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Modern Monetary Theory: Wie Berliner Ökonomen das Geldsystem revolutionieren

Den Staat stark und reich machen: Die „Modern Monetary Theory“ (MMT) könnte unser Wirtschaftssystem erneuern. Die Geldtheorie soll ein Gegenmodell zum Neoliberalismus ermöglichen. Über eine Denkschule, die in die öffentliche Debatte sickert – auch dank Ökonomen, deren Wirkungsstätten sich in Berlin befinden.

Geldautomat an der Bernauer Straße in Mitte: Cash regiert die Welt. Foto: Imago/F. Kern/Future Image

Die Stimme einer Denkschule, die so hip ist wie „Eat the Rich“-Komödien und Enteignungsdebatten, ist ein 1996 geborener Youtuber mit Wohnsitz in Berlin-Treptow. Auf seinem Kanal „Geld für die Welt“ spricht Maurice Höfgen, aufstrebender Populärwissenschaftler, über pekuniäre Themen. Über den Irrsinn der Finanzmärkte, Inflationsparanoia und staatliches Handeln.

Maurice Höfgen: „Es geht darum, das Zeitalter des Neoliberalismus zu beenden“

Der junge Ökonom gibt Orientierung in einer Zeit, deren Ängste und Hoffnungen sich auf das Geld richten, auch hierzulande. Crash-Propheten meinen den großen Kollaps zu wittern, Gurus aus der Bitcoin-Szene prellen Kleinanleger – und fast überall bangen Haushaltspolitiker um die schwarze Null.

Maurice Höfgen vertritt dabei eine Lehre, deren Heilsversprechen eine Ansage ist: ein Imperium zu Fall zu bringen. „Es geht darum, das Zeitalter des Neoliberalismus zu beenden“, verkündet der Social-Media-Star, groß geworden im Rheinland.

Die Rede ist von der „Modern Monetary Theory“ (MMT), einer Geldtheorie, die jenseits des Atlantiks von einigen Vertreter:innen der US-Linken schon länger zum potenziellen Gamechanger erklärt wird. Denn sie könnte eine Alternative ermöglichen zum herrschenden Wirtschaftssystem, das die Menschen stark verunsichert – und das unternehmerische Selbst aufs Podest stellt.  Während staatlicher Einfluss nur als Bremsklotz für die Konjunktur gilt.

Modern Monetary Theory: Ursprung in den USA

Bernie Sanders, der alte, weise Mann der Demokraten, setzt Hoffnungen in diese Theorie. Ebenso dessen progressive Parteikollegin Alexandria Ocasio-Cortez, die 2019 als jüngste Abgeordnete aller Zeiten ins Repräsentantenhaus eingezogen ist. MMT-Anhängerin ist auch Naomi Klein, Autorin von Büchern wie „No Logo!“ oder „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“. Die Grundrisse der „Modern Monetary Theory“ hat in den 90er-Jahren ein ehemaliger Hedgefonds-Manager namens Warren Mosler entwickelt.

Es handelt sich um ein ökonomisches Modell, das zunächst nur ein Instrument ohne politischen Charakter ist. Die Theorie sei „weder links noch rechts“, sagt Maurice Höfgen.

Was die Theorie sexy macht: Laien gewinnen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Regierungen zurück. Seit einiger Zeit diskutieren auch Reformer in Deutschland häufiger über die MMT.

Deren Quintessenz: Unsere Volkswirtschaften sind nicht mehr den vermeintlichen Zauberhänden des Markts ausgeliefert. Vielmehr können öffentliche Institutionen für Prosperität sorgen. Indem nämlich die Zentralbanken einfach mehr Geld drucken und ausgeben. Bye bye Schuldenbremse!

Ein Versprechen, das besonders die junge Generation antörnt. Wer mit Hitzewellen, Fluten und schmelzenden Polklappen aufwächst, möchte politische Taten sehen. Das größte Problem unserer Zeit, die Eindämmung des Klimawandels, kann unsere Gesellschaft nur mit einem reichen Staat bewältigen. Maurice Höfgen, der Trendsetter, trifft sich oft mit Leuten aus den Jugendorganisationen der Parteien aus dem eher linken Spektrum zum Meinungsaustausch. Mit Nachwuchspolitikern von den Jusos und Grüner Jugend.

Modern Monetary Theory: Gegen die Doktrin der Austerität

„Unser Geldsystem ist ein Werkzeug des Staats, um Ressourcen zu bewirtschaften – und damit einen gesellschaftlichen Mehrwert zu erzielen“, erläutert Höfgen. Der Staat soll klotzen, nicht kleckern. Eine postkeynesianische Fantasie: das Geld en masse strömt in ökologische Verkehrsinfrastruktur, klimaneutrale Energieversorgung, in Schulen und Universitäten und den Arbeitsmarkt.

Der MMT-Trend passiert in einer Zeit, in der die Doktrin der Austerität zu bröckeln scheint. Man muss sich nur an die Zeit der Corona-Pandemie erinnern, als Olaf Scholz, SPD, damals noch Finanzminister, die „Bazooka“ aus dem Arsenal holte – um kriselnde Branchen mit viel Staatsknete aufzupäppeln. Es war ebenso aktive Finanzpolitik, als derselbe Mann im Jahr 2022, inzwischen Kanzler, nach dem Einmarsch von Putins Truppen in der Ukraine ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr locker machte.

Mehr als 30.000 Abonnenten folgen den Youtube-Sessions von Maurice Höfgen. Seine Erklärfilme dreht er in seiner Wohnung in Treptow – eine Kulisse im Halbprivaten. Zudem fungiert der Wissensvermittler, der seinen Master in Maastricht gemacht hat, als Experte im digitalen Format „Jung & Naiv“. Eine Zeit lang war Höfgen wissenschaftlicher Mitarbeiter von Fabio De Masi, dem früheren Linken-Bundestagsabgeordneten mit ökonomischem Sachverstand, der 2021 den politischen Betrieb verlassen hat.

Der Ökonom und Youtube Maurice Höfgen erklärt einem breiten Publikum das Potenzial der Modern Monetary Theory. Foto: Maurice Höfgen

In diesem Jahr hat Maurice Höfgen, der nimmermüde Publizist, sein drittes Sachbuch vorgelegt. Der Titel: „Teuer! Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik“. Die Publikation entkräftet die Angst vor endlosen Teuerungsspiralen. Die aktuellen Hammerpreise hätten vor allem mit dem Ukraine-Krieg und den Folgen der Corona-Pandemie zu tun. Treiber der Inflation sind also nicht die mächtigen Zentralbanken – das Inflationsrisiko ist demnach kein systemisches Problem. Kassandra-Rufer behaupten immer wieder das Gegenteil. Etwa der Business-Influencer Frank Thelen, der eine große Reichweite erzielt, und andere libertäre Meinungsmultiplikatoren.

Eine üble Inflation ist auch das Schreckgespenst, dass Kritiker der MMT an die Wand malen. Sie sei ein Risiko, falls Staaten zu viel Geld drucken. Maurice Höfgen entgegnet: „Ob Inflation entsteht, hängt davon ab, wie Politiker individuell entscheiden. Nicht jede staatliche Ausgabe muss zur Inflation führen – vor allem nicht, wenn die Wirtschaft nicht voll ausgelastet ist.“ Ein Fallbeispiel fürs Wirtschaftswunderland 2.0: Wenn der Staat etwa Geld für Straßen hinblättert und die Kapazitäten von Straßenbauern es zulassen, dass die Aufträge ausgeführt werden, hat diese Investition mehr Produktion und Wohlstand zur Folge. „Eine Inflation würde eher drohen, wenn die Kapazitäten ausgelastet sind, weil Firmen ihre Gewinne kurzfristig nur mit Preiserhöhungen steigern können“, konzediert Höfgen.

Modern Monetary Theory: Mehr Vertrauen in die Währung

Hier noch mehr Fachkunde: Die Finesse der MMT besteht darin, dass sie den Steuern in einem Staat eine andere Rolle zuweist als die Fans jener Wirtschaftstheorie, die bis heute fast überall im Westen als unumstößlich gilt. Gemeint ist die so genannte Neoklassik, Mainstream an den Lehrstühlen. Sie besagt, dass der Staat seine Ausgaben über Steuereinnahmen finanziert. In der „Modern Monetary Theory“ dient der Steuerfluss dagegen lediglich dazu, dass die Menschen einer Währung vertrauen. Taxes drive money, so heißt es in der MMT-Philosophie. Seine Ausgaben meistert der Staat dagegen mit Geld, das die Zentralbank in Umlauf bringt.

Kann die „Modern Monetary Theory“ einmal zum Kompass für Politikerinnen und Politikern werden?

Das muss man einen deutschen Experten fragen, der schon in den frühen 2010er-Jahren ein Importeur der MMT gewesen ist. Dirk Ehnts war Gastprofessor in Berlin, genau genommen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht und an der Freien Universität. Heute ist er als Dozent, Buchautor und Redner unterwegs. 2022 hat er das erste Grundlagenwerk in deutscher Sprache zum Thema herausgegeben. „Modern Monetary Theory – eine Einführung“, erschienen im renommierten „Springer Gabler“-Verlag.

Frische Devisen in einer Gelddruckfabrik: Die Notenbanken könnten viel sorgloser dabei sein, Geld in Umlauf zu bringen. Foto: Imago/Sven Simon

„Das akademische Interesse an der MMT hat in den vergangenen Jahren hierzulande zugenommen“, berichtet der Insider. In einer Zeitschrift des „Vereins für Socialpolitik“, der Ehrenloge der deutschen VWLer, ist im vergangenen Jahr ein Aufsatz über das hot topic erschienen.

Dirk Ehnts sagt aber auch: „Unter Ökonominnen und Ökonomen fehlt es noch immer an einer echten Debatte darüber, wie man Geldtheorie ganz neu denken könnte.“ Die Vormacht der Traditionalisten ist noch nicht gebrochen.

Falls Vordenker aus den Hochschulen die geistigen Böden für künftige Regierungserklärungen legen, hat die MMT also noch einen Weg vor sich. Trotz Flirts in den USA oder Deutschland. Hier haben Lehrmeister wie Maurice Höfgen und andere Mentoren immerhin schon einen Anfang gemacht.


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