbirgt sich vielleicht auch eine Sehnsucht, die tiefer geht als die Erinnerung an den letzten Mittelmeerurlaub. „Die Italiener haben etwas, das den Deutschen manchmal fehlt: Leidenschaft“, sagt Modica.

Italo-Popper Alex Maiorano: London war zu teuer, also zog er nach Berlin

Die Musik früherer Generationen wieder zu entdecken und neu zu interpretieren, das versucht auch die Italo-Berliner Band Maiorano. Was als Underground-Projekt mit alternativem Sound begann, klingt auf dem letzten Album nach verträumtem Italo-Pop, dabei mischt sich immer wieder Italienisch zwischen die englischen Lyrics. 

Frontsänger Alex Maiorano stammt aus der kleinen Stadt Sulmona in der Nähe von Rom. Dort wurde es ihm zu eng, das Leben in einer großen, internationalen Stadt war verlockend, London war zu teuer, also zog er nach Berlin. Als Jugendlicher konnte er mit der Musik seiner Heimat nichts anfangen, er wollte die amerikanische und britische Musikszene entdecken, italienische Musik kam ihm dagegen einfach wahnsinnig uncool vor. Doch irgendwann tauchte es auf einmal auf, ein neues Interesse für Musik aus Italien, die Songs, die seine Eltern damals hörten. Alex beginnt, alte italienische Disco-Platten zu kaufen, sie inspirieren ihn. 

Nach Italien zurückzugehen, das kann Alex Maiorano sich nicht vorstellen – und das nicht nur, weil er die Musikszene in Berlin aufregender findet. Obwohl er die Sonne und das Essen vermisst, ist Italien für ihn auch ein Land, in dem Homophobie, Korruption und eine rechte Ministerpräsidentin Alltag sind. Gesellschaftliche Aspekte, die für die Deutschen und ihre Romantisierung ihres Lieblingslandes keine große Rolle spielen. 

Italo Disco in Berlin: Viel mehr als Pizza, Pasta und Amore

Mathias Modica sieht es ebenfalls kritisch, dass die Deutschen oft nur italienische Klischees abfeiern. Italien ist schließlich so viel mehr als Pizza, Pasta und Amore. Italien steht für innovatives Design, Mode, Architektur und Filmgeschichte. Zudem übersehen die Deutschen in ihrer Liebe zum italienischen Schlager oft dessen Tiefgang: „Vieles wird einfach als lustige italienische Popmusik abgefeiert, obwohl italienische Popmusik schon immer total politisch und komplex war und nie trivial.“ 

Sei es Politikverdrossenheit oder Techno-Müdigkeit, mit Italo Disco scheint sich in Berlin ein Genre zu etablieren, auf das sich am Ende irgendwie alle einigen können. Das wird vor allem auf den Italo-Partys in den Clubs deutlich, wo Schwarzbekleidete neben Disco-Nerds in bunten Hemden tanzen. Der Spätsommer gibt noch einmal alles an diesem Septembersonntag im Baergarten. Tanzende Gäste prosten sich fröhlich zu, am Nebentisch wird Italienisch gesprochen.

Diese Partyreihen bringen Italo Disco nach Berlin

  • Levant Disco Showcase im Beate Uwe, Schillingstraße 31, Mitte: Freitag, 10.11.23, 22 Uhr, Info hier
  • Pineta im Bulbul Berlin, Skalitzer Straße 114, Kreuzberg, Freitag, 24.11.23, 23 Uhr, Info hier
  • Notte Divina im Arkaoda, Karl-Marx-Platz 16, Neukölln: Samstag, 02.12.23, 22 Uhr, Info hier
  • Italorama Bar im Berghain/Panorama Bar, Am Wriezener Bahnhof, Friedrichshain: in unregelmäßigen Abständen, Info hier
  • Italo Sundaze im Revier Südost, Schnellerstraße 137, Niederschöneweide: in unregelmäßigen Abständen, Info hier
  • Toy Tonics – Italomania: in unregelmäßigen Abständen, Info hier

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