Interview

Niels Frevert spricht über seine Songs und ein sehr intimes Konzert in Marzahn

Niels Frevert hat mit seinem aktuellen Album „Pseudopoesie“ ein weiteres Meisterwerk veröffentlicht. Dreieinhalb Jahre nach dem umjubelten „Putzlicht“ überzeugt der Pop-Chansonnier aus Hamburg wieder mit wunderschönen Popsongs. Und Frevert, Held aller Lieddichter:innen deutscher Sprache, hat sich weiterentwickelt. „Pseudopoesie“ ist tanzbarer als der Vorgänger. Natürlich stellt Frevert sein jüngstes Werk auch live vor. Nach der erfolgreichen Band-Tour im Frühjahr ist er nun auf akustischer Reise. Am 16. November kommt der Musiker nach Marzahn und spielt dort ein intimes Konzert in der Zentralbibliothek Mark Twain. Reinhard Franke hat den Liedermacher zum Gespräch getroffen.

Niels Frevert spielt ein intimes Konzert in Marzahn. Foto: Dennis Dirksen

Niels Frevert: „Ich bin so froh, dass ich beides kann und darf: die große Show und den intimen Rahmen“

tipBerlin Herr Frevert, Sie kommen für ein intimes Konzert nach Berlin. Mit welchen Gedanken gehen Sie es an?

Niels Frevert Ich bin so froh, dass ich beides kann und darf: die große Show und den intimen Rahmen. Und tatsächlich kommen manche Hörer/innen lieber zu den Akustik-Abenden. Wahrscheinlich, weil diese in besonderen Locations stattfinden, sie noch näher bei den Songs sind, es mehr Storytelling gibt – und mehr Geplapper von mir zwischendurch. (lacht) 

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tipBerlin Wie sehr hat es geschmerzt, als die Band-Tour zu Ende war?

Niels Frevert Darf ich Konfuzius zitieren? „Leuchtende Tage. Nicht weinen, dass sie vorüber. Lächeln, dass sie gewesen.“ Es war eine tolle Tour – und ja, ich wäre gerne noch weitergefahren. Aber mit fast 20 Konzerten von Flensburg bis Zürich hatten wir die Landkarte vorerst abgedeckt und alle Städte besucht, in denen ein Band-Konzert möglich war.

tipBerlin Sie lieben Melancholie und Poesie. Warum heißt Ihr aktuelles Album dann „Pseudopoesie“?

Niels Frevert Es ist ein schönes Wort, klingt nicht nur gut, sondern sieht geschrieben auch noch gut aus. Es geht sicher um die Zweifel des Autoren und bestimmt auch um den Meta-Mittelfinger Richtung Mainstream. Den Begriff Poet kann man ganz verschieden interpretieren. Und er ist in den vergangenen Jahren sehr inflationär benutzt worden. Und ich höre in dem Wort sogar etwas Kitsch heraus und ich mag Kitsch, wenn er gut gemacht ist. Den Begriff Pseudo empfinde ich in diesem Zusammenhang als positiv. Auch meine Plattenfirma fand den Titel gut. Ich könnte mir das erlauben, sagten sie. (lacht)

„Durch die Pandemie hatte ich viel Zeit zum Schreiben“

tipBerlin Die Produktionsphase dauerte nur sechs Wochen. Nach Ihrem Solodebüt war das der kürzeste Zeitraum für die Aufnahmen. Sie waren immer jemand, der etwas langsamer ist, warum ging es jetzt so schnell?

Niels Frevert Durch die Pandemie hatte ich viel Zeit zum Schreiben. Dann habe ich den Produzenten Tim Tautorat kennengelernt und ich wusste, dass er nicht nur zwei Platten im Jahr macht, sondern sieben bis acht. Er arbeitet zügig, ist entscheidungsfreudig und mutig. Ich habe so intensiv an meinen Demos gearbeitet wie bei meinem Solodebüt 1997. Ich wusste, dass ich all meine Teilchen zusammen haben muss, wenn wir loslegen. Ich wäre sonst in Teufelsküche gekommen. Es war schon viel da und ich wusste, wenn ich mit Tim arbeite, muss ich schnell sein. Das hat geholfen. Ohne Druck lasse ich mir ewig Zeit.

tipBerlin Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit dem jüngsten Werk? 

Niels Frevert Können Sie mir die Frage nochmal in einem Jahr stellen? So richtig einordnen kann ich es noch nicht. Ich weiß, dass es wirklich ein gutes Album geworden ist. Aber ich brauche Abstand, um diese Frage beantworten zu können. Ich wusste jedenfalls früh, dass ich textlich in der richtigen Spur bin. Es ist ein besonderes Album.

tipBerlin Mit „Putzlicht“ wurde 2019 ein Wandel vollzogen. 

Niels Frevert Ja, da gab es mehr E-Gitarren und die Produktion war größer. Jetzt folgte der nächste Schritt. Auf der neuen Platte gibt es noch mehr E-Gitarren und es ist etwas tanzbarer. Das hat sich so ergeben mit den Songs, aber es gab von vornherein die Motivation, wieder auf Tour zu gehen. Anfang 2020 musste ich wegen Corona eine Tour absagen, das war sehr unschön. Ich will jetzt erreichen, dass man Bock hat das neue Album live zu erleben. 

tipBerlin Der Song „Weite Landschaft“ steht für eine gewisse Veränderung. Ist es wirklich solch eine krasse Wandlung? 

Niels Frevert Krass nicht, aber eine Wandlung. Man hört meine Stimme und meine Geschichten, aber es ist mir schon wichtig, dass eine Weiterentwicklung erkennbar ist. Ich weiß nicht, wie man sich neu erfinden kann, aber man kann Neues ausprobieren. Das macht es auch spannend. Das neue Album klingt noch elektrischer, da frage ich mich schon, ob mir alle noch folgen. Aber ich will eben auch nicht langweilig werden. 

Niels Frevert – Putzlicht (Candy Bomber Session – offizielles Video)

tipBerlin Mit „Putzlicht“ sollen Sie das Korsett des Liedermachers abgestreift haben. Wollen Sie keiner mehr sein?

Niels Frevert Doch. Ich sehe mich nach wie vor als Liedermacher. Das sind die, die ihre Songs alleine spielen können und damit einen ganzen Abend bestreiten können. Es muss nicht nur die gezupfte Gitarre sein. Ich kann mir auch vorstellen, dass es auf den nächsten Platten wieder akustischer wird. „Pseudopoesie“ ist jetzt der logische, nächste Schritt nach „Putzlicht“.

tipBerlin Haben Sie sich selbst etwas unter Druck gesetzt „Putzlicht“ toppen zu müssen? Wenn ein neues Album von Ihnen angekündigt wird, dann ist das schon eine Wucht. 

Niels Frevert Toppen würde schwierig werden, dachte ich. „Putzlicht“ war ein schöner Erfolg, der mir gut getan hat und etwas bewegt hat. Ich setze mich nicht unter Druck, höchstens unter Zeitdruck. Woran soll man es fest machen? Die neue Platte sollte nicht schlechter werden. Das hat funktioniert. 

tipBerlin Wo sehen Sie sich mit dem aktuellen Werk?

Niels Frevert Leider leben wir in Zeiten mit Klickzahlen und Vergleichen. Das finde ich schwierig. Ich habe meine Zweifel, dass das der Popmusik gut tut. Ich bin ein Album-Künstler, mag Romane und Filme. Ich finde es schön, wenn sich etwas entwickelt. Was ich sagen will: Das mit dem Erfolg ist relativ. Da gibt es verschiedene Parameter. Ich bin schon länger unterwegs und bei mir definiert sich das anders. Ich bin erfolgreich, weil ich regelmäßig Platten veröffentlichen kann. Bei mir geht es nicht um eine Chart-Positionierung. „Pseudopoesie“ ist mein siebtes Soloalbum. Das ist mein persönlicher Erfolg. Ich bin ganz okay im Rennen. 

Niels Frevert: „Songtexte zu schreiben, das ist der schönste Beruf der Welt“

tipBerlin „Die Abendsonne auf deiner Haut entgleitet dir sanft“ Wie entstehen so schöne Textzeilen?

Niels Frevert Die kommen mir zugeflogen. Wenn sie bei mir landen, schreibe ich sie schnell auf. Ich bin tatsächlich immer im Einsatz. Ich sammel’ immer, auch die Sachen, von denen ich im ersten Moment gar nicht so überzeugt bin. Und ich singe diese Worte so, dass sie nicht konstruiert klingen. Songtexte zu schreiben das ist der schönste Beruf der Welt. Man muss nicht mit Ende 40 noch genauso singen, wie man es mit Anfang 20 getan hat. Dazu kommt, ich habe schon einige Geschichten erzählt und möchte mich nicht wiederholen. Diese Herausforderung erfüllt mich. Ich will mich nicht auf Lorbeeren ausruhen.

tipBerlin Hören Sie noch Songs von Ihrem Solodebüt oder haben Sie sich davon völlig losgesagt?

Niels Frevert Ich mich von meinem Solodebüt lossagen? Niemals. Allerdings habe ich es lange nicht mehr angehört. Dabei denke ich gern an die Zeit zurück – nach den Jahren mit der Nationalgalerie eine neue Arbeitsweise kennenzulernen, war wie eine Befreiung. In den 90er-Jahren wollte ich wie meine Vorbilder klingen, habe diese aber nie erreicht. Davon habe ich mich irgendwann frei gemacht, bin erwachsen geworden, muss jetzt auch nicht mehr fünf Platten in sieben Jahren veröffentlichen, wie zu Beginn meiner Karriere.

tipBerlin Bei Themen wie Pseudopoet sprechen Sie sicher gewisse Leute an. Denken Sie da an bestimmte Menschen oder wird das frei assoziiert? 

Niels Frevert Ich tue mich immer schwer mit der Interpretation meiner Texte, denn ich will da niemanden enttäuschen. Da überlasse ich den Hörerinnen und Hörern ihre eigene Sicht. Natürlich geht es in meinen Texten viel um mich. Sorry, ist so. Es ist halb biografisch, halb erfunden.

tipBerlin Eine nette Geschichte haben Sie im Song „Kristallpalast“ beschrieben. Wo ist der?

Niels Frevert Das ist ein Jazzclub, den ich eröffne, wenn ich mit der Popmusik reich geworden bin. Aber bis dahin habe ich noch etwas Zeit und werde noch einige Platten veröffentlichen.

Niels Frevert: „Früher habe ich mit meinen Texten gehadert“

tipBerlin Wenn Sie auf ihre Laufbahn zurückblicken: Würden Sie heute rückblickend etwas anders machen? Was? 

Niels Frevert Darüber habe ich während meiner Laufbahn schon immer wieder reflektiert – und Sachen verändert. Mir war es immer wichtig, mich muskalisch weiterzuentwickeln. Ganz früher habe ich mit meinen Texten gehadert, dann habe ich an meinem Gesang gearbeitet, später neue Pfade im Songwriting gesucht. Wenn ich zurückblicke, dann immer in Bewegung. 

tipBerlin Hat sich Ihre Einstellung zum Leben und zur Musik mit dem Älterwerden verändert?

Niels Frevert Natürlich, und wie! Zum Leben sowieso, so wie allen. Und zur Musik: Zum Beispiel habe mit 30, nach den ersten fünf Platten begonnen, meine Alben bewusster aufzunehmen. Mir mehr Zeit zu nehmen, damit sie hinterher so klingen, wie ich es mir vorher vorgestellt habe. Hat zum Glück funktioniert. 

tipBerlin Wenn Sie heute ihrem 18-jährigen Ich begegnen würden: Was würden Sie ihm mit auf den Weg geben? 

Niels Frevert Die dritte Frage zum Älterwerden nacheinander? So alt bin ich ja nun auch noch nicht! Was ich dem 18-jährigem sagen würde? „Trau´dich, du kannst das!“


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