Best of 2023

Musikjahr 2023: Das sind die 12 besten Platten des Jahres

Jeden Monat wählt eine Jury, bestehend aus den besten Musikkritikerinnen und Kritikern der Stadt, im (gedruckten) tipBerlin die Platten des Monats. Mit dabei sind Laura Aha von der „Groove“, Jens Balzer repräsentiert „Die Zeit“, Maik Brüggemeyer kommt vom „Rolling Stone“, Rosalie Ernst vertritt das „Missy Magazine“, für „radioeins“ wählt Christine Heise mit, Stefan Hochgesand wertet für die „Berliner Zeitung“, Daniel Meinel für „FluxFM“ und Stephan Rehm Rozanes für den „Musikexpress“. Jacek Slaski vom tipBerlin ist ebenfalls dabei. Und hier kommen die besten 12 Platten des Jahres, Monat für Monat, ein Soundtrack für 2023. Viel Spaß!


Januar: John Cale – „Mercy“

Im Laufe seiner 60-jährigen Karriere hat John Cale mit Lou Reed, Brian Eno und Nico zusammengearbeitet. Kollaboration war schon immer sein Lebenselixier, und auf „Mercy“ hat er sich mit zeitgenössischen Künstlern wie Weyes Blood, Fat White Family und Tei Shei zusammengetan. Auf einem Album, das von Hall durchtränkt und von ruckelnden elektronischen Beats unterbrochen wird, beweist das Gründungsmitglied von The Velvet Underground auch im zarten Alter von 80 Jahren noch seine Relevanz. Nathan D’Arcy

  • John Cale Mercy (Youtube)

Februar: Gorillaz – „Cracker Island“

Damon Albarns virtuelle Superband zieht es nach „Cracker Island“. Dort tummeln sich der Hype-Bassist Thundercat, der puertoricanische Rapper Bad Bunny, die australischen Neo-Psychedeliker von Tame Impala, die Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks und noch ein Dutzend weiterer talentierter Menschen, die sich auf dieser Spielwiese zwischen Elektronik, Hip-Hop und Indie-Rock austoben und auch zu großen Popgesten bereit sind. SLA


März: Lonnie Holley – „Oh Me Oh My“

Kosmischer Jazz, experimentelle Sounds und illustre Gäste (darunter Michael Stipe, Bon Iver und Moor Mother). Auf seinem neusten Album erzeugt der Musiker und bildende Künstler Lonnie Holley, dessen Lebensgeschichte sich wie das Script zu eine Netflix-Serie liest, ein unnachahmliches, dichtes und grooviges Szenario. Holley triumphiert auf allen Ebenen, er stellt sich traumatischen Erfahrungen, bleibt dabei aber hoffnungsvoll und tröstlich. Es ist sein bislang umfangreichstes und zugänglichstes Album, dass ebenso an Ligeti und Sun Ra erinnert und manchmal auch an Bobby Womack und am Ende doch voll und ganz Holley ist. Ein großer Geist, der allmählich aus seinem Geheimtipp-Status hinaustritt. SLA


April: Eloise – „Drunk On A Flight“

Eloise, Londoner Singer/Songwriterin mit hoher Affinität zum Pop: Das Debüt ist ein fein arrangiertes Konzeptalbum, auf dem sie die diversen Schattierungen von Liebe und Distanz erforscht. Detailverliebt, als würde sie jedes Wort behutsam ins Lied holen, fühlt man sich beim Hören wohlig, wie in einem gemütlichen Kaffeehaus sitzend. Doch im Hintergrund rauschen die Flughafengeräusche. Denn so schön eine Situation wirken mag, so abrupt kann sie sich wandeln. Eloises weiche Stimme klingt betörend, wie ein Kissen auf das man den Kopf legen möchte, bevor man sich betrunken auf einen Transatlantikflug begibt. SLA


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Mai: Angela Aux – „Instinctive Travels on the Paths of Space and Time“

Angela Aux ist der Musiker und Journalist Florian Kreier, der hier in ein weibliches Alter-ego schlüpft und sich auf dem psychedelisch-kauzigen Konzept-Gesamtkunstwerk mit dem leicht sperrigen Titel „Instinctive Travels on the Paths of Space and Time“ in nach Räucherstäbchen duftenden WG-Küchen-Universen begibt. Im Kern ein Singer/Songwriter-Album, das wie ein ruhiger Fluss plätschert, an den Rändern aber ausufert und sich in mystischen Seitenarmen verliert. Wer Lou Reed mag, sich den düsteren Prinzen aber als Hippie vorstellen kann, dürfte auch mit diesem melancholischen Songzyklus etwas anfangen können. SLA


Juni: Baxter Dury – „I Thought I Was Better Than You“

Auch auf seinem siebten Studioalbum verteidigt Baxter Dury problemlos seinen Ruf als Cockney-Prinz. Mit enormer Lässigkeit und einer Sprache, die liebenswert und gefährlich zugleich klingt, erzählt er vom Aufwachsen in chaotischen Umständen, schrägen Träumen und skurrilen Situationen. Sein Vater, der legendäre Regiolekt-Rocker Ian Dury wäre stolz. Lennart Koch


Juli: Anohni and the Johnsons – „My Back Was A Bridge For You To Cross“

Die Menschenrechtsaktivisten Marsha P. Johnson ziert das Cover des neuen Albums. Nach dem überwältigenden Solo „Hopelessness“ von 2016 war Anohni wieder mit Begleitband, den Johnsons, im Studio. Weniger experimentell und elektronisch, dafür mehr Soul und klassische Arrangements, ergreifendes Songwriting und die göttliche Stimme. Große Kunst! SLA


August: Bonnie ‘Prince’ Billy – „Keeping Secrets Will Destroy You“

Der Kult-Songwriter vom linksseitigen Ufer des Mississippi hat sich mit einer Schar Freunde in einem Zimmer hingesetzt und in der heimeligen Atmosphäre ein von Streichern und akustischen Gitarren durchwirktes Album aufgenommen. Ein minimales Unterfangen mit maximalen Ergebnis. Erdig universelle, zarte Poeme sind dabei entstanden. SLA


September: Matana Roberts – „Coin Coin Chapter Five“

Wem gehört der Körper, wer entscheidet über Leben und Tod und was ist die politische, die gesellschaftliche, die künstlerische Dimension dieser Frage? Im fünften Kapitel ihres großen Epos zur mentalen Lage der USA webt Matana Roberts aus Avant-Jazz, Folk, Spoken Word und Field Recordings eine Collage über eine Frau, die an den Folgen einer illegalen Abtreibung stirbt. SLA


Oktober: Jamila Woods – „Water Made Us“

Dass Wasser Erinnerungen birgt, wusste schon die US-amerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Den Titel nimmt die Chicagoer R&B-Philosophin Jamila Woods auf, die sich zuletzt auf ihrer EP „Legacy! Legacy!“ vor afroamerikanischen Ikonen wie James Baldwin und Eartha Kitt verneigte. „Water Made Us“ verfolgt diesmal keine politische Linie, es ist kein Aufruf gegen das Patriarchat oder für die Emanzipation. Viel mehr geht Woods auf eine introspektive Reise in 17 Songs durch die Höhen und Tiefen einer vergangenen Beziehung, die sie vielschichtig – zwischen beseelter Ballade und euphorischen Anklängen – besingt. SLA


November: Sofia Kourtesis – „Madres“ 

Alles für Mama: lange ließ das Debütalbum der peruanischen Wahl-Berlinerin Sofia Kourtesis auf sich warten. Auch, weil Kourtesis zwischen Peru, wo ihre krebskranke Mutter lebt, und Berlin pendelte. Nun ist ihre Mutter geheilt, und Kourtesis feiert sie auf „Madres“ – und den Neurochirurgen, der ihr das Leben gerettet hat. Mitreißender Sound zwischen minimalem House und großer Poplust. Aida Baghernejad

  • Sofia Kourtesis Madres (Youtube)

Dezember: Jonathan Rado „For Who The Bell Tolls For“

Jonathan Rado ist ein Produzent und Musiker aus Kalifornien, der mit beiden Händen aus der Vergangenheit schöpft und einen Sound der Gegenwart erschafft. Schon beim Titel bediente sich Rado aus der Literaturgeschichte, kein geringerer als Ernest Hemingway („For Whom The Bell Tolls“) stand Pate für sein dritten Soloalbum. Chöre, Klavier, Gitarren und sonnendurchtränkte Melodien lassen an Roadtrips am Pazifik denken, das Ganze erdig-analog aufgenommen, alles vibriert, alles ist möglich und Rockmusik gar nicht so tot, wie man annehmen könnte. Schön. SLA


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