Corona und Winter, eine schlechte Mischung. Doch dann fällt plötzlich Schnee, der Klimaerwärmung und der Erfahrung der letzten Jahre zum Trotz. Fröhlichkeit macht sich breit! Berlin ist weiß und die Schneedecke bleibt, statt, wie sonst, sich innerhalb von Stunden in eine graubraune Matsche zu verwandeln. Ein Hoffnungsschimmer. Man sieht die Menschen lächeln, sie spazieren und freuen sich an dem kleinen Naturwunder. Sonst gibt es ja nicht viel, worüber man sich freuen könnte. Es braucht nur noch einen Schlitten. Guckt lieber nicht bei eBay.
Wer wissen will, wie Kapitalismus funktioniert, checkt Schlitten bei eBay
In jedem Park rodeln die Kinder um die Wette, die Eltern gleich mit, Jugendliche brausen auf Ikea-Tüten und Skateboards (den Boards, die Räder sind abgeschraubt) von den Hügeln. Im Volkspark Friedrichshain, in der Hasenheide, im Volkspark Rehberge und im Britzer Garten, alle rodeln. Überall. Alle rodeln? Nicht alle! Wer keinen Schlitten hat und keine Lust auf einem geklauten Bauzaun oder einem Pizzakarton von einem der Berliner Berge zu sausen, rodelt nicht.
Was macht man also, wenn man etwas braucht, aber dieses etwas nicht hat? Genau, man kauft es sich. Willkommen im Kapitalismus. Und in diesem uns gegeben Wirtschaftssystem bestimmt bekanntermaßen die Nachfrage den Preis. Scheinbar sind Schlitten in Berlin über Nacht Mangelware geworden. Dabei muss der Schlitten sofort her. Sofort! Auf eine Online-Bestellung mit vier-sechs Tagen Lieferzeit kann man in dem Fall nicht wirklich ausweichen. In einer Woche könnte das weiße Glück ja schon geschmolzen sein.
Also nichts wie zu eBay-Kleinanzeigen. Da bekommt man schließlich fast alles und gerne auch mal günstiger. Weit gefehlt. Ein ordentlicher Schlitten kostet hier auf einmal um die 100 Euro oder mehr. In Worten: Ein. Hundert. Euro. Das ist schon krass. Neu zahlt man für einen normalen Schlitten 50 bis 70 Euro, gebraucht sollte es ungefähr die Hälfte sein.
Aber nein, gerade das olle Ding aus dem Keller geholt, noch mit Rost an den Kufen, versuchen sich findige Coronawinter-Kriegsgewinnler auf Kosten von freudenbedürftigen Kindern kurzerhand zu bereichern. Gratulation, 2021 geht der Preis für menschenverachtendes Geschäftsgebaren an den anonymen Schlitten-Privatverkäufer auf eBay.
Diesmal sind es nicht gierige Internet-Milliardäre vom Schlage eines Jeff Bezos, die zynisch nach maximalem Profit streben. Nein, es sind Menschen wie du und ich. Der Nachbar von unten, die nette Familie, der Onkel, der Bruder, die große Schwester. Solltet ihr, lieber Leser*innen, mitbekommen, dass jemand in eurem Umfeld einen Schlitten zum Wucherpreis verkauft hat, schimpft diesen Menschen aus. Seid möglichst unfreundlich zu ihm, so unfreundlich wie ihr nur sein könnt. Denn Kapitalismus ist auch in der Pandemie Mist. Sogar noch mehr als sonst.
Mehr Berlin
Viele Restaurants in Berlin überleben dank Lieferung und Take-away. Muss man sich aber leisten können: In Berlin geht bei vielen inzwischen der Großteil des Einkommens fürs Wohnen drauf. Ein Problem mit sonderbaren Blüten: Die absurde Wohnungspolitik: Sozialwohnungen für Reiche – und Arme in Büros?