Interview

Franco Francucci: Ein Gespräch über italienisches Lebensgefühl

Sein Vater hat die Pizza nach Berlin gebracht, Franco Francucci das toskanische Chianina-Rind. Ein Gespräch über die italienische Küche und das Berliner Lebensgefühl.

Franco Francucci kocht wunderbar italienisch. Foto: Clemens Niedenthal

Karierte Tischdecken und die perfekte Pizza: Italien in Berlin gibt’s bei Franco Francucci

Will man von der Geschichte und genauso der Gegenwart italienischer Küche in Berlin erzählen, kommt man an den Francuccis nicht vorbei. Der Vater, Franco Francucci, brachte 1962 die Pizza nach Berlin. Und etablierte später mit dem Ciao Ciao neben der Schaubühne ein Stammlokal der West-Berliner Hautevolee.

Sein Sohn, Franco Francucci jr., ist, obwohl erst in seinen frühen 50ern, seit 27 Jahren
Gastgeber im Francucci auf der anderen Seite des Adenauerplatzes. Und, ja, ein klassischer Generationenkonflikt tobte da durchaus über den Ku’damm, weswegen der Sohn dem Vater seit 1996 also familieninterne Konkurrenz machen sollte. Längst sind die Wogen geglättet.

Und auch der alte Westen hat die Katerstimmung der Nachwendejahre hinter sich gelassen. Anlässlich des sehr italienischen tipBerlin Food Festivals vom 2. bis zum 8. Oktober haben wir uns bei einer trockengereiften Bistecca vom toskanischen Chianina-Rind über karierte Tischdecken, Charlottenburg und die perfekt belegte Pizza unterhalten.

tipBerlin Franco Francucci, wie war das Lebensgefühl im West-Berlin der 1980er-Jahre?

Franco Francucci Im Grunde genommen großartig. An die Mauer hat man ja nie gedacht, außer man hat sich im Bus mal versehentlich nach Düppel-Süd verirrt. Geld kam immer von irgendwo her, in Westdeutschland waren sie ja dankbar, dass hier überhaupt jemand wohnen wollte. Die Jugend musste nicht zum Bund, konnte danach billig studieren und durchzechte die Nächte im Zwiebelfisch. West-Berlin war damals durchaus diese oft zitierte Insel der Glückseligen.

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Franco Francucci: „Berlin war immer gut zu mir“

tipBerlin Prägte das auch das kulturelle Klima West-Berlins?

Franco Francucci In Berlin war Vielfalt willkommen. Die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, kamen ja auch aus aller Welt. Da waren Russen dabei, Jugoslawen, meine engsten Freunde kamen alle aus der jüdischen Gemeinde. Das war damals viel enger, auch durchmischter als heute, wo man sich zunehmend nur noch in seinen Blasen bewegt.

tipBerlin Ihrem Vater gehörte das legendäre Ciao Ciao auf der anderen Seite des Adenauerplatzes. Er war 1962 an die Spree gekommen. Warum gerade Berlin?

Franco Francucci Mein Vater war Gastarbeiter, so hieß das ja damals, in einer Lederfabrik in Göppingen. Überall hat es gestunken, in der Fabrik, in der Unterkunft. Also war alles besser als das. Er hat gemerkt, dass er gut ankommt, dass er gut mit Menschen kann, deshalb ist er Gastronom geworden. Sein erstes Lokal war 1962 das La Grotta in der Bleibtreustraße. Da gab es meines Wissens auch die allererste Pizza Berlins, auf großen Blechen in kleine Stücke geschnitten und auf Papptellern serviert. In Berlin wurde meinem Vater auf Augenhöhe begegnet. Das kannte er nicht aus der Lederfabrik in Süddeutschland.

tipBerlin Das ist durchaus eine Erzählung, die auch andere Gastronom:innen aus anderen Generationen teilen: Berlin nimmt gute Leute mit guten Ideen herzlich auf.

Franco Francucci Diese Erfahrung möchte ich unbedingt teilen: Berlin war immer gut zu mir.

Franco Francucci: „Ich möchte mit jedem Bissen das gleiche intensive Geschmackserlebnis haben“

tipBerlin Was war die Signature-Pizza Ihres Vaters?

Franco Francucci Die typische West-Berliner Pizza hatte vier Zutaten: Blockwurst, Gouda, Pepperoni und Dosenchampignons. Später wurde immerhin der Gouda durch Mozzarella ersetzt. Ich will
das aber gar nicht verurteilen. Diese Pizza hat genauso ihre Berechtigung, weil sie sich in die Geschmacks-DNA dieser Stadt eingeschrieben hat. Ich hatte sie, zeitgemäß interpretiert, später auch immer auf meiner Karte. Die Leute haben ja eh danach gefragt.

tipBerlin Was mach für Sie eine perfekte Pizza aus?

Franco Francucci Es muss nicht per se eine Pizza Napoletana sein, auch wenn ich eine gute neapolitanische Pizza durchaus mag, allerdings werden sie zu oft bloß triefend fettig serviert. Wir machen unsere Pizzen ein wenig krosser. Und ich achte darauf, dass alle Zutaten, allenfalls drei oder vier Zutaten, gleichmäßig auf dem Teig verteilt werden. Ich möchte mit jedem Bissen das gleiche intensive Geschmackserlebnis haben.

tipBerlin Mit The Duc Ngo, dem wohl umtriebigsten Charlottenburger Gastronomen, habe ich mich mal über die sogenannten Länderküchen unterhalten. Und darüber, dass man sich die französische oder japanische Küche etwas kosten lässt, vietnamesische oder chinesische Restaurants haben aber billig zu sein. Wo positioniert sich diesbezüglich die italienische Küche?

Franco Francucci Dazu muss man wissen, dass die italienischen Restaurants in West-Berlin um eine gewisse Gediegenheit, sagen wir, bemüht waren. Die haben durchaus mit Anspruch gekocht. Der Trattoria-Stil mit den karierten Tischdecken und Weinflaschen als Kerzenständern kam erst in den 1990er-Jahren auf. Durchgesetzt hat er sich, weil eigentlich alle davon profitiert haben. Ein junges Publikum fand diese Rustikalität cool, für die Wirte hat es sich gerechnet. Außerdem gab es plötzlich kaum noch gut ausgebildete Köche, weil inzwischen auch in Italien angemessene Löhne bezahlt wurden. Man musste sich oft mit ungelerntem Personal arrangieren.

Franco Francucci: „Ich habe begriffen, dass gerade in der Einfachheit der italienischen Küche ihre Genialität liegt“

tipBerlin Es gibt, zumindest in Berlin, noch immer kein italienisches Sternerestaurant. Wäre das denn eine Auszeichnung, die der italienischen Küche gerecht werden würde?

Franco Francucci Ich habe meine Ausbildung zum Koch und Restaurantfachmann hier in Berlin im Hotel Interconti gemacht, das damals, Ende der 1980er-Jahre, absolut für eine feine Küche stand. Dennoch war niemand bereit, die Qualität von gewissen Produkten wertzuschätzen. Dass es unterschiedliche Tomatensorten gibt, hatte dort niemand gehört und wenn ich fürs Personalessen die Kräuter in der Pfanne mitgeschmorrt habe, war selbst der Küchenchef verwirrt. Damals habe ich begriffen, dass gerade in der Einfachheit der italienischen Küche ihre Genialität liegt …

tipBerlin … während die feine Küche hierzulande immer eine verfeinerte Küche sein muss?

Franco Francucci Die italienische Küche hat andere Spitzen, andere Talente, das ist eine ganz andere Werteskala. Ich mag mich da an ein Restaurant in den Außenbezirken von Bologna erinnern. Plastikstühle auf einer schmucklos gefliesten Terrasse, in der Ecke brummt ein Getränkekühlschrank, und dann bekommst du plötzlich die geilsten Cappelletti in Brodo deines Lebens …

tipBerlin … Sie sind also durchaus Freund eines nonchalanten Ambientes?

Franco Francucci Einspruch. Ich bin Fan einer gradlinigen, gerne auch einfachen Küche. Spätestens im Fine Dining finde ich die gegenwärtige Tendenz, auf Tischdecken zu verzichten, aber sogar ausgesprochen fürchterlich. Tischtücher gehören dazu. Und Stoffservietten, unbedingt Stoffservietten.

tipBerlin Dennoch hat das Francucci mit den karierten Tischdecken und dem vielen Holz durchaus rustikalen Charme.

Franco Francucci Der Charlottenburger, die Charlottenburgerin, findet doch ohnehin, dass es in einem  Restaurant niemals schicker sein darf, als bei sich zuhause. 

Franco Francucci: „An den Wochenenden haben sich die Charlottenburger:innen in Mitte umgeguckt“

tipBerlin Wie hat sich Charlottenburg in den vergangenen Jahren verändert?

Franco Francucci In den Nullerjahren wusste man tatsächlich nicht so recht, wo es hingeht. Allmählich haben sich die großen Marken dann für den Ku’damm entschieden und gegen Mitte. Seitdem hat der Alte Westen eine gewisse Renaissance, Charlottenburg wird schicker und schicker – nur der Charlottenburger, die Charlottenburgerin nicht …

tipBerlin War es damals, 1996, nicht geradezu ein Anachronismus, ein neues, bewusst modernes italienisches Restaurant am Ku’damm zu eröfffnen?

Franco Francucci Es war meine Hood, meine Nachbarschaft. Und bis heute habe ich in Berlin immer nur in Charlottenburg gelebt. Glücklicherweise lief das Francucci auch vom ersten Tag an gut. Nur an den Wochenenden nicht – an den Wochenenden haben sich die Charlottenburger:innen in Mitte umgeguckt.

tipBerlin Heute, so hört man, reist man aus Mitte oder dem Prenzlauer Berg wieder an den Ku’damm oder in die Kantstraße …

Franco Francucci … was viel mit diesem Phänomen zu tun hat, das man passenderweise Overtourism nennt. Was haben wir damals über den Hackeschen Markt gestaunt. Was für eine coole Atmosphäre. Heute drängt man sich durch die Rosenhöfe und diese ganzen ausgedachten Läden dort und denkt nur, da will man doch nicht mehr sein.

tipBerlin Ihre Vision für die Zukunft des Ku’damms?

Franco Francucci Als mein Vater 1968 an den Kurfürstendamm kam, waren dort noch lauter Terrassencafés und Eisdielen. Die Boutiquen waren kein großes Thema, die waren so gezählt wie heute die Gastronomie. Vielleicht geht es ja dahin zurück. Lebensqualität entsteht erst, wenn sich Menschen an einem Ort aufhalten.

  • Francucci Kurfürstendamm 90, Charlottenburg, Mi, 4.10., 19 Uhr, 5-Gang-Menü zum tipBerlin Food Festival, inkl. handgemachten Spinatravioli, Bistecca vom Chianina-Rind und Weinbegleitung 99 Euro, online

tipBerlin Food Festival: Alle Infos

Wir feiern einen Mercato in Berlino. Neben den Restaurants, die das tipBerlin Food Festival ausmachen, laden wir euch auch dazu ein, in den Labs in die kulinarische Geschichte abzutauchen. Und am 7. und 8. Oktober mit uns im Clärchens zu feiern. Alle Infos zum tipBerlin Food Festival gibt es hier.


Der neue tip ist da! Das große Thema: Amore mio Berlino – Warum Berlin die nördlichste Stadt Italiens ist.


Mehr Gastrokultur

Wir können nicht genug von Italien bekommen: Unsere liebsten Ristoranti findet ihr hier. La Dolce Vita in der Hauptstadt: An diesen Orten fühlt sich Berlin wie Italien an. Noch mehr News und Empfehlungen aus der Berliner Gastro-Welt gibt es in der Rubrik Food. Weitere Highlights für Frühstück, Lunch und Dinner hat unser Food-Guide für Berlin: Die Speisekarte könnt ihr hier bestellen. Freut euch darauf, Italien zu genießen: mit dem Food Festival Berlin von tipBerlin und Viani in St. Elisabeth.

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