Feierkultur

Nachkriegszeit: So wild ist in der Trümmerstadt gefeiert worden

1945 war Berlin eine Ruinenlandschaft, gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg. Doch gefeiert wurde trotzdem. Im Westen der Stadt gab es eine erstaunlich aktive Club- und Partyszene. Leichtigkeit und Spaß sind dort zum Ausdruck gebracht worden – oft begleitet von Vibes aus den USA, darunter Jazz und Swing. Wir blicken zurück auf die Nachkriegszeit – und wilde Partys zwischen den Trümmern.

Hier werben coole Kids in der unmittelbaren Nachkriegszeit vor Berliner Kriegsruinen für eine „Dauertanz“-Veranstaltung. Foto: Imago/Pop-Eye/Morlok

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Auch zwischen Ruinen wurde gefeiert

18 Jahre alt ist die junge Frau, die in der Trümmerstadt steil geht, eine Sekretärin namens Brigitte Eicke, wohnhaft in Prenzlauer Berg, die Schutt abräumte, aber auch ins Kino ging, Tischtennis spielte und vor allem über die Tanzparketts fegte.

Ihre Erfahrungen protokollierte sie in ihren Tagebüchern.

Diese Einträge erinnern nicht nur an den Straßenalltag in den 40er-Jahren – sondern auch an die Wiederauferstehung der Club- und Partyszene in einer verwüsteten Metropole nach dem Zweiten Weltkrieg, die mal Reichshauptstadt gewesen war.

Am 28. Juli 1945 hielt dieses Großstadtmädchen fest: „Wir waren schick angezogen und sind direkt aufgefallen.“ Da war Brigitte mit ihren Freundinnen Kuzi und Waltraud in Neukölln auf der Piste. Es wurde getanzt im „Casaleon“, dem heutigen Brauhaus Südstern („ein netter Club“). Und in der „Neuen Welt“, jenem knalligen Vergnügungspalast an der Hasenheide, der heute noch in Betrieb ist. Beobachtet hat Brigitte eine „Unmenge Mädchen, die die Amis belagern und nur darauf warten, dass sie aufgefordert oder angesprochen worden“.

Ihre Aufzeichnungen illustrieren die Lebenslust im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit. Viele Jahrzehnte später, im Jahr 2013, sollten sie veröffentlicht werden – unter dem Titel „Backfisch im Bombenkrieg“. Da war Brigitte Eicke, die 2016 gestorben ist, eine 86-jährige Frau.

Nachkriegszeit in Berlin: Jazz-Vibes und US-Soldatensender

Nach der Kapitulation von Hitler-Deutschland war ihr Heimatort ein Ruinenfeld. Im April und Mai 1945 hatten die sowjetische Truppen das politische Machtzentrum eingenommen; fortan steckten die alliierten Besatzungsmächte ihre Claims ab.

Es war eine Zeit der Widersprüche, die in der Retrospektive kaum beschrieben worden ist. Trotz Tod und Trauer, Scham und Schuld pulsierte das Nachtleben – in Lokalen, die nicht selten Abrissbuden geglichen haben dürften. Highlife in einem Zwischenraum der Geschichte. Während Berlins Frauen das Leben feierten, waren die Männer abwesend. Gefallen oder in Kriegsgefangenschaft.

Ein Foto von 1949: Enthusiastischer Tanz im „Thefi“ am Kurfürstendamm. Foto: Imago/Pop-Eye/Morlok

Diese seltsame Weltgegend bereiste damals Melvin J. Lasky, ein Militärhistoriker, im Auftrag der US-Armee. Er dichtete: „Berlin liegt da wie ein gemarterter Gigant, kraftlos auf dem Wrack, ein geblendeter, tödlich verwundeter Zyklop.“ Zugleich schrieb er: „Aber das Leben geht weiter!“ Und erzählte sodann vom Trubel an der Potsdamer Straße. Dort erblickte er im August 1945 „ein halbes Dutzend überfüllte Cafés, mit Soldaten und Mädchen und lauter Musik, Gelächter und splitterndem Glas“.

Die Namen von Etablissements nahe des Ku’damms brachten eine große Sehnsucht nach Leichtigkeit und Spaß zum Ausdruck. Lebensgefühle fernab von nationalsozialistischer Strammsteherei. „Piccadilly Bar“, „Grotta Azzurra“ oder „Monte Carlo“ hießen diese Schuppen.

Swing und Jazz in der Nachkriegszeit

Die Zeichen standen jedoch vor allem auf Amerikanisierung. In den Clubs und Bars im Westen der Stadt ertönte Schlager, aber eben auch Swing und vor allem der aufregende Vibe des noch jungen Jazz’. Trends setzte der US-Soldatensender AFN, der über den Äther ging.

Remmidemmi in der sowjetischen Besatzungszone ist nur spärlich überliefert. Was auch daran liegen dürfte, dass sich die Hotspots des Nachtlebens schon vor dem Zweiten Weltkrieg jenseits von Pankow oder Köpenick befanden.

Das Fraternisierungsverbot, von den US-Offizieren verhängt: ein Rohrkrepierer. Im beschädigten Femina-Palast, einem Tanz- und Erlebnis-Elysium an der Nürnberger Straße in Schöneberg, populär schon zu Zeiten der Weimarer Republik, flirteten GIs mit „Frolleins“. In diesem Bau der Neuen Sachlichkeit eröffnete später übrigens die „Badewanne“, ein Treffpunkt der Jazz-Szene. Ende der 70er zog dort der „Dschungel“ ein, jene legendäre West-Berliner Disco, in der sich Nick Cave, Blixa Bargeld und David Bowie berauschten. Später war dort das Ellington Hotel einquartiert, bis 2021.   

Ein ungewöhnlicher Expat war übrigens der blutjunge Chet Baker, der später zu einem Jazz-Superstar aufsteigen sollte. 1946 war er als 16-jähriger Soldat in Berlin stationiert worden – und verließ die Stadt zwei Jahre darauf. Für die amtliche 298th Army Band trompetete er vor Honoratioren auf dem Flughafen Tempelhof. Es waren die Lehrjahre eines späteren Musik-Heroen.

Später hat er ein Stück nach der Umgebung seiner Come-of-Age-Phase benannt. Es nennt sich „Waltz For Berlin“ und klingt beschwingt, aber auch ein bisschen sentimental. Möglicherweise handelt es sich um eine Erinnerung.


Mehr über die Partyszene im Berlin von früher

Zu Zeiten der Weimarer Republik war Berlin ein babylonischer Ort für Lust und Entgrenzung  – und am Ku’damm befand sich dabei der längste Tresen der Stadt. In den 1980er-Jahren war die Feierszene von New Wave und Punk geprägt. Eine Stilikone, die diese Ära symbolisiert, ist bis heute die Partyveranstalterin Monika Döring. Wer Näheres über Dancefloor und Disco im Spiegel einzelner Epochen erfahren will, ist mit der ARD-Doku „Exzess Berlin – Hauptstadt der Clubs“ gut bedient. Bloß nichts verpassen: Unsere Party-Tipps. Immer informiert über Berlins Nachtleben bleibt ihr mit unserer Club-Rubrik.

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