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„Gezeichnete Stadt“ – Die Ausstellung zeigt den Wandel Berlins und seiner Bewohner

Mit der Großschau „Gezeichnete Stadt“ zeigt die Berlinische Galerie, wie präzise Stift und Papier über den Wandel Berlins und seiner Bewohner Auskunft geben können.

Ausstellungsansicht, „Gezeichnete Stadt“, Berlinische Galerie, Foto: © Harry Schnitger (Abgebildetes Werk: Theresa Lükenwerk, Maps of Berlin, 2013/14, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020)

Marktstände, Karstadt-Fassade, U-Bahn und Bäume: Wer vor der 1,70 Meter großen Zeichnung von Pia Linz steht, wünscht sich eine ordentliche Lupe. In einem Zeitraum von fünf Jahren, von 2012 bis 2017, arbeitete die Künstlerin, ausstaffiert mit ihrem Zeichenbrett, immer wieder auf dem Hermannplatz zwischen Kreuzberg und Neukölln, um das dortige Treiben einzufangen. Entstanden ist eine kuriose Mischung zwischen Kartografie und verdichteter Stadtansicht in Vogelperspektive, in der das gefalzte Papier „die Zeit aufgesaugt“ hat, wie Linz es ausdrückt.  

Pia Linz zählt zu den 69 Künstler*innen, die die starke Vielfalt der Berliner Metropolen-Ausstellung „Gezeichnete Stadt. Arbeiten auf Papier 1945 bis heute“ spiegeln. Rund 200 Werke und Werkserien sind unter diesem Titel ab 14. August in der Berlinischen Galerie zu sehen. Perspektivisch fügt sich die Präsentation in den Veranstaltungsreigen „Berlin 100“ zum Jubiläumsjahr von Groß-Berlin ein.

Im Mittelpunkt also: Berlin

Das Landesmuseum verfügt über eine der umfangreichsten Sammlungen zum ­Thema Berlin, 25.000 Werke zu verschiedenen Topics umfasst allein die Grafische Sammlung. Ankäufe halten den Fundus lebendig wie zuletzt Thomas Ravens dystopische Stadtlandschaft „Monument for the Will of the People“ (2019). Spannende Neuentdeckungen gibt es bei Künstler*innen mit ostdeutscher Biografie, darunter Robert Rehfeldt, Wolfgang Leber und Elli Graetz. Einige ihrer Blätter wurden noch nie gezeigt.  

Im Mittelpunkt also: Berlin, die kaputte, widersprüchliche, spröde, größenwahnsinnige, großzügige, die Freiheit liebende Stadt. In all ihren Facetten der Wandlung über die Jahrzehnte: Niedergang, Mauer, Frontstadt, Aufstieg, Schmelztiegel der Kulturen, Partyzone, Provinzialität, Internationalität, Gentrifizierung. Im Titel „Gezeichnete Stadt“ ist die Doppeldeutigkeit angelegt: einerseits als Hinweis auf das mobile, flexible, leichthändige Medium (Zeichenpapier und Stift kann man überallhin mitnehmen), andererseits auf die durch die Geschichte zerrissene Stadt, die sich immer wieder neu erfinden muss(te).

„Es ist ein Nachdenken über diese Stadt“

„Es ist ein Nachdenken über diese Stadt“, sagt Kuratorin Annelie Lütgens, „auf struktureller Ebene auch über die Architektur. Es geht nicht nur um Stadtansichten, sondern wie man sich in ihr bewegt, welche Menschen man trifft, welche verschiedenen Stadtlandschaften es gibt.“ 

Katharina Meldner etwa widmete sich ganz besonderen Bewohnern – den Ameisen. In den 1980er-Jahren begann sie, Ameisen­pfade mit dem Stift nachzuverfolgen. Als Köder diente ihr Zuckerwasser, so konnte sie den Wegen der Insekten nachgehen. Und siehe da, die feinen, scheinbar wirren „Straßen“-Linien folgen durchaus einer größeren Ordnung.

Der Großteil der Werke sind Zeichnungen, groß, klein, schwarzweiß, kunterbunt in verschiedensten Techniken und Stilen, Gegenständlichkeit, Abstraktion, Fotorealismus, Architekturblätter, Illustrationen, Comic. Um Schneisen zu schlagen durch die Historie des urbanen Kosmos, hat Annelie ­Lütgens sechs Kapitel angelegt. Vom „Traum in Trümmern“ geht es vorbei etwa an „Urbanen Biotopen“ hin zum „Großstadtpersonal“ mit Diven, Hipstern und Straßenkindern.

Zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt hätte es in den 80er-Jahren mehr Gemeinsamkeiten gegeben als Gegensätze, sagt Lütgens. Zumindest aus der Perspektive der Künstler*innen: „Sie arbeiteten auf beiden Seiten in schäbigen Häusern, maroden Atelierwohnungen und alten Fabriken.“

Diese künstlerischen Biotope hielten sie fest. Rainer Fetting, einer der jungen Wilden, wird zum Chronisten der Berliner Mauer („Figur an der Mauer“, 1987, Aquarell und Kreide). Eine Energie geht von dieser Zeichnung aus, ein vibrierender Gestus, der bis heute nicht veraltet ist. Die Mauer steht, der Künstler „verrückt“ sie als Spielfeld für seine anarchischen, punkigen Stadtlandschaften. 

Der Bogen ist schnell geschlagen zu Tal R: In seinem hedonistischen „Babylonia“ (2015) gibt es keine Grenzen mehr. Der Künstler zieht die Betrachtenden hinein in eine wunderbar naiv anmutende Buntstiftserie, die den Mythos der ewigen Club-und Szenestadt beschwört. Kurios, fünf Jahre später – in Coronazeiten – haben diese Blätter bereits eine historische Anmutung. Text: Gabriela Walde

Gezeichnete Stadt in der Berlinische Galerie Alte Jakobstr. 124–128, Kreuzberg, Mi–Mo 10–18 Uhr, 8/ erm. 5 €, 1. Mo/ Monat 4 €, bis 18 J. frei, Online-Ticket: www.berlinischegalerie.de; 14.8.–14.1. 


12 Werke aus der Ausstellung:

Werner Heldt: Trümmer, 1947

Werner Heldt, Trümmer, 1947, Tuschfeder und Tuschpinsel auf Velinpapier, 28 x 34,9 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Kai-Annett Becker
Werner Heldt, Trümmer, 1947, Tuschfeder und Tuschpinsel auf Velinpapier, 28 x 34,9 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Kai-Annett Becker

Thomas Bayrle: Kennedy in Berlin, 1964

Thomas Bayrle, Kennedy in Berlin, 1964, Farblithografie, 43,1 x 61 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Anja Elisabeth Witte
Thomas Bayrle, Kennedy in Berlin, 1964, Farblithografie, 43,1 x 61 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Anja Elisabeth Witte

Theresa Lükenwerk: Maps of Berlin 2/10, 2013/14

Theresa Lükenwerk, Maps of Berlin 2/10, 2013/14, Linolschnitt auf Japanpapier, 54 x 70 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Anja Elisabeth Witte
Theresa Lükenwerk, Maps of Berlin 2/10, 2013/14, Linolschnitt auf Japanpapier, 54 x 70 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Anja Elisabeth Witte

Tal R: La Belle, 2015

Tal R, La Belle, 2015, aus der Serie „Babylonia“, Buntstift und Gouache auf bemaltem Papier, 24,8 x 34,9 cm, © Tal R, courtesy Contemporary Fine Arts, Foto: Eric Tschernow
Tal R, La Belle, 2015, aus der Serie „Babylonia“, Buntstift und Gouache auf bemaltem Papier, 24,8 x 34,9 cm, © Tal R, courtesy Contemporary Fine Arts, Foto: Eric Tschernow

Tacita Dean: Palast I-VI , 2005

Tacita Dean, Palast I-VI , 2005, Blatt 1 von 6 Fotogravüren auf Somerset 300g, © Tacita Dean, Foto: Kai-Annett Becker
Tacita Dean, Palast I-VI , 2005, Blatt 1 von 6 Fotogravüren auf Somerset 300g, © Tacita Dean, Foto: Kai-Annett Becker

Susanne Mahlmeister: Schloß Charlottenburg Berlin, 1991

Susanne Mahlmeister, Schloß Charlottenburg Berlin, 1991, Siebdruck, 57,5 x 77 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Anja Elisabeth Witte
Susanne Mahlmeister, Schloß Charlottenburg Berlin, 1991, Siebdruck, 57,5 x 77 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Anja Elisabeth Witte

Nanne Meyer: Organisation und Aufgaben der Museen für Naturgeschichte in der UdSSR

Nanne Meyer, Organisation und Aufgaben der Museen für Naturgeschichte in der UdSSR, Blatt 12 von 18 Arbeiten auf Papier aus der Serie Ornithologische Notizen, Briefmarkencollage, Farb- und Bleistift auf Karteikarte, 14,8 x 20,8 cm, © Nanne Meyer, Foto: Kai-Annett Becker
Nanne Meyer, Organisation und Aufgaben der Museen für Naturgeschichte in der UdSSR, Blatt 12 von 18 Arbeiten auf Papier aus der Serie Ornithologische Notizen, Briefmarkencollage, Farb- und Bleistift auf Karteikarte, 14,8 x 20,8 cm, © Nanne Meyer, Foto: Kai-Annett Becker

Katharina Meldner: Wege der Ameisen, 1985

Katharina Meldner, Wege der Ameisen, 1985, Bleistift, roter Farbstift, Insekt und Tesastreifen auf Papier, 86 x 122 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto. Kai-Annett Becker
Katharina Meldner, Wege der Ameisen, 1985, Bleistift, roter Farbstift, Insekt und Tesastreifen auf Papier, 86 x 122 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto. Kai-Annett Becker

Heike Kati Barath: Nun gut, wer bist Du denn?, 2014

Heike Kati Barath, Nun gut, wer bist Du denn?, 2014, Blatt 8 der Serie von 32 Farbsiebdrucken, 29,7 x 21 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Kai-Annett Becker
Heike Kati Barath, Nun gut, wer bist Du denn?, 2014, Blatt 8 der Serie von 32 Farbsiebdrucken, 29,7 x 21 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Kai-Annett Becker

Eberhard Havekost: Snow Lounge (4tlg.), Blatt 1/4, 2000

Eberhard Havekost, Snow Lounge (4tlg.), Blatt 1/4, 2000, 4-Farb-Handoffset,
35,1 x 31,1 auf 50,4 x 41 cm, Schenkung der Familienstiftung Schultz von Schacky, © Courtesy Galerie Gebr. Lehmann, Dresden, Foto: Kai-Annett Becker
Eberhard Havekost, Snow Lounge (4tlg.), Blatt 1/4, 2000, 4-Farb-Handoffset,
35,1 x 31,1 auf 50,4 x 41 cm, Schenkung der Familienstiftung Schultz von Schacky, © Courtesy Galerie Gebr. Lehmann, Dresden, Foto: Kai-Annett Becker

Bertram Hasenauer: Ohne Titel, 2011

Bertram Hasenauer, Ohne Titel, 2011, Farbstift auf Papier, 40 x 50 cm, © Bertram Hasenauer, Foto: Kai-Annett Becker
Bertram Hasenauer, Ohne Titel, 2011, Farbstift auf Papier, 40 x 50 cm, © Bertram Hasenauer, Foto: Kai-Annett Becker

Antje Dorn: Ich vergesse immer, was ich vergessen wollte, 2002

Antje Dorn, Ich vergesse immer, was ich vergessen wollte, 2002, aus: WOOD, Blatt 9 der Serie von 32 Kohlezeichnungen auf Sperrholz, 39,5 x 29,3 x 0,4 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Kai-Annett Becker
Antje Dorn, Ich vergesse immer, was ich vergessen wollte, 2002, aus: WOOD, Blatt 9 der Serie von 32 Kohlezeichnungen auf Sperrholz, 39,5 x 29,3 x 0,4 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Kai-Annett Becker


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