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Abschied

Aus für JustMusic: Das Musikgeschäft am Moritzplatz schließt für immer

JustMusic, das große Berliner Musikinstrumentenkaufhaus, schließt. Mit ihm scheint eine Ära zu enden, denn auch andere stationäre Musikfachgeschäfte haben in den letzten Jahren aufgegeben. Oder finden hier etwa eine Verschiebung und ein Neuanfang statt?

Schliessung des Kreuzberger Musikkaufhauses JustMusic. Foto: Imago/Achille Abboud
Schließung des Kreuzberger Musikkaufhauses JustMusic. Foto: Imago/Achille Abboud

JustMusic eröffnete 2013 sein großes Flaggschiff in illustrer Nachbarschaft zum Aufbauhaus in Kreuzberg

„Viel mehr als ein weiterer Einzelhändler, der schließen muss“,​  so verkündet das Musik­fachgeschäft JustMusic sein Ende, das mit der Schließung des Haupthauses am Kreuzberger Moritzplatz einhergeht. Ende der 1970er-Jahre in West-Berlin noch als Sound and Drumland vom damaligen Studenten Jochen Stock gegründet, war es wohl so etwas wie ein Berliner Traditionsunternehmen. 1980 wurden aus einem Nebenberuf gleich zwei Läden, Anfang der Neunziger folgte natürlich eine Filiale im Osten der Stadt, und noch einmal ein Jahrzehnt später expandierte JustMusic nach Hamburg, München und Dortmund. 2013 eröffnete das Unternehmen, quasi als Kronjuwel, sein großes Flaggschiff im damals 100 Jahre alten, aufwendig sanierten Elsnerhaus, in illustrer Nachbarschaft zum Aufbauhaus mit Modulor, Aufbau-Verlag und etwa der privaten Musikhochschule „Akademie für Musik“.

Musikalisch war auch die Geschichte der Gegend, stand bis 2008 doch noch das alte „Bechsteinhaus“ auf dem Gelände, wo in den 1980er-Jahren die weltberühmten Flügel produziert wurden. Bei JustMusic galt dann für gut zehn Jahre: 7.000 Quadratmeter Musik­instrumente, Noten, alles was das Herz begehrt, 7.000 Quadratmeter Musikkultur, 7.000 Quaratmeter Einzelhandel. Damit ist Mitte März 2024 endgültig Schluss. 

Musikgeschäft schließt: JustMusic am Moritzplatz in Kreuzberg. Foto: Makar Artemev
Musikgeschäft schließt: JustMusic am Moritzplatz in Kreuzberg. Foto: Makar Artemev

Überraschend ist das alles nicht: Derartige Gerüchte machten spätestens seit Ende letzten Jahres schon in Musiker:innenkreisen on- und offline die Runde. Bereits 2021 wurden die Filialen im Rest der Republik, aber auch die zu JustMusic gehörige Piano Galerie in Wilmersdorf geschlossen, Umstrukturierungen sollten einen Fokus auf das Kerngeschäft in Berlin setzen und auf das seit 2019 begonnene Onlinegeschäft, das, so waren die Pläne, 2021 auch auf ganz Europa ausgeweitet werden sollte. Doch zwei Jahre später sah es auch in der Haupt- und nunmehr einzig verbliebenen Filiale nicht sehr rosig aus: Neue Ware wurde schon eine Weile nicht nachgefüllt, stattdessen sollten jetzt „In-Store Winter-Deals“ Kund:innen locken. In Onlineforen gaben sich Musiker:innen untereinander Tipps, jetzt noch schnell günstig teures Drumzubehör und anderes zu kaufen, aber teilten auch ihre Wut über eine aus ihrer Sicht nur notdürftig gepflegte Webseite.   

JustMusic schließt: Onlinehandel frisst stationären Verkauf

Überhaupt, die Sache mit dem Internet, 2019 erst so richtig das Internet als Marktplatz für sich zu entdecken, das kann natürlich als Liebe zum stationären Handel gesehen werden. Und gerade bei Musikinstrumenten gibt es dafür durchaus auch gute Argumente. Man muss sie in den Händen halten, ausprobieren, ihr Gewicht, ihr Gefühl, ihren Klang live und direkt spüren. Doch die Realität ist: Onlinehandel hat sich längst durchgesetzt. In Deutschland erkannte das als erstes der oberfränkische Musikhändler Thomann, der schon 1996 seinen Onlinehandel startete. Heute ist er in seiner Nische der absolute Marktführer, der durch seine Größe und Struktur natürlich mehr Angebote machen kann. Und gerade in Zeiten der Polykrise, wie wir sie gerade durchleben, in Zeiten, in denen es für viele Menschen wirtschaftlich eng wird, achten Kund:innen noch mehr aufs Geld.

Neben der Konkurrenz des Onlinehandels scheinen auch die Geschäftsschließungen während der Lockdowns, gestiegene Kosten, Fachkräftemangel und das schon erwähnte allgemein nicht unbedingt ideale Wirtschaftsklima angesichts multipler weltweiter Verunsicherungen das Schicksal des einstigen Berliner Riesen besiegelt zu haben, so suggeriert es zumindest das von JustMusic auf seinem Unternehmensblog veröffentlichte Statement. Für Berliner Musiker:innen ist diese Schließung allerdings kein Einzelfall: Musik-Service, immerhin 50 Jahre an der  Sonnenallee zuhause, schloss ebenfalls erst kürzlich, nur wenige Monate, nachdem dem Laden im Musikvideo zu „Friesenjung“ von Ski Aggu ein chartstürmendes Denkmal ­gesetzt wurde, seine Türen.

Der Wegfall von Musikeinzelhandel hat auch weiterführende Konsequenzen

Dort ließ der Inhaber Michael Helm zwar die Ära vor allem aus gesundheitlichen Gründen enden, aber so richtig rund läuft es für kaum einen stationären Einzelhändler, viele sind von ähnlichen Problemen geplagt. Musikinstrumente sind für viele Menschen letztendlich ein Luxusprodukt – und auf die wird in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit nun mal als ­erstes verzichtet. Hinzu kommt, dass Angebote wie die von Land und Bezirken getragenen Musikschulen wie so viele andere Einrichtungen von Kürzungen betroffen sind, wie der RBB Anfang Dezember letzten Jahres berichtete. Weniger Plätze an Musikschulen bedeutet allerdings auch, dass wenig Menschen ein neues Instrument erlernen können. Und das wiederum führt auch zu weniger Kund:innen in Musikfachgeschäften. 

Es wird eng für Bands, die in Neukölln spielen und mal eben ein neues Drumfell oder ’ne Gitarrensaite brauchen.

Andreas Schneider, SchneidersLaden

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Der Wegfall von Musikeinzelhandel hat aber auch weiterführende Konsequenzen: „Es wird eng für Bands, die in Neukölln spielen und mal eben ein neues Drumfell oder ’ne Gitarrensaite brauchen”, meint Andreas Schneider von SchneidersLaden, einem der deutschland-, wenn nicht sogar weltweit bedeutendsten Fachgeschäfte für Synthesizer, Drum Machines und andere elektronische Musikinstrumente. Aber es ist nicht alles verloren – und Andreas Schneider und sein Laden stehen wie viele andere dafür, wie es eben doch gehen kann. Und zwar: radikale Nische und radikal dem Kunden zugewandte Beratung, Reparaturdienste, Communitybuilding. SchneidersLaden beispielsweise bietet selbst regelmäßig Workshops an, bei denen Interessierte die Instrumente kennenlernen können, richtet mit der „Superbooth” eine eigene Messe mit Festivalcharakter aus und ist so etwas wie ein Hub, zu dem Liebhaber:innen elektronischer Klangerzeugung und jene, die es werden wollen, hinpilgern können.    

Analoger Handel statt Online-Plattform – Sachkenntnis statt Masse 

Eine derartige Position kann natürlich nicht jeder Laden einnehmen, erst recht nicht, wenn im Fokus Instrumente stehen, die nicht unbedingt so beratungsintensiv sind wie Modularsysteme und auch der breiten Masse nicht ganz fremd daherkommen wie Gitarren, Drums oder Pianos. Aber die Berliner Landschaft für Musikfachgeschäfte zeigt auch jenseits der elektronischen Instrumente in SchneidersLaden, dass Sachkenntnis, zugewandte Kundenbeziehungen und auch die Bereitschaft, eine eigene Nische zu umarmen, der Grundstein für ein solides Geschäft bilden können. 

Musikfachgeschäfte, wie fast alle anderen Einzelhändler, leben weniger von den kostspieligen großen Anschaffungen, sondern von dem Kleinkram, der regelmäßig gebraucht wird. Die reinen Produkte dafür können Kund:innen längst bequemer und vielfach auch günstiger im Internet bestellen. Doch die Beratung, welche Saite nun am besten ist, welches Drumfell vielleicht besser passt und ob man das alte Instrument noch reparieren kann, die können die Riesen auf dem Onlinemarkt nicht übernehmen. 

Vielleicht lassen sich so Neugründungen im Bereich der Berliner Musikaliengeschäfte wie WildWoodWinds und Georg Masswig Lautenbau erklären, die sich eine Werkstatt auf der Neuköllner Richardstraße teilen. Zwar nicht unbedingt Verkaufsadresse (auch wenn WildWoodWinds auch eine kleine Auswahl an Instrumenten zum Verkauf anbietet), aber die beiden ehemaligen Mitarbeiter von JustMusic sind doch ein Beispiel dafür, dass Instrumentenfachwissen in der Stadt durchaus geschätzt und gebraucht wird. Allerdings eben eher in der Tiefe als in der Breite – wenn es auch durchaus immer noch breit aufgestellte Unternehmer gibt, die in der Stadt verfestigt sind, etwa Borkowsky Instrumente & Band-Equipment in Friedrichshain oder das weit über 100-jährige Musikhaus Cantus-Riedel.

So gemütlich können Musikgeschäfte aussehen, hier ein Fachhandel für Musikinstrumente in Mitte. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg
So gemütlich können Musikgeschäfte aussehen, hier ein Fachhandel für Musikinstrumente in Mitte. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg

Doch das Gros der Fachhändler reüssiert in seiner Nische. Da wären etwa das Kreuzberger Orientmusikhaus, der Spezialist für verschiedenste Instrumente aus dem gesamten Nahen und Mittleren Osten hält sich beispielsweise seit 1991. Nur einen kurzen Spaziergang entfernt setzt Pulse Percussion in der Graefestraße seinen Fokus auf „Musikinstrumente aus allen Welten”, wie es die Webseite verspricht. Das sind im Sortiment außereuropäische Blas- und Saiteninstrumente wie Hörner und Didgeridoos, aber auch Percussioninstrumente wie Cajóns oder vietnamesische Maultrommeln und Instrumente für Musiktherapie, Schulen und Kindergärten. In Charlottenburg ist der American Guitar Shop auf Gitarren spezialisiert, im Prenzlauer Berg vertreibt der Tribu Music Store auch ungewöhnliche Instrumente wie Gongs oder Handpans. Berliner Geschäfte für Musikläden stellen wir hier vor.

In der Nische liegt die Kraft – und die Gefahr

Doch zugespitzte Nische bedeutet auch im Zweifelsfall alleine zu kämpfen. Und alleine zu kämpfen bedeutet den gleichen Gefahren wie andere Einzelhändler ausgesetzt zu sein: Verdrängung. „Ich will dir ja nicht den Wind aus den Segeln nehmen, aber Ende des Jahres muss ich hier auch raus”, erzählt etwa Harald Truetsch. Besser bekannt ist der gutgelaunte Siebenbürgener als der Ukulele-Experte Berlins, seinen Laden Leleland eröffnete er 2010 auf der Gneisenaustraße. Gab ja keinen anderen, also dachte sich der Hobbymusiker: selbstmachen. Seitdem verkauft er dort nicht nur Ukulelen, sondern auch Banjolelen, Guitalele und Ukubass. Und auch ein paar Instrumente in Normgröße. Vor allem stationär – Onlinehandel ist für Einzelunternehmer nicht immer leicht zu stemmen. Aber eigentlich läuft der Laden für Truetsch auch so – nicht nur Berliner Ukulele-Fans und jene, die es werden wollen, kaufen hier ein, auch Schulen bestellen hier ganze Sätze, und Musiker:innen aus ganz Deutschland und sogar Europa reisen eigens nach Berlin, um sich bei Leleland ausstatten zu lassen.

Doch der Hauseigentümer verdreifacht die Miete und damit kann kaum ein:e Einzelkämpfer:in wie Truetsch konkurrieren. Er zeigt auf leerstehende Nachbarlokale: „Da war ein französischer Käsehändler und drüben eine Kaffeerösterei.” Alle wurden von steigenden Mieten verdrängt. Und die Geschäftsräume bleiben leer: die Vermieter lassen lieber Leerstand walten, als von ihren Preisvorstellungen abzurücken. Aufgeben will Truetsch aber nicht und sucht schon nach einem neuen Laden. 

Wo spielt also in Zukunft in Berlin die Musik? Bei Expert:innen, die sich mit Leidenschaft ihren Instrumenten widmen, egal ob es nun Maultrommeln sind, Westerngitarren, Synthesizer oder, wenn Truetsch ein neues Lokal findet, Banjolele und Co. Aber damit sie weiter Berlin zum Klingen bringen können, brauchen sie auch eine Stadt, die ihnen Gehör schenkt – und zwar auch ihren Sorgen. 


Der Text über das Ende von JustMusic kommt aus dem tipBerlin-Magazin für den März 2024. Unsere Titelgeschichte: Wie die Hauptstadt düstere Plots inspiriert. Auf Spurensuche mit Berlins besten Krimi-Schriftsteller:innen. Hier könnt ihr das Heft bestellen.

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