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Debatte

Roger Waters ist ein Wirrkopf – aber der Furor um Konzertabsagen ist falsch

Er war der Kopf von Pink Floyd, jener Band, die mit psychedelischer Rockmusik epochale Bestseller landete. Heute ist Roger Waters abgedriftet: Antisemit, Putin-Verharmloser und politischer Geisterfahrer. In Frankfurt ist jetzt ein Konzert in der Festhalle abgesagt worden, der Vorwurf lautet Judenfeindlichkeit – und in Berlin wird lauter denn je eine Debatte darüber geführt, ob die hiesigen Beteiligten dem Beispiel aus Hessen folgen sollten. Aber ergibt eine Verbannung von Waters überhaupt Sinn oder ist der Furor um Konzertabsagen grundsätzlich falsch?

Arbeit an der eigenen Legendenbildung: Roger Waters im Berliner Olympiastadion im September 2013. Foto: POP-EYE/Kriemann
Arbeit an der eigenen Legendenbildung: Roger Waters im Berliner Olympiastadion im September 2013. Foto: POP-EYE/Kriemann

Roger Waters, Sänger, Bassist und legendärer Sturkopf

Man muss es ja schon zugeben: Roger Waters, Sänger, Bassist und legendärer Sturkopf, war ein Gigant der Rockgeschichte des vergangenen Jahrhunderts. Der eigensinnige Brite bildete das künstlerische Zentrum einer Band mit wagnerianischem Gestus, deren Alben einen Klassiker-Status in der Ruhmeshalle populärer Musik haben. Werke wie „Dark Side of The Moon“, „Wish You Were Here“ oder „The Wall“. Mehr als 300 Millionen Tonträger haben Pink Floyd bis heute verkauft, eine bestens geölte Verkaufsmaschinerie. 

Vor dem Hintergrund dieser enormen Beliebtheit muss man die jüngsten Debatten verstehen um Konzerte in Mehrzweckhallen, die dieses Repertoire noch einmal im Gala-Format auf die Bühne bringen. Roger Waters, seit den 1980er-Jahren von seinen Bandkollegen getrennt, intoniert diese Shows als Solo-Künstler vor einem weltweiten Massenpublikum, 2022 in Nord- und Mittelamerika, zurzeit in Europa. 

Das Dilemma: Roger Waters ist nicht nur der Nachlassverwalter einer Band, deren Marke mal so stark war, dass eine VW-Golf-Reihe nach ihr benannt wurde. Der Wirrkopf und Stinkstiefel gilt vielen Kritikern als reichweitenstärkster Antisemit, den die globale Musikbranche zu bieten hat. Sieht man von dem wahnwichtelnden US-Rapper Kanye West ab.

Roger Waters ist glühender Anhänger der BDS-Bewegung

In Berlin sind Konzerte am 17. und 18. Mai in der Mercedes-Benz Arena geplant. „The Creator of the Golden Years of Pink Floyd“, so preist sich der Musiker auf Tournee-Plakaten an. Dabei ist der Rockstar glühender Anhänger der BDS-Bewegung, deren Anhänger das Existenzrecht Israels leugnen. Er hat die Politik des Staats im Nahen Osten schon mal mit dem Nazi-Deutschland der Dreißigerjahre verglichen – nur ein Beispiel für seine Tiraden.

In diesem Februar gab er der „Berliner Zeitung“ außerdem ein Interview, das über israelfeindliche Statements hinaus die wüsten Assoziationen eines Kreml-Trolls bot. Waters kolportierte, dass Rechtsextreme in der Ukraine eine einflussreiche Rolle spielen würden, Russland ja eigentlich ein freies Land wäre und überhaupt die Menschen im Westen „brainwashed“ seien. So in etwa die Zusammenfassung seiner Statements, deren Kontext der Ukraine-Krieg war. Putin-Propaganda, die ebenfalls typisch für ihn ist. Schon im vergangenen Jahr sind deshalb Konzerte im polnischen Krakau abgesagt worden. 

Weil sich dieses Scheusal immer wieder, so zumindest wird es ihm häufig vorgeworfen, antisemitisch äußert, ist vor ein paar Tagen ein Auftritt in Frankfurt am Main gestrichen worden – am 28. Mai 2023 in der Festhalle. Die Besitzverhältnisse ebneten den Weg für diese hoheitliche Entscheidung von politischen Amtsträgern: Die Festhalle gehört zur Messe Frankfurt GmbH, deren Anteilseigner wiederum zu 60 Prozent die Stadt Frankfurt und zu 40 Prozent das Land Hessen sind.

Der Streit um seine Konzerte wird auch in der Hauptstadt geführt. In einem Offenen Brief protestieren 16 jüdische Organisationen, darunter die Deutsch-Israelische Gesellschaft. Sie fordern, dass die Berlin-Auftritte abgesagt werden. 

Noch eine Aufnahme von Roger Waters’ Berlin-Visite im Jahr 2013: Der Musiker posiert an der East Side Gallery, wo er Stellung bezog gegen damalige Bauprojekte an der Spree .Foto: M. Golejewski/Future Image
Noch eine Aufnahme von Roger Waters’ Berlin-Visite im Jahr 2013: Der Musiker posiert an der East Side Gallery, wo er Stellung bezog gegen damalige Bauprojekte an der Spree .Foto: M. Golejewski/Future Image

Doch wie aussichtsreich wäre es, diese Waters-Gigs zu canceln? Einerseits ist die Gemengelage in Berlin komplizierter. Veranstalter ist die Event-Firma FKP Scorpio, der Eigentümer der Mercedes-Benz Arena wiederum die Anschutz Entertainment Group (AEG). Ein privatwirtschaftliches Geflecht – staatliche Akteure haben also keine rechtliche Handhabe. Der einzige Weg: dass Veranstalter und Besitzer die Verträge auflösen. Ein kapitales Geschäft würde platzen, und ein Rechtsstreit könnte Folge sein. Der Künstler würde vermutlich Schadensersatz fordern. Eine Ausladung von Roger Waters, dem Missetäter, ist damit ungefähr so realistisch wie eine Pink-Floyd-Reunion.

Roger Waters bedient als Musiker nostalgische Sehnsüchte

Dann ist da noch die gesellschaftliche Ebene. In unserem hypernervösen Social-Media-Zeitalter sind Offene Briefe, Petitionen und Verbotsaufrufe allzu oft nur Ersatzhandlungen. Nämlich für eine robuste Konfrontation in der Echtwelt. So verständlich die Gegenkampagne der jüdischen Community ist: Man könnte auch Schaumschlägern und Spinnern mit dem Selbstbewusstsein einer mündigen Gesellschaft begegnen. Das würde heißen: Wer Haltung zeigen will, boykottiert die Tour-Station in Berlin schlicht und einfach. Oder aber geht hin, ärgert Waters, den Hysteriker, aus der Zuschauermenge heraus, ob mit Banderole oder lautem Spruch – und lässt sich von ihm rausschmeißen. Es wäre nur eine weitere Blamage für den Welterklärer.

Zum anderen sind weder die sphärischen Floyd-Songs noch Waters’ kulturpessimistische Solo-Stücke vom Antisemitismus kontaminiert. Wie so häufig ist die Kunst schlauer als ihr Schöpfer. Ob das aufblasbare Schwein mit dem Davidstern neben anderen politischen Symbolen, auf früheren Shows berüchtigtes corpus delicti für die Judenhass-Vorwürfe, wieder über die Crowd fliegt, das ist bislang allem Anschein nach nicht überliefert. Es würde aber auch nichts am Genre ändern. Die Zuschauer erleben Waters-Shows nicht als politische Bierzelt-Reden, sondern als musikalische Nostalgietrips.  

So bleibt als Ausklang: Roger Waters ist ein ätzender Typ – aber eine Konzertabsage, deren Umsetzung sich sowieso als schwierig erweisen würde, wäre zu viel der Ehre.


Mehr zu Pink Floyd und Konzerten in Berlin

Wer ganz ungetrübt alte Pink-Floyd-Klassiker hören will, geht ins Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg: Dort wird „Dark Side of The Moon“, eine extraterrestrische Platte, die vor 50 Jahren erschienen ist, an ausgewählten Terminen abgespielt. Solche Listening-Sessions aus der Büchse sind bei anderen Rockbands natürlich nicht nötig – weil sie im Gegensatz zu Pink Floyd noch aktiv sind. Über aktuelle Konzerte halten wir euch regelmäßig auf dem Laufenden, egal ob es nun um interessante, abseitige oder gewöhnliche Termine geht. Die beglückendsten Live-Erlebnisse der Vergangenheit in Berlin reichen von Bowie über Ärzte bis Seeed.

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