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Nach Max Czollek und Nemi El-Hassan, wo bleibt der offene Brief für Gil Ofarim?

Sänger Gil Ofarim erklärt, in einem Leipziger Hotel antisemitische Anfeindungen erlebt zu haben. Zuletzt haben zwei Debatten um Judentum und Antisemitismus in Deutschland heftig geführte Debatten ausgelöst – und sehr viel Unterstützung hervorgerufen. Unser Autor fragt sich nun: Wo bleibt der Solidaritätsbrief hunderter deutscher Künstler, Regisseure, Islamwissenschaftler, Kuratoren, Sänger? Ein Kommentar.

Debatten und offene Briefe – Max Czollek, Nemi El-Hassan und Gil Ofarim. Foto: Imago (2)/WDR

Gil Ofarims Antisemitismus-Vorwürfe: Wo bleibt die Solidarität

In den vergangenen Wochen wurden zwei lautstarke Debatten geführt, in denen es um Antisemitismus, die Situation der in Deutschland lebenden Juden und jüdische Identität ging. Die erste löste der Schriftsteller Maxim Biller aus, der dem Publizisten, Lyriker und Theatermacher Max Czollek vorwarf, gar kein richtiger Jude zu sein, da dieser keine jüdische Mutter habe. Die zweite Debatte drehte sich um die Journalistin Nemi El-Hassan und ihre Teilnahme am israelfeindlichen Al-Quds-Tag sowie ungeschickt gesetzte Likes in den Sozialen Medien. Als Reaktion auf beide Debatten formulierten hunderte Aktivisten, Künstler und Intellektuelle Offene Briefe, in denen sie Stellung bezogen und ihre Stimme für Czollek respektive El-Hassan erhoben.

Nun hat der 1982 in München geborene Musiker Gil Ofarim, Sohn des israelischen Sängers Abi Ofarim, beim Einchecken ins Leipziger Westin-Hotel eine antisemitische Anfeindung erlebt. Dies zumindest behauptet er in einem Instagram-Video. Ein Hotelangestellter soll Ofarim aufgrund eines Davidsterns, den der Musiker an einer Halskette trug, ignoriert haben. Auch hier erhob sich eine Welle der Empörung in den deutschen Medien. Stunden nach Ofarims Anklage widersprach der Westin-Mitarbeiter. Ofarim werden in den Facebook-Kommentaren niedere Beweggründe unterstellt, etwa das Heischen nach Aufmerksamkeit. Seine Behauptungen werden angezweifelt, er wird als Lügner dargestellt, der mit der Antisemitismuskeule Promo für das neue Album oder die Tour machen wolle. Grenzen zwischen Opfer und Täter, Wahrheit und Lüge werden verwischt.

Wo bleibt der Solidaritätsbrief hunderter deutscher Künstler, Regisseure, Islamwissenschaftler, Kuratoren, Sänger? Noch ist es früh, der Eklat ist wenige Stunden alt. Aber kommt er? Wird sich Margarete Stokowski für Ofarim in den Ring werfen, so wie sie es für Nemi El-Hassan tat? Für Czollek traten 278 herausragende Persönlichkeiten ein. Die 278 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen sprachen von „unfairer Kritik und Verleumdungen“. Werden sie unfaire Kritik und Verleumdungen auch im Fall Ofarim erkennen, so wie sie es bei Czollek reflexartig taten? Werden sich die Czollek-Unterstützer Theresia Enzensberger, Mithu Sanyal, Sharon Dodua Otoo, Sasha Marianna Salzmann und Fabian Wolff zu Wort melden?

Werden sich Inga Humpe, Devid Striesow und Thomas Oberender auch für Ofarim stark machen?

Wie ist es um das jüdisch-deutsche Verhältnis bestellt? Weshalb löst eine innerjüdische Debatte um die uralte Frage „Wer ist Jude?“ eine Lawine an Empörung aus, obwohl die Halacha, also das jüdische Gesetz, die Angelegenheit schon vor Jahrhunderten hinreichend geklärt hat und eine Modernisierung dieser Schrift möglicherweise notwendig ist, aber sicherlich nicht im Kompetenzbereich deutscher Medienmacher und Autorinnen liegen dürfte?

Ebenso erhoben hunderte Intellektuelle ihre Stimme für die junge Journalistin Nemi El-Hassan, die aufgrund ihrer Teilnahme am Al-Quds-Tag im Jahr 2014, bei dem nicht selten zur Auslöschung des Staates Israel aufgerufen wird, ihren künftigen Job als Moderatorin der WDR-Sendung „Quarks“ nicht antreten dürfen sollte und nun offenbar tatsächlich nicht bekommt. Werden Musikerin Inga Humpe, Schauspieler Devid Striesow und der Noch-Intendant der Berliner Festspiele Thomas Oberender sich für Ofarim stark machen?

Es ist zu hoffen.

Die Debatten sind unterschiedlich. Das ist richtig. Was sie aber neben der zeitlichen Nähe und den beiden Offenen Briefen verbindet, ist die Frage, wie sich eine interessierte Öffentlichkeit und ihre hervorragenden Vertreter und Vertreterinnen zum Antisemitismus bzw. zu der Situation des Judentums in Deutschland positionieren. Darum ging es beim Disput Biller-Czollek, beim Streit um Nemi El-Hassan und darum geht es nun auch bei Gil Ofarim.


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