Politik

Schikanieren Berliner Banken Menschen aus Russland?

Um den Krieg in der Ukraine zu beenden, setzt die EU auch auf Sanktionen, die russische Menschen direkt treffen. So ist zum Beispiel das Bankwesen in der Pflicht, bestimmte Transaktionen zu unterbinden. Leider trifft das nicht nur die, die es treffen soll. Ein Berliner, der in Russland geboren wurde, hat seine Probleme nun öffentlich gemacht – und gezeigt, dass er mit da mit nicht allein ist. Schikanieren Berliner Banken Menschen aus Russland?

Die Postbank schickte einem Menschen aus Russland, der einen deutschen Pass hat, Sanktionsschreiben. Eine Schikane? Foto: Imago/Schöning

Banken senden Briefe an Berliner:innen, die (womöglich) Russen sind

Mikhail Badasyan ist wütend. Er hat einen Brief von der Postbank erhalten. Die Aufforderung: Er solle eine gültige Aufenthaltsgenehmigung für ein Land der Europäischen Union vorlegen. Andernfalls könnte sein Konto bei der Postbank von den Sanktionen der EU gegen Russland getroffen werden.

Mikhail Badasyan ist Berliner, 34 Jahre alt, geboren im damals sowjetischen und heute russischen Rostow am Don. Mit mehr als einer Million Einwohner:innen ist Rostow eine der größten Städte im europäischen Teil Russlands – keine drei Autostunden entfernt vom ukrainischen Mariupol. Mikhail Badasyan hat viele Freund:innen in der Ukraine, hat sie oft besucht, über viele Jahre hinweg. „Ich war jedes Jahr beim Gay Pride in Kyjiw“, erzählt er. Er ist Performance-Künstler, Queer-Aktivist, Umweltschützer, Food-Aktivist. „Life Artist“ nennt er sich selbst am liebsten. Und seit zwei Jahren ist er deutscher, nicht mehr russischer Staatsbürger.

Man hört, wie aufgebracht Mikhail Badasyan ist, wenn er von dem Moment erzählt, als er besagtes Schreiben der Postbank erstmals in den Händen hielt, am Montag, dem 14. März – wegen eines Nachsendeauftrags kam der Brief, verschickt am 4. März, erst mit einigen Tagen Zeitverzug an. „Ich war sofort entsetzt, super sauer“, sagt Mikhail Badasyan, noch immer aufgewühlt. „Ich kenne auch ein schwules Paar, Geflüchtete aus Russland – die haben auch sowas bekommen! Was ist das denn für eine Schikane?“ Nachdem Badasyan auf Facebook unter dem Slogan „confused and very angry“ über den Postbank-Brief schreibt, erfährt er von noch mehr Bekannten, die ähnliche Schreiben bekommen haben. Unter ihnen auch Kundschaft der Deutschen Bank und auch der Sparkasse. „Anscheinend haben sie das volle Kanne an Leute verschickt, die in der Sowjetunion, vorwiegend in Russland geboren sind“, mutmaßt Badasyan.

Diesen Brief hat Mikhail Badasyan von der Postbank erhalten, da die EU-Sanktionen gegen Russland auch sein Konto treffen könnten. Foto: privat

EU-Sanktionen gegen Menschen, die mit Russland in Verbindung stehen, also? Fakt ist: Die EU versucht mit einer ganzen Palette an Sanktionen, Russlands Präsident Wladimir Putin unter Druck zu setzen, den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine zu stoppen. Das ist Teil der umfangreichen diplomatischen Bemühungen, den Krieg zu beenden. Diese Sanktionen treffen, direkt oder indirekt, auch russische (obendrein übrigens auch belarussische) Staatsangehörige.

Ab 100.000 Euro darf kein Geld mehr auf das Konto fließen

Als Badasyan sein Konto bei der Postbank eröffnet hatte, war er tatsächlich noch russischer Staatsbürger. Die Bank wusste wohl nicht, dass er inzwischen Deutscher ist. „Aber selbst wenn ich noch Russe wäre“, beharrt er, „was bringt das alles? Mein Punkt ist: Diese Sanktionen sind zum Schein und helfen niemandem.“ Er sei gegen die russische Regierung, sagt er – und im Prinzip auch für Sanktionen. „Aber doch nicht gegen Menschen, die hier in Berlin leben!“ Eher würde es helfen, meint er, wenn wir in Berlin, in Deutschland kein russisches Gas und Öl mehr importieren würden. „Damit macht Putin doch sein Geld! Damit bezahlt er seine Bomben.“

Mikhail Badasyans Facebook-Post wurde zwei Dutzend Mal geteilt, mehr als 100 Kommentare hat er. Viele geben ihm Recht, drücken Anteilnahme aus. Man spürt Ärger auf die Banken. Verwunderung gibt es darüber: Warum haben nur diese drei besagten Banken ihre Kund:innen entsprechend angeschrieben, viele andere Banken nicht? Fakt ist: Nicht die Banken haben sich die Sanktionen ausgedacht – sondern die EU. Die Banken müssen sie „nur“ umsetzen.

Übrigens werden die Konten nicht, wie oft behauptet, eingefroren, sondern es gilt: Konten von russischen Staatsangehörigen ohne Aufenthaltstitel in der EU dürfen kein weiteres Geld empfangen – ab einem Kontostand von 100.000 Euro. Mikhail Badasyan muss lachen: „100.000 Euro? Sorry, da bin ich raus. So viel Geld habe ich nicht. Keiner meiner Freunde. Die könnten doch nachgucken, wer so viel auf dem Konto bei ihnen hat – oder nicht?! Wie viel muss es gekostet haben, all diese Briefe zu verschicken! Die sollen mal lieber die Yachten der Oligarchen beschlagnahmen als unsere Konten!“

Sind die Banken netter, die sich bisher nicht gemeldet haben?

In der Tat kann man sich wundern über die Kommunikationsstrategie der Banken. Einerseits sind sie nun selbst unter Zugzwang, die EU-Sanktionen rasch auch umzusetzen. Daher mag eine gewisse Eile rühren. Vielleicht auch eine logistische Überforderung; schließlich sind solche Maßnahmen ganz außergewöhnlich. Andererseits scheint bisher nur ein kleiner Teil der Banken besagte Briefe verschickt zu haben. Sind die anderen Banken einfach netter? Letztlich werden doch auch sie die Sanktionen umsetzen müssen – etwa ohne vorher Kontakt mit ihren Kund:innen aufzunehmen, um Zweifelsfälle zu klären? Oder haben sie schlichtweg vorher genauer geprüft, welche ihrer Kund:innen mit mehr als 100.000 Euro überhaupt infrage für Sanktionen kämen?

Auf seinen Facebook-Post hin bekam Mikhail Badasyan auch Konter: Er würde russische Propaganda machen, wenn er hier einfache Russen (oder vermeintliche Russen) als Opfer der Sanktionen darstelle. Badasyan fühlt sich ganz missverstanden, sieht sich, auch wenn er auf Diskriminierung von russischen Menschen hinweist, per se als Supporter der Ukraine: „Ich bringe doch jeden Tag gerettetes Essen zu ukrainischen Geflüchteten. Ich bin das Gegenteil von dem, was mir hier unterstellt wird“, sagt er. „Ich bin doch nicht von der anderen Seite!“

Mit diesem Vordruck soll Mikhail Badasyan eine EU-Aufenthaltsgenehmigung einsenden, um den Sanktionen zu entgehen. Foto: privat

Werden durch die verschickten Briefe systematisch Menschen mit russischem Migrationshintergrund schikaniert? Ein Sprecher der Deutschen Bank (zu der auch die Postbank gehört) kontert gegenüber tipBerlin: Es gehe nicht um russischen Migrationshintergrund: „Von den Sanktionen potenziell betroffen sind vielmehr persönliche Konten von russischen und belarussischen Staatsangehörigen“, so der Sprecher. „Ausgenommen sind Inhaber eines EU-Passes oder Schweizer Passes oder eines permanenten oder temporären Aufenthaltstitels in der EU oder der Schweiz.“

Die Deutsche Bank verurteile den Angriff Russland auf die Ukraine. „Wir stehen geschlossen an der Seite der Bundesregierung und der Europäischen Union, wenn es um Sanktionen geht“, so der Sprecher. „Wir setzen die verhängten Sanktionen und sonstigen Maßnahmen unverzüglich und vollständig um.“ Man sei, so der Sprecher, „verpflichtet zu prüfen, ob bestimmte Kundenverbindungen von den aktuellen EU-Sanktionen betroffen seien. „Deshalb haben wir die potenziell betroffene Kund:innen schriftlich über diese Sanktionen informiert, um den Sachverhalt individuell zu klären und mit ihnen zu lösen.“ Wie viele Kund:innen das in Berlin oder auch insgesamt betrifft? Dazu wollte der Sprecher sich nicht äußern.

Treffen die Sanktionsmaßnahmen der EU die Falschen?

Dass der Brief der Postbank höflich formuliert war, gibt Badasyan zu. Im Prinzip ließe sich die Angelegenheit in seinem Fall auch rasch klären: Er müsste „nur“ einen Nachweis über seine nunmehr deutsche Staatsbürgerschaft vorzeigen. „Ich war trotzdem sehr verletzt in dem Moment“, sagt er. Wie so vielen Menschen mit Migrationshintergrund, wurde auch ihm allzu oft die Frage gestellt, wo er denn „eigentlich“ herkomme. Alltagssituationen, in denen die eigene Identität infrage gestellt wird à la: „Du gehörst nicht richtig dazu.“ Und auch den Postbank-Brief kann man ja so deuten, dass er aufgrund seiner Herkunft angeschrieben wird; weil er womöglich kein richtiger Deutscher sei. Er ist ein deutscher Staatsbürger.

Einer, der sich engagiert, obendrein. Trotzdem wird er gewissermaßen unter Generalverdacht gestellt. Oder zumindest als Zahnrad der Sanktionsmaßnahmen genutzt. Seinen Mut lässt er sich trotzdem nicht nehmen. Auch morgen wird er wieder, wie seit vielen Tagen, gerettetes Essen an ukrainischen Geflüchtete verteilen. Ob die wohl einen Nachweis sehen wollen, dass er kein Russe mehr ist?


Mehr zum Thema

Niemand muss nur zusehen: Hilfe im Russland-Ukraine-Krieg – Wo ihr euch in Berlin einbringen könnt. Nicht alle können und wollen sich selbst auf den Weg machen – manche schon: Der Berliner Rapper Dyma war in der Ukraine, um zu helfen. Abertausende aus dem Kriegsgebiet sind schon angekommen Ukrainische Geflüchtete am Hauptbahnhof: So läuft die Ankunft in Berlin. Mehr Themen in unserem Politik-Ressort.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin