Geschichte

12 wichtige Berliner Wissenschaftlerinnen: Pionierinnen und Verstoßene

Deutschlands akademische Welt war im 19. Jahrhundert elitär, bigott und, allen voran, nicht divers. In Berlin gab es zwar Wissenschaftlerinnen, die mussten sich ihr Recht auf eine Promotion oder gar Habilitation erkämpfen. Und selbst wenn sie eine Professur bekamen, auf einen Lehrstuhl mussten die Berliner Wissenschaftlerinnen verzichten. Gehalt für ihre Arbeit gab es auch nicht. Erst 1920 hat sich das geändert, wenn auch im selben schnarchigen Tempo, in dem sich der Staub auf die Gewänder altbackener Dekane legt. Wir stellen 12 Berliner Wissenschaftlerinnen vor, die als Pionierinnen eine Forschungslaufbahn eingingen.


Elsa Neumann (1872–1902)

Die Wissenschaftlerin Elsa Neumann bei ihrer Promotion 1899. Damals war die Welt noch schwarzweiß. Bild: Ewald Thiel

Sie war die erste Frau, die an der Universität Berlin ihren Doktor machte. 1899 schloss Elsa Neumann ihr Physikstudium ab. Bis dahin brauchte es vor allem einen langen Atem, was nicht etwa der Komplexität ihres Fachs geschuldet war. Frauen in Preußen waren bis 1908 formaljuristisch vom Studium an Universitäten ausgeschlossen, sie mussten auf das Wohlwollen der Professoren hoffen. Neumann musste in allen Fächern (Mathematik, Physik, Chemie, Philosophie) Erlaubnis einholen, für die Promotion erhielt sie eine spezielle Genehmigung des Kultusministeriums. Die Berliner Wissenschaftlerin war eine Pionierin und bekam entsprechend mediale Aufmerksamkeit, die sie gleich für ihren Kampf für Geschlechtergerechtigkeit an den deutschen Universitäten nutzte.

Max Planck und Emil Warburg, ihres Zeichens Promis der Physiklandschaft, förderten Neumann, beantragten sogar ihre Aufnahme in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. So progressiv die Uni auch wirken mochte, die Rede des Dekans nach Neumanns Abschluss strotze nur so vor (diplomatisch) Geschlechterkonservativismus oder (weniger diplomatisch) Misogynie. So durfte Neumann nicht wissenschaftlich arbeiten, da das mit ihrer Stellung als Frau, der „Hohepriesterin des Hauses“, nicht vereinbar sei. Fortan experimentierte sie in einem Privatlabor an der Chausseestraße. 1902 starb sie an einer Blausäurevergiftung infolge eines Experiments.


Paula Hertwig (1889–1983)

Paula Hertwig (links) bei einem Treffen des Demokratischen Fraunebundes. Foto: Deutsche Fotothek/CC BY-SA 3.0 de

1919 habilitierte die Wissenschaftlerin Paula Hertwig als erste Frau an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin in Zoologie, 1927 wurde sie nichtbeamtete Professorin an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität. Dass sie als Mitglied der linksliberalen Deutschen Staatspartei und Abgeordnete im preußischen Landtag (1932) die Machtübernahme der Nationalsozialisten überlebte, lag wahrscheinlich auch daran, dass sie dem NS-Dozentenbund beitrat, eine Organisation, die wissenschaftlichen Nachwuchs nach nationalsozialistischen Geist (ver)formen sollte.

Auch die „Rassenlehre“ spielte eine Rolle, was sich mit Hertwigs Fokus auf Vererbungslehre gebissen haben dürfte. Die Wissenschaftlerin trat nicht der NSDAP bei. 1947 war sie Mitglied des Bundesvorstand des Demokratischen Frauenbundes. Es folgten zahlreiche Auszeichnungen, etwa der Titel als Hervorragende Wissenschaftlerin des Volkes. Als Begründerin der Strahlengenetik, die Erbgutschäden durch Strahlenbelastung untersucht, hat sie das wohl auch verdient.


Lise Meitner (1878–1968)

Ein Denkmal für Lise Meitner an der Humboldt-Universität. Foto: Kvikk/CC BY-SA 4.0

Erst nachdem sie an der Wiener Universität in Physik promovierte und ein Jahr am dortigen Institut für Theoretische Physik arbeitete, zog die Wissenschaftlerin Lise Meitner 1907 nach Berlin. Sie hörte Vorlesungen bei Max Planck und traf den jungen Chemiker Otto Hahn, mit dem sie 30 Jahre zusammenarbeitete. Anfangs als unbezahlter Gast in Plancks Unilabor. Zusammen entdeckten sie unter anderem viele radioaktive Nuklide. 1913, nachdem sich die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen zunehmend besserten, nahm sie das Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie als wissenschaftliches Mitglied auf. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges zeigte sie sich begeistert, arbeitete sogar als Röntgenschwester in einem Frontlazarett.

Jahre später, 1925, habilitierte die Berliner Wissenschaft als erste Frau in Physik, wodurch sie eine Lehrbefähigung erhielt. Als außerordentliche Professorin unterrichtete sie an der Berliner Universität, doch lange hielt das nicht. Als Tochter eines Juden verlor sie nach Machtübernahme der NSDAP die Lehrerlaubnis und floh wenig später über Holland nach Schweden. 1960 ließ sie sich in Cambridge nieder. Berlin besuchte sie zuletzt 1964, eine endgültige Rückkehr gab es nicht.


Rahel Hirsch (1870–1953)

Die Geschichte der Berliner Medizinerin Rahel Hirsch fand ein bitteres Ende. Foto: Bain news Service

Rahel Hirsch machte 1903 ihr Examen zur Medizinerin und arbeitete kurz darauf an der Charité, deren Geschichte wir hier erzählen. Die Wissenschaftlerin widmete sich dabei der Darmschleimhaut und fand heraus, das grobkörnige Nahrungspartikel, etwa Stärkekörner, diese passieren und in den Harntrakt ausgeschieden werden. Ihre Befunde durfte sie als erste Frau der Gesellschaft der Chefärzte vorstellen. 1913 bekam Hirsch ebenfalls als erste Medizinerin in Preußen einen Professorentitel, aber keinen Lehrstuhl. Ihre Arbeit finanzierte die Charité auch nicht. Hirsch eröffnete eine Privatpraxis, die sie nach der NS-Machtübernahme aufgab. 1938 emigrierte sie nach London, ihre Approbation erkannte der Staat jedoch nicht an. Zwangsläufig arbeitete sie als Laborassistentin und Übersetzerin. Aufgrund von Depressionen und Wahnvorstellungen ließ sie sich in eine Nervenheilanstalt einweisen, in der sie letztlich verstarb.


Charlotte Leubuscher (1888–1961)

Bis 1933 arbeitete die Wissenschaftlerin Charlotte Leubuscher in Berlin. Foto: Jörg Zägel/CC BY-SA 4.0

Als erste Frau habilitierte die Ökonomin Charlotte Leubuscher 1921 an der Universität Berlin außerhalb naturwissenschaftlicher Disziplinen. Sie befasste sich mit dem Sozialismus und der Sozialisierung in England, ein Gebiet, das ihr wissenschaftliches Interesse schon Jahre davor prägte. Sie schrieb 1911 etwa eine Monografie zum Arbeitskampf der englischen Eisenbahner. Als „Halbjüdin“ verlor sie 1933 ihre Lehrbefugnis, weshalb sie nach London emigrierte und unter anderem an der London School of Economics ihre Forschung sowie Lehrtätigkeit fortsetzte. Ihr restliches Leben verbrachte sie dort, begraben wurde die Berliner Wissenschaftlerin jedoch in Kreuzberg.


Hilda Pollaczek–Geiringer (1893-1973)

Die gebürtige Österreicherin Hilda Pollaczek-Geiringer war Mathematikerin und ging, wie so viele Berliner Wissenschaftlerinnen, in den 1930er-Jahren ins Exil. Foto: CC BY-SA 4.0

Hilda Pollaczek-Geiringer war die erste Privatdozentin für Mathematik an der Universität Berlin und neben Emmy Noether die einzige in der Weimarer Republik. Sie entwickelte die heute als Geiringer-Gleichungen bekannte Formel zur Deformation von Plastik. Im Grunde beschreiben sie, wie die Geschwindigkeitsverteilung in einem deformierbaren Körper ausfällt. Keine Charme bei Unverständnis, ist nicht prüfungsrelevant. 1933 verlor sie ihre Lehrbefugnis, weshalb sie in die USA exilierte. Sie unterrichtete am Bryn Mawr College und der Brown University, stand aber wieder vor dem Problem als Frau keine Professur zu erhalten. Erst 1944 bekam sie eine am Wheaton College.


Gertrud Kornfeld (1891–1955)

Geboren und ausgebildet in Prag, verließ die Chemikerin Gertrud Kornfeld 1919 die Tschechoslowakei aufgrund von politischen Umbrüchen. Sie bekam eine Stelle als Volontärassistentin bei Max Bodenstein, einem Physikochemiker. Erst 1925 wechselten sie zusammen zum Physikalisch-Chemischen Institut der Berliner Universität. Bis Kornfeld habilitierte, dauerte es nur drei Jahre. Damit war sie nicht nur die erste Chemikerin an der Uni Berlin mit einer Lehrbefugnis, sondern auch in der gesamten Weimarer Republik. Leider traf auch sie dasselbe Schicksal wie viele andere Berliner Wissenschaftlerinnen: 1933 verlor Kornfeld die Lehrerlaubnis, sie emigrierte nach London. Sie arbeitete an der Universität Nottingham, allerdings nur stipendienfinanziert. Eine Festanstellung blieb aus. 1937 bekam sie in den USA eine Laboranstellung, eine universitäre Karriere blieb ihr allerdings verwehrt.


Alice Salomon (1872–1948)

Alice Salomon war eine Vorkämpferin für Frauenrechte. Foto: National Library of Israel/CC BY 3.0

Alice Salomon war eine wichtige Sozialreformerin der Deutschen Frauenbewegung. Dafür musste sie sich erstmal aus einem geschlechterkonservativen Korsett lösen. Nach ihrer Schulausbildung fristete sie ein Dasein als Haustochter, ein für sie unbefriedigendes Leben. Mit 21 Jahre erlebte sie nach eigenen Angaben ein Erwachen, schloss sich der Mädchen und Frauengruppe für soziale Hilfsarbeit an und trat später dem Bund Deutscher Frauenvereine bei.

1906 promovierte sie in Soziologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, obwohl sie kein Abitur hatte. Ihre Dissertation behandelte die Ursachen ungleicher Löhne zwischen Männer und Frauen, was nach wie vor ein problematisches Thema ist. In Schöneberg gründete sie zwei Jahre später die erste Frauenschule. Von der Universität Berlin bekam sie 1932 einen Doktortitel verliehen, der ihr zusammen mit ihrer Staatsbürgerschaft 1939 wieder aberkannt wurde. Noch davor wanderte sie in die USA aus, konnte dort ihr berufliche Karriere jedoch nicht fortsetzen.


Agnes von Zahn-Harnack (1884–1950)

Eine Gedenktafel zur Ehren Harnacks in der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte. Foto: OTFW/CC BY-SA 3.0

Als Tochter des berühmten Chemikers Justus von Liebig verbrachte Agnes von Harnack eine Kindheit im Bildungsbürgertum des Berliner Westens. Sie besuchte eine höhere Mädchenschule, machte 1903 ihr Examen und arbeitete als Lehrerin. Neben ihrer Tätigkeit machte sie ihr Abitur. 1908 erließ das Kultusministerium die reguläre Zulassung für Frauen zum Studium, worauf sich Harnack als erste Frau offiziell in die Immatrikulationslisten der Friedrich-Wilhelms-Universität eintrug.

Sie studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie und schloss mit Promotion ab. 1919 heiratete sie Karl von Zahn, den späteren Ministerialrat im Reichsinnenministerium. Ihre Beziehung sollte ihr künftig noch nutzen, jedoch zu rein altruistischen Zwecken. Mit Aufkommen des Nationalsozialismus zog sie sich zurück, unterrichtete jüdische Kinder, denen der Schulbesuch offiziell verboten war, und schaffte diese dank ihrer politischen Beziehungen außer Landes. Nach dem Zweiten Weltkrieg protestierte die Berliner Wissenschaftlerin für Frieden und gegen Atomwaffen. Zudem schrieb sie mehrere Bücher zur Geschichte der Frauenbewegung. 1949 folgte die Ehrendoktorwürde der Philipps-Universität Marburg.


Bluma Zeigarnik (1901–1988)

Die Wissenschaftlerin Bluma Zeigarnik arbeitete lange Zeit in Berlin. Foto: Andrey Zeigarnik

Sie studierte nicht als erste Frau Psychologie, doch Bluma Zeigarnik zeichnet sich vor allem durch einen spannenden Befund aus: 1927 veröffentlichte sie ihre Dissertation mit dem Titel „Das Behalten erledigter und unerledigter Handlungen“. Sie fand dabei heraus, dass wir uns unerledigte Aufgaben deutlich besser merken können, der sogenannte Zeigarnik-Effekt. Damals erlangte die Wissenschaftlerin dadurch weltweit Anerkennung. Jedoch, und das ist wichtig, konnte der Effekt in darauffolgenden Untersuchungen nicht repliziert werden, weshalb das Phänomen heute als wenig zuverlässig gilt.

Bis 1931 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Berlin, danach zog sie zusammen mit ihrem Mann nach Moskau, wo sie sich weiter ihrer wissenschaftlichen Arbeit widmete. 1940 wurde ihr Mann infolge stalinistischer Repressalien verhaftet und erschossen, sie selbst fand Hilfe bei ihren Arbeitskollegen. 1967 wurde sie Professorin an der Lomonosov-Universität Moskau und erhielt 1983 den Lewin-Gedächtnis-Preis der Society for the Psychological Study of Social Issues.


Hedwig Dohm (1831–1919)

Hedwig Dohms Aussagen galten teilweise für die Frauenbewegung damals als zu radikal. Foto: Gemeinfrei

Die Schriftstellerin Hedwig Dohm veröffentlichte 1872 „Was die Pastoren von Frauen denken“, ihr erstes Werk zum Thema Frauenrechte, es folgten drei weitere Bücher – lange Zeit, bevor Dohm als (erste!) Gasthörerin an der Berliner Universität zugelassen war. Erst 1895 fand sie sich in den Hörsälen wieder, studieren durfte sie allerdings nicht. Neben ihrem Engagement für Frauen positionierte sie sich auch als eine der wenigen Berliner Intellektuellen gegen den Ersten Weltkrieg. Sie selbst war in den 1880er-Jahren Mitbegründerin des Frauenvereins Reform, der für ein Frauenstudium kämpfte. Ihre Essays, stets mit spitzer Feder geschrieben, ließ die rückständige Haltung der Altherren ihrer Zeit auffliegen.


Else Knake (1901-1973)

Else Knake promovierte 1929 an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität. Sie beschäftigte sich – stark verkürzt – mit der Frage, wie Lebererkrankungen bei Kindern mit Insulin und Traubenzucker behandelt werden können. Sie forschte, forschte und forschte über Jahre hinweg. 1946 war sie die erste Dekanin ihrer Fakultät und ab Oktober Prodekanin, Stellvertreterin des neuen Dekans. Dass jemand von der Führungs- in die Stellvertreterrolle rutscht, ist im universitären Betrieb normal. Da sie sich 1947 für protestierende Student:innen einsetzte, verlor sie jedoch ihre Position und wechselte zur Freien Universität als Honorarprofessorin. Aufgrund einer Erkrankung legte sie ihre Arbeit nieder und zog 1966 nach Mainz, wo sie Jahre später starb.


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