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Kommentar

Schnelltests zu Hause und umsonst: Nett gemeint, nicht zu Ende gedacht

Deutschland krebst mit den Corona-Impfungen herum. Die Wirtschaft ächzt unter den Restriktionen. Niemand will, viele können nicht mehr. Jetzt sollen Antigen-Schnelltests ab Anfang März an Laien abgegeben und sogar kostenlos werden. Das könnte mit mehr Freiheit und Flexibilität verbunden sein. Könnte – doch für Optimismus ist es zu früh.

Schnelltests sollen bald kostenlos werden und für Laien käuflich sein
Schlechtes Gewissen wegen des Impfdebakel? Gesundheitsminister Spahn (CDU) verspricht überraschend kostenlose Antigen-Schnelltests ab März 2021. Foto: Imago/IPON

Impfungen und Tests: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

Es ist Monate her, dass gute Nachrichten im Zusammenhang mit der Corona-Krise von der Bevölkerung ohne Skepsis aufgenommen wurden. Fast jedem Anlass zur Hoffnung folgte ein Dämpfer. Euphorie und Resignation gehen in Sachen Corona schon einher – zu schlecht berechenbar bleiben das Virus und die pandemische Lage für die Regierung.

Der Maskenmangel im Frühjahr, das holprige Lockdown-Management, die Frustration um ungerechte Corona-Soforthilfen und die ausbleibenden Impfstofflieferungen haben gezeigt: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Sich über die aufgeweichte Selbsttest-Strategie der Bundesregierung zu freuen, wäre also übermütig.

Schnelltestzentrum im Strandbad Weißensee. Bald kostenlos und zuhause? Foto: Imago/Gudath

Zum Hintergrund: Seit wenigen Tagen steht fest, dass Laien Antigen-Schnelltests wahrscheinlich schon ab dem 1. März 2021 selbst kaufen und zuhause durchführen können. Zudem ließ Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 16. Februar auf seinem Twitter-Kanal verlauten, die Tests sollten mehr oder weniger kostenfrei an Endverbraucher*innen abgegeben werden und alle Antigen-Schnelltests, auch die, die durch geschultes Personal durchgeführt wurden, sollen ab 1. März unentgeltlich sein.

„Diese Testmöglichkeiten könnten zu einem sicheren Alltag beitragen, gerade auch in Schulen und Kitas“, schrieb Spahn dazu auf seinem Twitter-Account.

Spahns Optimismus in allen Ehren, aber aus den letzten Monaten haben wir gelernt: Viel, was prophezeit, versprochen und als gut ausgelobt wurde, brachte im Endeffekt nichts oder trat gar nicht erst ein.

Und noch schlimmer als die Krise selbst, sind ehrlich gesagt leere Versprechungen. Die aufgeweichte Schnelltest-Strategie könnte vielen den Alltag erleichtern, es gibt jedoch erhebliche Risiken, die derzeit schlecht bis gar nicht skalierbar sind. Kostenlose Antigen-Schnelltests sind zwar ein nettes Angebot, aber ein Durchbruch keinesfalls.

Ein negativer Antigen-Schnelltest hat fast keine Aussagekraft

Schnelltests Solange ein negativer Antigen-Selbsttest nicht mit einem negativen PCR-Test bestätigt wird, bedeutet er gelinde gesagt: nichts.
Solange ein negativer Antigen-Selbsttest nicht mit einem negativen PCR-Test bestätigt wird, bedeutet er gelinde gesagt: nichts. Foto: Imago/blickwinkel

Fakt ist zunächst einmal: Die Abgabe von Antigen-Schnelltests an Laien birgt auch Gefahren. Wer sich selbst negativ testet, könnte leichtsinnig werden und die Hygieneregeln vernachlässigen. Gepaart mit einer gut gelaunten Prise Frühjahrsleichtsinn könnte dies sehr negative Folgen für die Infektionsentwicklung haben.

Und man muss im Hinterkopf behalten: Ein positiver Antigen-Schnelltest hat Aussagekraft, ein negativer eigentlich nicht, denn die Virenlast kann zum Zeitpunkt der Testdurchführung noch nicht groß genug, die Person aber trotzdem infiziert sein.

Ein negativer Antigen-Schnelltest muss in Deutschland also noch immer durch einen nicht kostenfreien PCR-Test bestätigt werden. Von Sicherheit kann sonst keinerlei Rede sein. PCR-Tests kosten nach wie vor, je nach Anbieter, um die 100 Euro.

Eine massenhafte Antigen-Schnelltestung würde also auch eine massenhafte PCR-Testung nach sich ziehen, die aber mit erheblichen Kosten für private Endverbraucher*innen verbunden ist. Kostenlose Antigen-Schnelltests sind ein nettes Angebot. Aber wer soll die PCR-Tests zahlen? Gerade, wenn ein Großteil der Bevölkerung finanziell angeschlagen ist?

Wir wissen zu wenig über die Mutationen und die Infektionen steigen sprungartig

Fakt Nummer zwei ist: Wir wissen noch zu wenig über die Corona-Virus-Mutationen, die sich derzeit in Europa ausbreiten. Und die Infektionen steigen teils sprungartig an. Gingen vor wenigen Wochen erst rund zwei Prozent der Neuinfektionen in Deutschland auf die Virusmutation aus Großbritannien zurück, sind es derzeit schon erschreckende 22 Prozent.

Wie schnell sich die Mutation verbreitet und vor allem wie sie sich verbreitet, können selbst Expert*innen derzeit schwer einschätzen. Trotz steigender Temperaturen und Frühjahrsentlastung könnte sich Deutschland also schon bald in einer neuen, misslichen Lage befinden.

Wieviel die Abgabe von kostenlosen Antigen-Schnelltests dann noch zur Entspannung der Situation beiträgt, bleibt abzuwarten.

Wirklich etwas ändern werden kostenlose Antigen-Schnelltests nicht

Schnelltests Solange die sicheren PCR-Schnelltests kostenpflichtig bleiben, bleiben die kostenlosen Schnelltests für Laien nur ein nettes Gimmick.
Solange die sicheren PCR-Schnelltests kostenpflichtig bleiben, bleiben die kostenlosen Schnelltests für Laien nur ein nettes Gimmick. Foto: Imago/photothek

Fakt Nummer drei und auch Fazit ist: Kostenlose Angebote im Kampf gegen die Pandemie sind begrüßenswert und helfen der strapazierten Bevölkerung dabei, konsequent zu bleiben. Aber Antigen-Schnelltests können lediglich dabei helfen, einige infizierte Personen „aus dem Verkehr“ zu ziehen, bei denen die Virenlast im Blut schon hoch genug ist, die meisten faulen Eier werden aber leider durchs Raster fallen.

Solange die sicheren PCR-Tests kostenpflichtig bleiben, die Bedrohung durch die Virusmutationen weitestgehend ungeklärt bleibt und Deutschland nicht beim Impfdebakel in die Gänge kommt, sind kostenlose Antigen-Schnelltests ein nettes Angebot – mehr aber leider nicht.


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