Kommentar

Klima-Volksentscheid gescheitert: Eine vertane Chance?

Der Klima-Volksentscheid für ein klimaneutrales Berlin bis 2030 ist gescheitert. Eine vertane Chance, findet unsere Autorin. Sie fasst die wichtigsten Eckdaten zum Volksbegehren für euch zusammen: Wie hoch war die Wahlbeteiligung? Wie viele Menschen stimmten dafür bzw. dagegen? Und wie äußern sich Klimaaktivist:innen und regierende Politiker:innern zu dem Wahlergebnis? Und noch wichtiger: Was bedeutet das Scheitern des Volksentscheides für Berlin und die Umwelt?

Klima-Volksentscheid gescheitert. Was nun? Foto: Imago/serienlicht

Klima-Volksentscheid: „Nein, danke“, entschied Berlin

Berlin hat sich entschieden. Und zwar gegen Klimaneutralität bereits bis zum Jahr 2030. Auch wenn mit ca. 442.000 Wähler:innen eine Mehrheit von rund 51 Prozent für ein klimafreundliches Berlin stimmte, wurde die Zustimmungsquote von mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten verfehlt. Um das Volksbegehren durchzusetzen, wären nämlich etwa 608.000 Ja-Stimmen nötig gewesen.

Enttäuschend ist neben der 423.000 Nein-Stimmen vor allem die geringe Wahlbeteiligung, die lediglich bei 35,8 Prozent lag. Die Mehrzahl der 2,4 Millionen wahlberechtigten Berliner:innen hatte sich also dazu entschieden, gar nicht erst an der Abstimmung teilzunehmen.

Erschreckend geringe Wahlbeteiligung – Sind die Berliner:innen das Wählen leid?

Warum war die Wahlbeteiligung so gering? Es kursieren unterschiedliche Meinungen, die versuchen, eine Erklärung für die Wahl-Unlust der Berliner:innen zu liefern.

Einige Stimmen ziehen den Zeitpunkt der Abstimmung zur Verantwortung. Wäre bereits am 12. Februar, gleichzeitig mit der Wahl der Berliner Regierung abgestimmt worden, hätten vermutlich mehr Berliner:innen ein Kreuzchen hinter dem „Ja“ gemacht, lautet die Annahme. Die Motivation, sich an einem weiteren Sonntag in ein Wahllokal zu stellen, sei bei den wahlmüden Bürger:innen, die bereits genervt von der Neuwahl Anfang des Jahres waren, schlichtweg zu gering gewesen.

Auch die mangelhafte Umsetzung des letzten Volksentscheides aus dem Jahr 2021 „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ könnte zu einer Wahlverdrossenheit der Berliner:innen geführt haben. Denn obwohl dieser mit einer eindeutigen Mehrheit durchgesetzt wurde, ist bis jetzt keine Verbesserung auf dem Berliner Wohnungsmarkt in Aussicht. War der Gedanke „Das bringt doch sowieso nichts“ also der Grundstein für die Resignation der Nicht-Wähler:innen?

Klima-Volksentscheid: Kreuzberg dafür, Zehlendorf dagegen – Wie stimmten die einzelnen Bezirke?

Die Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg wurden ihrem klimafreundlichen Ruf gerecht und stimmten mit einer großen Mehrheit für ein klimaneutrales Berlin ab 2030. Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf, Neukölln und Pankow überwogen die Ja-Stimmen, während in Steglitz-Zehlendorf, Treptow-Köpenick und Reinickendorf die Nein-Stimmen vorne lagen. Besonders viele Stimmen gegen das Volksbegehren gab es in Spandau und Marzahn-Hellersdorf. Ein Ergebnis, das leider alles andere als überraschend ist. 

Während Innenstädter:innen, die sich in Punkto Mobilität in einer privilegierten Position befinden, Vorschläge wie eine autofreie Innenstadt freudig begrüßen, können sich die meisten Menschen in den Außenbezirken keinesfalls vorstellen, sich von ihrem (Verbrenner-) Auto zu trennen. Eine Tendenz, die bereits bei der Wahl zum neuen Berliner Senat im Februar mehr als deutlich wurde. Damals gelang es der CDU, die Außenbezirke zu mobilisieren. Für Berlin bedeutet das: Die Regierung muss sich dringend mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs befassen, sodass auch Berliner:innen, die außerhalb des Rings wohnen, problemlos auf ihr Auto verzichten können und sich jede:r Bürger:in ein Ticket für die Öffentlichen Verkehrsmittel leisten kann.

Das forderte der Klima-Volksentscheid: 15 Jahre früher klimaneutral als geplant

Das Bündnis Klimaneustart hatte den Klima-Volksentscheid im Jahr 2022 durch eine viermonatige Unterschriftensammlung initiiert. Das Ziel der Abstimmung war es, eine Änderung des Landes-Energiewendegesetzes zu erreichen. Konkret heißt das: Berlin hätte sich durch einen Erfolg des Volksentscheides dazu verpflichtet, schon bis 2030 und nicht wie bisher vorgesehen bis 2045 klimaneutral zu werden.

Kinder demonstrieren im Rahmen der Klimaschutzorganisation Fridays for Future in Berlin. Bei den jungen Generationen ist das Bewusstsein für das Ausmaß der Klimakatastrophe besonders hoch. Foto: Imago/IPON

Klimaneutral bis 2030: Unrealistisches und überambitioniertes Ziel?

Bereits vor dem Wahlsonntag am 26. März wurde in Berlin kontrovers diskutiert, ob das Ziel, bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen, überhaupt umsetzbar sei. Beobachtet man die schleppende und unzureichende Umsetzung der Klimaziele durch den Berliner Senat und durch die Bundesregierung im Allgemeinen, erscheint das Vorhaben des Volksentscheids tatsächlich äußerst unrealistisch. Doch ist das der Maßstab, mit dem wir messen wollen? Würden die Regierenden sich nämlich tatsächlich an ihre Vorhaben und Gesetze halten und Demokratie ernst nehmen, müssten sie ihr Bestmögliches tun, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

In den vergangenen 30 Jahren ist der CO2-Ausstoßes auf ca. 14,9 Millionen Tonnen reduziert worden. Um Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen, müsste uns ein Einsparen der gleichen Menge gelingen – diesmal allerdings in nur sieben Jahren. Klingt ambitioniert? Ist es auch. Angesichts des Wahlergebnisses zu ambitioniert für die Berlinerinnen und Berliner.

Um ein Verbot des Verbrennermotors innerhalb Berlins wäre die Stadt bei einem positiven Wahlergebnis nicht mehr herumgekommen – eine Aussicht, die, wie die Wiederholungswahl im Februar zeigte, alles andere als erstrebenswert für einen Großteil der Bürger:innen ist. Auch die Wärmewende hätte noch massiver vorangetrieben werden müssen. Denn so wie es aktuell aussieht, wird das Heizproblem die Berliner:innen auch noch die nächsten Winter betreffen. Und das geht, da wir in den allermeisten Fällen leider immer noch mit Öl, Kohle oder Gas heizen, mit einer enormen Belastung des Klimas einher. All diese Änderungen bis 2030 verwirklichen? Unrealistisch, war selbst die Meinung des noch amtierenden rot-rot-grünen Senats, dem man intuitiv Klimafreundlichkeit unterstellen würde. Nur einige wenige Stimmen aus dem grünen und dem linken Lager hatten sich deutlich für einen Änderung des Landes-Energiewendegesetzes ausgesprochen.

„Wir kämpfen weiter!“ – So äußerten sich Fridays for Future, Klimaneustart, Franziska Giffey und die CDU

Stefan Zimmer von Klimaneustart bemühte sich um Optimismus: „Wir haben international ein Zeichen gesetzt. Und die Stadt hat jetzt angefangen darüber zu diskutieren, wie wir aus der fossilen Ära rauskommen.“ Luisa Neubauer von der Klimaschutzbewegung Fridays for Future zeigte sich enttäuscht angesichts des Ergebnisses der Abstimmung: „Es gibt Kräfte in dieser Stadt und diesem Land, die geben alles, um noch einen Funken mehr Klimazerstörung aus diesem Planeten rauszupressen, um noch einen Funken länger weitermachen zu können wie bisher.“ Entmutigen lässt sich Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin dennoch nicht.

„Wir müssen nicht drum rum reden, ich finde es auch hart, sich zu überlegen, was passiert mit den Menschen, die heute Nein gestimmt haben. Wir kämpfen auch weiter für die Menschen, die heute mit Nein gestimmt haben.“ (Luisa Neubauer)

Die noch amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte nach dem Scheitern des Volksentscheides, sie wolle dennoch dafür arbeiten, dass Berlin „schnellstmöglich vor 2045 eine klimaneutrale Stadt wird.“

„Wir wissen um die Dringlichkeit, auch wenn der Volksentscheid nicht die notwendige Zustimmung erfahren hat.“ (Franziska Giffey)

Giffey führt derzeit mit der CDU Koalitionsverhandlungen über eine mögliche Regierungskoalition. Sie versicherte, dass der Klimaschutz „für jede künftige Landesregierung eine Querschnittsaufgabe mit hoher Priorität“ sei. Angesichts der Reaktion der CDU, die nach jetzigem Stand höchstwahrscheinlich den Nachfolgesenat anführen wird, ist allerdings fraglich, ob diese Prophezeiung eintreten wird. Auch wenn Stefan Evers, der Generalsekretär der CDU, sich zwar erfreut über das Ergebnis des Volksentscheides, jedoch vermeintlich klimafreundlich äußerte: „Berlin sagt Ja zum Klimaschutz – aber Nein zu falschen Versprechen. Die Berliner wissen: Dem Klima wäre mit unrealistischen Zielen oder unbezahlbaren Gesetzen nicht geholfen.“ Dennoch sei ihm ein entschlossenes Handeln wichtig, um die Klimaziele schnellstmöglich zu erreichen.

Die Berliner CDU profilierte sich im Wahlkampf zur Wiederholungswahl des Berliner Abgeordnetenhauses im Februar 2023 als Autopartei. Foto: Imago/S. Gabsch/Future Image

Mögliche CDU-Regierung in Berlin – Das Aus für eine konsequente Klimapolitik?

Wie glaubwürdig dieser Vorsatz von einer Partei, die sich stark als Autopartei profiliert und mit Slogans wie „Berlin lass dir dein Auto nicht verbieten“ oder „Berlin ist für alle da. Auch für Autofahrer“ auf ihren Wahlplakaten warb, ist hingegen zweifelhaft. Die Berliner CDU ist nämlich alles andere als motiviert, die Treibhausemissionen schnellstmöglich zu reduzieren. Ganz im Gegenteil: Die Partei plädierte stark dafür, den Prozess der Verkehrswende, dem Auto zuliebe, zu entschleunigen.

„Wollen wir es vielleicht mit einem Kompromiss versuchen?“ – Inkonsequenz in der Klimapolitik

Das gestrige Wahlergebnis hat den Traum einiger Berliner:innen und zahlreicher Klimaschützer:innen von einer grünen, abgasfreien Stadt, die sich schnellstmöglich der Elektromobilität und den erneuerbaren Energien verschreibt, vorerst zum Platzen gebracht. Ja, das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu sein, war ambitioniert, allerdings hätte es auch eine große Chance für das Land Berlin und vor allem für die Umwelt geboten.

Denn hätte sich der Volksentscheid durchgesetzt, wäre eine Politik, die sich trotz der vermeintlichen Vorhaben gegen klimafreundliche Maßnahmen entscheidet, schlichtweg gesetzeswidrig gewesen. Doch nun hat die Berliner Regierung nach wie vor deutlich weniger Druck, die Klimaziele frühzeitiger umzusetzen.

Bei dem Globalen Klimastreik am 3.März demonstrierten tausende Berliner:innen für eine stringente Klimapolitik. Allem voran für den Ausstieg Deutschlands aus der massiv umweltschädlichen Kohleenergie. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg

Klimapolitik: Wieso so langsam?

An dem 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen sieht man beispielhaft, dass in der Klimapolitik oftmals nicht die angeblich zu hoch gesteckten Ziele das Problem sind, sondern die Weigerung der regierenden Politiker:innen, tatsächlich Abstriche zu machen und Klimapläne konsequent durchzusetzen. Doch die ausschweifenden Kompromisse sind vor allem eins: nicht vereinbar mit einer erfolgreichen Klimapolitik.

Das Ergebnis des Berliner Volksentscheides Klimaneutral bis 2030 hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass in der Politik darüber diskutiert wird, warum viele Menschen auch im Jahr 2023 noch gegen umfangreiche Klimaschutzmaßnahmen sind. Berlin ist in der Verantwortung, die Missstände, die zu dieser Umweltschutz-Verdrossenheit führen, schnellstmöglich zu beheben. Es bleibt zu hoffen, dass Giffeys Versprechen wahr wird und sich die Berliner Regierung trotz der gescheiterten Klima-Initiative tatsächlich darum bemüht, die Klimaziele schnellstmöglich, und das heißt, noch vor 2045, zu erreichen. Denn eins steht fest: Die Erde wird sich nicht langsamer erwärmen, nur weil die Politik noch etwas Zeit braucht, um sich an Klimaschutz, eine Verkehrswende, erneuerbare Energie und Co. zu gewöhnen.


Mehr zum Thema

Ein weiteres prominentes Volksbegehren der Hauptstadt: Der Volksentscheid “Deutsche Wohnen und Co. enteignen”. Tatsächlich fanden in Berlin schon einige Volksentscheide statt. Hier könnt ihr nachlesen, über welche Volksbegehren Berlin bereits abgestimmt hat. Was Berlin noch bewegt, lest ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.

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