Berliner Straßen

Bergmannstraße in Kreuzberg: Geschichte einer Pulsader

Die Bergmannstraße ist für Kreuzberg 61 das, was für Kreuzberg 36 die Oranienstraße ist. Eine geschäftige Pulsader, die das Tempo und die Befindlichkeit des Kiezes in sich vereint. Kleine Läden, Boutiquen, Second-Hand-Geschäfte, Bars und natürlich die Restaurants und Imbisse mit Spezialitäten aus aller Welt reihen sich hier dicht aneinander. Zwischen Mehringdamm und Marheineke Markthalle tobt das Leben!

Das Stück der Bergmannstraße bis zum Südstern ist wesentlich ruhiger. Hier grenzen mehrere Friedhöfe direkt an, die Anzahl der Cafés und Boutiquen nimmt ab. Beide Teile haben ihren ganz speziellen Charme. Entlang von 12 Fotos erzählen wir hier die Geschichte der Bergmannstraße von der Kaiserzeit über den Schwarzmarkt in der Nachkriegszeit und die linke Szene bis zu den umstrittenen Verkehrskonzepten der Gegenwart.


Bergmannstraße ist in der Kaiserzeit Geschäftsstraße

 Fleischerei August Scharf, Bergmannstraße 89, Kreuzberg, Aufnahme um 1908. Foto: Zenodot/Wikimedia Commons/gemeinfrei
Fleischerei August Scharf, Bergmannstraße 89, Kreuzberg, Aufnahme um 1908. Foto: Zenodot/Wikimedia Commons/gemeinfrei

Bis 1837 hieß die Straße unweit des Kreuzbergs noch Weinbergsweg, in der Nachbarschaft befand sich eine Brauerei, doch tatsächlich nutzte man das Gebiet seit dem 16. Jahrhundert für den Weinanbau. Bis heute wachsen im Viktoriapark Trauben und das Bezirksamt Kreuzberg lässt jedes Jahr einige hundert Flaschen des einzig echten Kreuzberger Weins abfüllen.

Die Umbenennung zu Bergmannstraße erinnert an die Grundbesitzerin Marie Luise Bergmann (1774–1854), der die Grundstücke rund um die ab 1861 ins Straßenregister aufgenommene Straße gehörten.

Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Kreuzberg rasant. Fabriken, Mietshäuser und öffentliche Gebäude schossen aus dem Boden und die Bergmannstraße bekam den urbanen Charakter mit den schönen Gründerzeitfassaden und vielen Ladengeschäften, den sie sich bis heute bewahrt hat.


Die Marheineke Markthalle

Die Marheineke Markthalle im Jahr 1925. Foto: Archiv
Bergmannstraße: Die Marheineke Markthalle im Jahr 1925. Foto: Archiv

Ende des 19. Jahrhunderts existierten in Berlin 14 Markthallen, die der Ordnung halber durchnummeriert wurden. Am bekanntesten ist heute noch die Markhalle IX in Kreuzberg 36, die die Zahl im Namen beibehalten hat. Insgesamt sind aber nur noch wenige Markthallen erhalten geblieben. Die Markthalle am Marheinekeplatz, direkt an der Bergmannstraße auf Höhe der Zossener Straße gelegen, gehört dazu.

Eröffnet wurde die flache Halle mit gut 3000 Quadratmetern Grundfläche im Jahr 1892. Sie ersetzte die offenen Märkte im Bezirk. Bis zum Zweiten Weltkrieg bildete sie das ökonomische Herz im Kiez. Im Krieg zerstört, wurde sie restauriert und wiedereröffnet. In West-Berliner Zeiten hat sie weiterhin die Nachbarschaft versorgt, doch verfiel sie zunehmend und dümpelte Ende der 1990er-Jahre vor sich hin.

Es folgte eine weitere Sanierung, 2007 eröffnete die neue Marheineke Markthalle mit viel Licht und Glas und Bioläden. Mehr Infos zu der neuen Marheineke Markthalle finden sich hier.


Bergmannstraße: Schwarzmarkt im amerikanischen Sektor

Der Schwarzmarkt in der Bergmannstrasse, Aufnahme von 1948. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S79355 / CC-BY-SA 3.0
Der Schwarzmarkt in der Bergmannstrasse, Aufnahme von 1948. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S79355 / CC-BY-SA 3.0

Der Handel gehört zur Bergmannstraße dazu, und die geschäftige Seele der Kreuzberger Ladenmeile hat sich auch direkt in der Nachkriegszeit manifestiert. Die alte Markthalle war zerstört, doch viele Mietshäuser sind erhalten geblieben und im Kiez entwickelte sich rasch ein buntes und nicht immer legales Treiben.

Weil viele Waren fehlten und die reguläre Versorgung nicht funktionierte, herrschte auf den Schwarzmärkten in den Westsektoren der Stadt Hochbetrieb. Auch mit der neuen Währung, der Westmark, wurde schon wenige Stunden nach Ausgabe „gehandelt“. Das Bild aus dem Jahr 1948 zeigt eine Razzia der Polizei auf dem „Schwarzen Markt“ in der Bergmannstraße in Kreuzberg.


Die 1970er-Jahre und die Politisierung

Marheineke Markthalle und Passionskirche, Kreuzberg um 1974. Foto: Imago/Serienlicht
Marheineke Markthalle und Passionskirche, Kreuzberg um 1974. Foto: Imago/Serienlicht

West-Berlin in den 1960er-Jahren hat sich radikal politisiert. Rudi Dutschke führte die Studentenproteste an, die RAF hat sich gegründet und in Berlin war die Bewegung 2. Juni aktiv. Der alte Arbeiterbezirk Kreuzberg wandelte sich parallel dazu seit den 1950ern zur Heimat von Künstlern- und Boheme. Der Mythos Kreuzberg entsteht und auch die Bergmannstraße spielt dabei eine Rolle.

1975 entführten Mitglieder der Bewegung 2. Juni den Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz (1922-1987). Die Begründung der Terroristen lautete: Lorenz sei ein „Vertreter der Reaktion und der Bonzen, verantwortlich für Akkordhetze und Bespitzelung am Arbeitsplatz“, man forderte die Freilassung politischer Gefangener. Es kam zum Austausch und der Befreiung der Geisel. Lorenz wurde in der Schenkendorfstraße, einer Nebenstraße der Bergmannstraße, festgehalten. Die RAF und Berlin: So beeinflusste die Rote Armee Fraktion die Stadt.


Der linke Kiez um die Bergmannstraße in den 1980ern

Die Bergmannstraße am 14. Dezember 1982. Foto: Willy Pragher/Landesarchiv Baden-Württemberg/CC 3.0
Die Bergmannstraße am 14. Dezember 1982. Foto: Willy Pragher/Landesarchiv Baden-Württemberg/CC 3.0 

In Kreuzberg tobte seit den späten 1970er-Jahren der Häuserkampf. Es gab Besetzungen, Demos und Straßenschlachten. In der Regel wird die Entwicklung im Nachhinein einzig Kreuzberg 36 zugeschrieben, doch auch in Kreuzberg 61 herrschte eine explosive Stimmung.

Rund um den Chamissoplatz, der zum Bergmannstraßenkiez dazugehört, hingen rote Fahnen aus den Fenstern. In linken Kneipen in der Nachbarschaft, wie dem Schlemihl, trat auch die einflussreiche Polit-Kabarett-Truppe Die 3 Tornados auf.

Rudolf Thomes Film „Berlin Chamissoplatz“ aus dem Jahr 1980 führt in diese Zeit, als sich Politik, Stadtplanung, teure Mieten und Kiezleben vermischten.


Gentrifizierung von Kreuzberg 61

Eckkneipe Kreuzberger Molle, Bergmannstraße, 1990er-Jahre. Foto: Imago/Lem
Eckkneipe Kreuzberger Molle, Bergmannstraße, 1990er-Jahre. Foto: Imago/Lem

Nach der Wende wurde alles anders. Kreuzberg verlor an kultureller Bedeutung, die Künstler, Galerien und Clubs zogen in den Osten der Stadt. Kreuzberg 61 entwickelte sich jedoch zu einer beliebten Wohngegend für ökologisch bewegte Akademiker. Die Säufer, Türken, Arbeitslose und andere alteingesessene Kiezbewohner mussten Sanierungen und Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen weichen.

Die Gentrifizierung von Kreuzberg 61 begann in den 1990er-Jahren und machte sich in der Bergmannstraße deutlich bemerkbar. Nicht nur viele alte Bewohner verschwanden, sondern auch die Eckkneipen. An ihrer Stelle zogen Cocktailbars ein und der Kiez erfreute sich auch bei Touristen großer Beliebtheit.


Kreuzberger Traditionsgeschäfte

Tabakladen. Foto: Imago/Lem
Tabakladen an der Bergmannstraße. Foto: Imago/Lem

Viele Ladeninhaber mussten aufgeben, doch einige konnten sich trotz des Wandels behaupten. Geschäfte mit Klamotten, Platten, alten Möbeln oder Schnickschnack existieren in der Bergmannstraße seit Jahrzehnten. Es herrscht Trubel aber auch eine gewisse Beständigkeit. Den Ararat-Laden an der Ecke Nostitzstraße gibt es schon fast immer, so auch das Weing’schäft in der Bergmannstraße 16 oder den Kiosk mit dem schönen Zigarren-Schild, der ist immer noch da.


Eine kulinarische Weltreise

Lone Star Taqueria, mexikanisches Restaurant. Foto: Imago/Imagebroker
Lone Star Taqueria, mexikanisches Restaurant an der Bergmannstraße. Foto: Imago/Imagebroker

Kreuzberg 61 ist ein Wohlfühlort. Restaurants aus aller Welt bieten Speis und Trank an. Zwischen Mehringdamm und Marheineke Halle kann man sich durch alle Kontinente und kulinarische Traditionen essen. Italienisch, indisch, japanisch, chilenisch, ostafrikanisch, österreichisch und mexikanisch, unter anderem. Hier wird Multikulti tatsächlich gelebt und die Bergmannstraße ist dafür der lebendige Beweis. Wer Lust auf ein Café in Kreuzberg hat, findet hier einige Tipps.


Bergmannstraße aus zweiter Hand

Trödler und Second-Hand-Läden gehören zur Bergmannstraße dazu. Foto: Imago/Schöning
Trödler und Second-Hand-Läden gehören zur Bergmannstraße dazu. Foto: Imago/Schöning

Berlin war immer auch eine Stadt der Flohmärkte, Trödler und Second-Handläden. Anfangs noch eher dem Ramsch und billigen Alternativen zur Neuware verpflichtet, stehen heute die Vintage-Boutiquen in der Bergmannstraße für ausgesuchtes Design aus vergangenen Jahrzehnten. Hier gilt: old but gold!

Obwohl viele der alten Trödler verschwunden sind, es ist nicht alles weg. Bei Picknweight (Bergmannstraße 102) kann man zum Beispiel gebrauchte Kleidung zum Kilopreis kaufen und an der Ecke Schenkendorfstraße findet sich ein gutes Antiquariat. Weitere wichtige Buchläden im Kiez sind Hammet und Otherland, beide an der Ecke Friesenstraße, die die Herzen von Krimi- und Science-Fiction-Fans höher schlagen lassen.


Jubel und Trubel in der Bergmannstraße

Das Kiezfest 2014. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg
Das Bergmannstraßenfest 2014. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg

Es hieß erst Bergmannstraßenfest, irgendwann mal Jazzfest Bergmannstraße und mittlerweile Kreuzberg-Festival. 2020 musste das bunte Fest mit Live-Musik, Verkaufsständen und unendlich viel Essen und Trinken wegen Corona ausfallen, auch 2021 gab es eine Absage. 2022 hat es endlich wieder geklappt, alles dazu auf der Website zum Festival.


Der ruhige Teil der Bergmannstraße

Friedhöfe an der Bergmannstraße. Foto: Imago/Lars Reimann
Friedhöfe an der Bergmannstraße. Foto: Imago/Lars Reimann

Wer die geschäftige Bergmannstraße in Kreuzberg in Richtung Südstern läuft, verlässt ab dem Marheinekeplatz den Trubel und gelangt an eine lange Ziegelsteinmauer. Dahinter verbergen sich die Friedhöfe an der Bergmannstraße. Das Café Strauß, direkt am Eingang zu den Friedhöfen, gehört zu den charmantesten Orten im Kiez.

Hinter dem Tor erwartet den Besucher eine Oase der Ruhe, weitläufige Alleen, kleine Trampelpfade, historische Gräber, düster-romantische Statuen und hinter Bäumen versteckte Kapellen. Einer der schönsten Friedhöfe in Berlin!


Die verpollerte Stadt

Poller und markierte Fahrbahn in der Bergmannstraße. Foto: Imago/Kitty Kleist-Heinrich/TSP
Poller und markierte Fahrbahn in der Bergmannstraße in Kreuzberg. Foto: Imago/Kitty Kleist-Heinrich/TSP

Die Stadt soll autofrei werden oder zumindest autofreier. Bezirke und Senat feilen an innovativen Verkehrskonzepten und die Bergmannstraße stand immer wieder im Zentrum der stadtplanerischen Experimente. Nicht zuletzt aufgrund des unerschütterlichen Engagements des umstrittenen Bezirksstadtrats Florian Schmidt (B’90/Die Grünen).

Hier wurden gelbe Kreise auf den Asphalt gemalt, Poller aufgestellt und riesige Findlinge installiert. Das Gespenst der „Begegnungszone Bergmannstraße“ geht um… und es wird auch neue Ideen geben, vermutlich kontroverse, da sind wir uns sicher.

Doch eines ist klar, die Bergmannstraße bleibt eine der schönsten und spannendsten Meilen in Berlin und eine der wichtigsten Straße in Kreuzberg sowieso.


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