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Diese 12 Bibliotheks-Charaktere sind klassischer als Goethe

Die Bibliothek ist ein Ort der Weisheit, ein Tempel des Wissens, der gefüllt ist mit Fachbüchern, Romanen, Gedichten – und mit Menschen. Ja, denn natürlich ist man nicht alleine mit den Schätzen der Menschheitsgeschichte, andere wollen auch etwas von ihrem Glanz erhaschen. Die große Kunst ist es, sich von ihnen nicht nerven zu lassen. Wir stellen euch 12 Charaktere vor, die dazu leider großes Potenzial haben und die du in jeder Bibliothek triffst.


Der Merkzettel-Freak

Dieser Bibliothekscharakter hat immer einen Merkzettel zu wenig dabei. Foto: Imago/Steinach

Wo war dieses eine Zitat von diesem einen Typen nochmal? Der Klebezettel-Freak weiß es mit Sicherheit. Im Schreibwarenladen wird er täglich mit: „Das Übliche?“ begrüßt und verlässt das Geschäft mit einem frischen Satz neonfarbener Pelikan-Merkzettel. Damit kann er dann wieder einen Tag sein Gehirn ersetzen, einen Tag dem unerbittlichen Strom des Vergessens entgehen und verdrängen, dass Vergänglichkeit unausweichlich ist.


Die Flüster-Buddys

Wer flüstert, der nervt. Foto: Imago/Westend61

Ihr konzentriert euch gerade auf einen Text, aber am Rand eures Aufmerksamkeitsfeldes wird gewispert und diesmal sind es nicht die Stimmen in eurem Kopf, da seid ihr euch sicher. Nach dem Umdrehen bestätigt sich Der Verdacht: Zwei unzertrennliche Flüster-Buddys haben sich direkt hinter euch an den Tisch gesetzt. Auch der Versuch, intensiven Augenkontakt aufzunehmen, der alles und jeden zum Schweigen bringen würde, scheitert. Die beiden haben nur Augen und Ohren für die jeweils andere Person. Ihr leider auch. Denn wir wissen alle, dass Flüstern manchmal lauter sein kann als ein ordentlicher Schrei. Vor allem, wenn man gar nicht hinhören will, hört man meistens hin.


Der Serien-statt-Bücher-Charakter

„Bibliothek, gönn mal free-Wifi bitte.“ Foto: Imago/Waldmüller

Das Datenvolumen ist sowieso aufgebraucht, und zuhause teilt sich die Riesen-WG den Router mit zu wenig Reichweite und dem günstigsten Vertrag? Wem kann man da verübeln die Netflix-Binge-Session in die Bibliothek zu verlegen? Freies Bibliotheks-WLAN ist heutzutage die einzige Instanz, die es noch rechtfertigt, Deutschland einen Sozialstaat zu nennen. Serien schauen in der Bibliothek ist gelebter Sozialismus. Probiert’s mal aus.


Der Noise-Cancelling-Charakter

„JAWOHL, AUFSTIEEEEG! Oh, ich bin ja in der Bibliothek.“ Foto: imago/Panthermedia

Noise-Cancelling-Kopfhörer sind überall, alle haben sie. Vor allem in Berlin sind sie von enormer Wichtigkeit, um zum Beispiel die U8 zu überleben. Oder die Tristesse der Warschauer Brücke kurz mal abzuschalten. Für laute Orte ergibt das ja auch Sinn. In der Bibliothek hingegen ist es leise und hier wird auch das zentrale Problem der dieser Kopfhörer sichtbar oder vielmehr: hörbar. Denn wenn die Außengeräusche verstummen, hören die Noise-Verdränger leider auch nicht die selbst verursachten Geräusche. Dann werden die Bücher halt etwas zu laut auf den Tisch geknallt, der Laptopsound mal nicht ausgestellt oder die Seufzer angesichts der prekären Jobaussichten eben nicht unterdrückt. Und aufgepasst, wenn der Noise-Cancelling-Charakter Hertha guckt.


Der „Wenn du atmest, töte ich dich“-Jurist

„Entschuldigen, aber könnten Sie bitte aufhören zu existieren?“, fragt euch dieser Bibliotheks-Charakter. Foto: imago/agefotostock

Dieser Charakter trifft man in jeder Bibliothek, und er ist ziemlich leicht zu erkennen. Das liegt am aus der Zeit gefallenen Jacket, dem hohen Haaransatz, der langweiligen grauen Chino-Hose und dem konservativen Evergreen: Segelschuhen. Vor ihm thront der rote Schönfelder, den er von seinem Jura-Papi hat, den dieser wiederum von seinem Jura-Papi hat, bei dem man lieber nicht wissen möchte, für wessen Rechte er sich in den 1930er-Jahren eingesetzt hat. Dessen cholerische Art in Kombination mit einem manischen Zwang zur deutschen Ordnung wurden bis zu unserem heutigen Jura-Charakter weitergegeben, der euch schon beim Reingehen aus dem Augenwinkel beobachtet und dessen immer panischer werdenden Blick ihr nicht ignorieren könnt, während ihr auf den einzig freien Platz direkt neben ihm zusteuert. Wenn ihr dann noch die Dreistigkeit besitzt, euer Sprudelwasser zu öffnen, setzt dieser Bibliothekscharakter gleich eine Zivilrechtsklage gegen euch auf.


Trefft ihr in jeder Bibliothek: Den Typen, der zum Daten da ist

Manchmal euch schiebt dieser Bibliotheks-Charakter ein selbstgeschriebenes Gedicht rüber. Foto: imago/agefotostock

In Bibliotheken sollen intensive Blicke zwischen Leser:innen und ihren Büchern ausgetauscht werden. Es gibt aber auch Menschen, die solche Blicke lieber mit den anderen Menschen austauschen möchten. Sie bevorzugen handschriftlichen Text in ihren Büchern statt gedruckten. Vor allem wenn es die Handschrift des Crushs drei Reihen vor ihnen ist und der Text die Handynummer. Diese Charaktere haben wahrscheinlich nicht mitbekommen, dass nicht mehr Samstagabend ist und sie nicht mehr in dieser einen Bar hocken, wo ihr Versuch der Kontaktaufnahme aufgrund der lässigen Kippe in ihrem Mund nicht ganz so verzweifelt aussieht. Ganz ehrlich: Ein Blick ist ja okay, aber Leute kommen in eine Bibliothek zum Lesen, also lasst es auch dabei.


Die Fashionkings & Queens

Dieser Bibliothekscharakter wirft euch keinen Blick zu, wird aber insecure, wenn ihr es nicht macht. Foto: Imago/F. Kern/Future Image

Manche Straßen in Berlin sind mittlerweile zu regelrechten Laufstegen mutiert. Dieses Phänomen macht auch vor den Bibliotheken in Mitte nicht halt. Im Grimm-Zentrum könnt ihr nicht nur checken, ob ihr das richtige Buch ausgeliehen habt, sondern auch, ob ihr das richtige T-Shirt mit den richtigen Schuhen kombiniert hast und ob euer Outfit funktioniert. Abgestimmt wird per Blick-Zähler: Wie viele Leute gucken euch auf dem Weg von eurem Spind zu eurem Platz an? Ups, den Pulli solltet ihr morgen wahrscheinlich nicht mehr anziehen.


Der Theorie-Lord

Die Zimmerwände dieses Bibliothekscharakters sind in Reclam-Gelb gestrichen. Foto: imago/epd

Gelb ist eine wirklich schöne Farbe. Die Sonne ist gelb, Narzissen sind gelb, Capri-Eis ist gelb. Aber nichts ist so schön wie das Gelb eines frischen Reclam-Büchleins im einen Regal und dem sanft glitzernden Suhrkamp-Taschenbuch-Wissenschaft-Schriftzug im anderen. Der Theorielord hat sie eh alle, von Kant bis Luhmann und Foucault bis Marx stapelt sich das Wissen der Menschheit, neben ihm, unter ihm. Seitdem sowohl Reclam als auch Suhrkamp Merch und Notizhefte im Look ihrer Bücher verkaufen, müssen die Theorielords nicht einmal den Mund aufmachen, um von ihrer Leidenschaft zu erzählen. Tun sie aber trotzdem – vor allem im Seminar.


Die Ökos

Dieser Bibliothekscharakter bricht zwanghaft mit sozialen Normen. Was dann manchmal scheiße ist für die anderen. Foto: Imago/blickwinkel

Überall, wo es um Besserwisserei geht, sind auch die Ökos nicht weit. Sie sind ein wenig unauffälliger geworden, nachdem das Internet den weißen Ökos unter ihnen die Dreads abgeschnitten hat und ihnen etwas Demut beigebracht hat. Leider machen sie sich den anderen Leser:innen dennoch bemerkbar. Denn ihr notorischer Hang zum Tragen von Wollsocken, die sie sich während der letzten Blockade der A100 gestrickt haben, ist auch im Sommer präsent. Wenn da mal der Schuh gelüftet wird, ist das für die anderen das Zeichen für eine Kaffeepause.


Der alte Mann

Dieser Bibliothekscharakter arbeitet sich nach der Rente an Lebensthemen ab, ob Stalingrad-Strategie-Analyse oder Schreibfehlersuche in altgriechischen Erstausgaben. Foto: imago/fStop Images/Sven Hagolani

Alte Männer lieben Bibliotheken. Wenn in der Rente der Grund zum Aufstehen fehlt, wird der äußerst wichtige und männliche Job eben durch das Lesen über diesen äußerst wichtigen und männlichen Job ersetzt. Oder über Besonderheiten im Versmaß von Hölderlin, die vollständige Widerlegung der Thesen von Martin Luther oder über strategische Fehler der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Jeder alte Mann hat ein Interesse – und einen festen Tagesablauf: gleicher Tag, gleicher Platz, gleiche Toiletten-Zeiten und das immer gleiche unheimliche Gemurmel. Diese Männer sind dennoch faszinierend, denn sie führen einem die Sinnlosigkeit des eigenen akademischen Arbeitens vor, das ja sowieso meist für den Desktop-Papierkorb der Professorin bestimmt ist. Und irgendwo haben wir auch etwas Angst, selbst zu einem von ihnen zu werden.


Die „Lust auf noch einen Kaffee?“-Charaktere

Dieser Bibliothekscharakter hat euch zwar erst gestern gesehen, aber in 24 Stunden passiert ja so viel Erzählenswertes. Foto: imago/ingimage

Das Leben ist einsam, trostlos und kurz. Das wird vor allem in der stillen Bibliothek deutlich. Der Drang mancher Menschen, die Arbeitszeit in eine endlose Kaffeepause zu verwandeln, ist deshalb mehr als nachvollziehbar. Auch wenn das Herz schneller pumpt als der Bass im Kater Blau, würden sie einen weiteren Kaffee niemals ausschlagen, denn die Bibliothek ist für sie wie die Schule: Ein Ort, an dem man Friends trifft. Und anders als die Flüster-Buddys verlagern sie ihren Quatsch-Druck nach draußen. Irgendwie sympathisch.


Die Ritalin-Liebhaber

Nach drei Hausarbeiten und einem Monat Bibliothek ist das echt nachvollziehbar. Foto: Imago/Ipon

Manche Menschen sind auf Ritalin angewiesen, um im Leben klar zu kommen, manche, um ihre Hausarbeit bis zur Deadline in drei Tagen fertig zu schreiben. Da greift man schnell mal auf das Rezept vom ADHS-diagnostiziertem Bekannten zurück. Der starre Blick auf den Bildschirm und die emotionale Leere der Augen sind typische Erkennungszeichen für die Leute, denen Mate einfach zu soft ist. Das restless leg gehört auch oft dazu, zum besonderen Ärgernis der direkten Sitznachbar:innen, denn die Ritalin-Studis kommen vor ihnen und gehen nach ihnen.


Weitere Charaktere, die ihr immer trefft

Nicht nur im Kino gibt es interessante Charaktere, denen man andauernd über den Weg läuft. Klischees finden sich überall, und sicherlich habt ihr auch diese Figuren schon mal getroffen: 


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Ihr wollt Bücher ausleihen? Berlins schönste Bibliotheken zeigen wir euch hier. Ihr wollt die Bücher dauerhaft in euer Regal stellen? Bücher kaufen könnt ihr in diesen schönen Berliner Buchläden. Falls ihr die Bücher dann auch noch verstehen wollt, erfahrt ihr hier etwas über das Studium an der Berliner Humboldt Universität. BWL und Germanistik? Nö, es gibt in Berlin einige ziemlich wilde Studiengänge. Weitere Uni- und Bildungsthemen findet ihr in der Campus-Rubrik.

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