Das Berghain ist wieder geöffnet! Es gibt zwar noch (lange) keinen Clubbetrieb, dafür aber spannende Kunst in Berlins berüchtigtstem Club zu entdecken. Sam Auinger und Hannes Strobel alias tamtam präsentieren bis Anfang August die Klanginstallation „eleven songs“ in der archaisch wirkenden Industrieanlage des alten Heizkraftwerks. Ein Erfahrungsbericht unseres Kollegen Dirk Teuber.
Ich war am Dienstag im Berghain. Neidische Blicke. „Sind Partys wieder erlaubt? Und herrschen da Abstandsregeln? Musstest du warten?“ – Nichts von alledem. Es ist genau gesagt auch nicht der Club im Berghain, der wieder offen hat, sondern das Kesselhaus, diese gigantische Halle mit den wuchtigen Trichtern, in denen die Kohle in die Öfen des ehemaligen Heizkraftwerks geschüttet wurde, die düsteren Schlackekeller.
Eine Kulisse wie im Albtraum: tamtam bespielen unbekannte Räume des Berliner Clubs Berghain
Der Aschegeruch von Jahrzehnten liegt in der Luft, eine Kulisse wie in einem Albtraum. In dieser Atmosphäre gibt es nun die Klanginstallation „eleven songs“ der Künstler Sam Auinger und Hannes Strobel zu erleben, die unter dem Namen tamtam bereits mehrere Sound-Performances zusammen realisiert haben.
Schnell fühlt man sich verloren in dem riesigen Raum. Es gibt scheinbar nichts Aufregendes zu sehen – nur nackter, rußgeschwärzter Beton, wuchtige Säulen, hohe Wände. Die schlichte Kulisse reicht schon – sie ähnelt einem apokalyptischen Endzeitszenario aus einem Ego-Shooter-Spiel.
Erst später fallen die in der Halle verteilten Lautsprecher auf. Imposante Subwoofer auf dem grauen Boden, fragile Aufbauten mit zielgenau ausgerichteten Boxen unter der Decke – und dann beginnen die Klänge.
Elf Soundscapes haben tamtam im Berghain komponiert: Wuchtige Basseskapaden, ein enervierendes, aus allen Ecken kommendes digitales Zirpen, dunkle Orgelklänge, entspannende Drones, dumpfes Vibrieren von Subbässen, an- und abschwellende Tonintervalle.
Meditative Töne kommen aus allen Ecken der Industrieruine, dreht man nur etwas den Kopf, verändern sie sich
Clubgänger bekommen hier sicherlich ein akustisches Flashback, zu schnell vergisst man die physische Unmittelbarkeit von tiefen Frequenzen, ähneln doch einige Stücke den Kompositionen bekannter Ambient-Spezialisten.
Ist eine Art Rhythmus zu erahnen, beginnt der Körper sich automatisch zu bewegen, ertappt man sich, wie man in der Halle umherläuft, um den Ursprung der Klanges zu finden. Meditative, warme Töne kommen scheinbar aus allen Ecken der Industrieruine, dreht man nur etwas den Kopf, verändern sie sich. Es wird einem schwindlig.
Saum Auinger und Hannes Strobl kennen diese Halle schon von früheren Arbeiten. Doch dieses Mal ist es anders. Wo sonst immer noch Dissonanzen aus dem Clubbetrieb des Berghains zu hören waren, ist es dieses Mal ungewöhnlich still. Die Künstler erforschen mit akustischen Mitteln das postindustrielle Gebäude. Da brechen Klänge an den 20 Meter hohen Säulen, lassen Frequenzen die metallischen Elemente vibrieren, verteilen sich dunkle, schwingende Harmonien in der Betonkathedrale.
50 Minuten dauert der Durchlauf der komplexen Stücke. Benommen schreitet man ans Tageslicht. Auch wenn es nicht eine durchtanzte Partynacht war, fühlt sich der Körper erschöpft an – die Klänge hallen nach.
- tamtam „eleven songs“ im Berghain, Am Wriezener Bahnhof, Friedrichshain, 15.7. bis 2.8., Mi–So 14–20 Uhr, Karten kosten 8, erm. 5 Euro, www.singuhr.de
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