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Kommentar

Kinder und der Wahl-O-Mat oder: die Kunst der politischen Früherziehung

Bald wird gewählt. Bei den Triellen, in Talk-Shows und ungezählten Artikeln und Radioberichten informiert sich das erwachsene Wahlvolk über Programme, Pläne und Kandidaten. Am 26. September nach 18 Uhr wissen wir dann so ungefähr, wie es in Berlin und im ganzen Land politisch weiter gehen könnte. Wir, die Erwachsenen haben entschieden. Was ist aber mit den Kindern, die vielleicht nicht wahlberechtigt sind, aber angesichts der medialen Omnipräsenz des Themas Wahlkampf nicht unbeeindruckt bleiben? Auch sie entwickeln Haltungen, erkennen Probleme und bilden sich eine Meinung. Einblicke in die Kunst der politischen Früherziehung.

Kinder und der Wahl-O-Mat:  Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) mit zukünftigen Wähler*innen. Foto: Imago/Jan Huebner
Bald am Wahl-O-Mat? Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) mit zukünftigen Wähler*innen. Foto: Imago/Jan Huebner

2021 lässt sich keine Politik vorbei an Kindern mehr machen

Nicht erst seit den Klima-Demos von Fridays for Future hat die Politik ein besonderes Augenmerk auf Minderjährige gelegt. Klar, Familienpolitik, Kindergeld, Kinderarmut, Kitas und Bildung sind Kernthemen, die alle Parteien irgendwie bedienen müssen. Die jungen Klimaaktivist:innen haben aber gezeigt, dass ihre Stimme zählt und gehört werden muss. An Kindern und Jugendlichen vorbei, lässt sich im digitalen Zeitalter keine Politik mehr machen.

Doch soll es hier nicht um Aktivismus oder eine Absenkung des Wahlalters auf das 16. Lebensjahr gehen, was FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen forderten, der Rest des politischen Spektrums aber nicht wollte. Im Mai 2021 erst lehnten CDU/CSU, SPD und die AfD einen entsprechenden Antrag im Bundestag ab. Schade, aber so wählen die Kids eben erst mit 18, warum auch nicht? „Kinder an die Macht“ muss nicht unbedingt sein, unpolitisch sind sie deshalb noch lange nicht.

Mein Sohn ist elf, in „Gewi“, so nennt sich das Fach Gesellschaftswissenschaften in dem die „vielfältigen Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens von Menschen in verschiedenen Räumen der Erde, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ behandelt werden, musste er neulich eine fiktive Partei konzipieren. Seine Gruppe dachte sich die „Deutsche Schulbildungspartei“ aus. Bildung. Braver Junge. Er hätte sich ja auch für einen Hausaufgabendeckel oder unbegrenzten Zugriff auf Schokoladeneis einsetzen können.

Politische Früherziehung findet also auch im Unterricht statt und das an Grundschulen! Gute Sache, ich weiß gar nicht mehr, wie das bei mir war. Als ich ihn aber fragte, was denn die „Deutsche Schulbildungspartei“ so alles forderte, erklang ein unbestimmtes Brummen. So richtig durchgedacht war die Sache wohl nicht. Ich erzählte ihm vom Wahl-O-Mat, der verspielten Wahlentscheidungshilfe im Internet, die einem sagt, ausgehend von eigenen Positionen zu bestimmten gesellschaftlichen Fragestellungen, welcher Partei man inhaltlich am nächsten steht. Das fand er gut.

Die AfD abgeschlagen auf dem letzten Platz: Sehr gut, mein Sohn!

Wir klickten uns durch die 38 Fragen. Das Kind gab sich entscheidungsfreudig, nur bei komplexeren Fragen zu Steuer- und Wirtschaftspolitik stieg es aus und drückte auf „neutral“. Aber sonst? Ein lupenreiner, kleiner Demokrat. Tolerant, weltoffen, demokratisch, ökologisch. 75% Übereinstimmung mit der ÖDP, der Ökologisch-Demokratischen Partei von der ich noch nie zuvor gehört habe. Es folgten immerhin 72,5% Übereinstimmung mit den Grünen und knapp 70% für Die Linke. CDU unter 50% und die AfD abgeschlagen auf dem letzten Platz. Sehr gut, mein Sohn! Am lustigsten fand er aber Die PARTEI, deren Humor kommt auch bei Grundschülern gut an.

Ich fragte mich, wie er zu all diesen Einsichten kam, vermutlich färbt doch das Elternhaus ab. Dabei sprechen wir nicht ständig über Umweltschutz, Gleichberechtigung und Asyl, eher über Lego und Star Wars, doch irgendwas an politische Information und Meinung der Eltern blieb in dem kindlichen Bewusstsein haften. Offensichtlich hat sich bei ihm ein moralisch-ethischer Kompass entwickelt, an dem ich nicht ganz unbeteiligt bin. Das nennt man wohl elterliche Verantwortung und die Konsequenzen dieses Einflusses auf die Meinungsbildung des Nachwuchses sind nicht zu unterschätzen. Aber ich blieb ruhig. Derart politisch gefestigt, kann ich das Kind ruhigen Gewissens ins demokratische Miteinander entlassen, dachte ich mir. Ich hoffe es.

Nachtrag. Eine Woche später fuhren wir durch die nordbrandenburgische Provinz. „Hier hängen aber viele Plakate von der AfD“, stellte der Kleine fest. Der kleine Friedrichshainer fand es eher seltsam als beängstigend. „Das ist hier so“, sagte ich und wusste auch nicht mehr zu erklären.


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