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Die Filmstarts der Woche: Von „Frühling in Paris“ bis „Aznavour by Charles“

Noch ist das Programm der Filmverleiher von Vorsicht bestimmt. Und doch sind die Filmstarts der Woche alle sehenswert: Suzanne Lindon erzählt in „Frühling in Paris“ von einer schwärmerischen jungen Frau, Ute Adamczewski legt mit „Zustand und Gelände“ einen gewichtigen Film über das Jahr 1933 in Sachsen vor, und „Aznavour by Charles“ bringt den berühmten Sänger Charles Aznavour nahe


Frühling in Paris

„Frühling in Paris“ von und mit Suzanne Lindon. Bild: MFA+

JUGENDFILM Suzanne ist 16 und geht noch zur Schule. Aber wie sie einmal anmerkt: Die Gleichaltrigen, von denen sie umgeben ist, langweilen sie. Die Kamera konzentriert sich in verschiedenen Situationen komplett auf Suzanne: im Café, auf dem Schulhof, bei einer Party. Stets ist sie im Mittelpunkt des Bildes und scheint doch ganz woanders zu sein. Das Leben organisiert sich um sie herum, ohne dass sie richtig dazugehört.

Was Suzanne interessiert, ist Raphaël (Arnaud Valois), ein Schauspieler Mitte 30, der ihr auf ihrem Schulweg auffällt: Mal steht er mit seinem Motorroller vor dem Theater, in dem er probt und auftritt, mal sitzt er beim Frühstück im Café gegenüber. Suzanne verliebt sich. Plötzlich interessiert sie sich für Theater, für die Reparatur von Motorrollern und für Brote mit Erdbeermarmelade – weil Raphaël die immer frühstückt. Suzannes beobachtendes Interesse ist so auffallend, dass auch Raphaël sie irgendwann bemerkt. Die beiden kommen ins Gespräch und beginnen miteinander auszugehen.

Doch „Frühling in Paris“ ist weder ein Lolita-Film (der Gipfel körperlicher Annäherung ist hier ein Kuss auf den Hals) noch eine charmante Liebeskomödie: Was die Regisseurin, Autorin und Hauptdarstellerin Suzanne Lindon interessiert, ist der Ausdruck des Gefühls von Verliebtheit mit filmischen Mitteln. Die heute 21-Jährige, als Tochter von Sandrine Kiberlaine und Vincent Lindon von jeher mit der Filmbranche vertraut, schrieb das Drehbuch mit 15 und realisierte ihren Film mit 19.

Lindons Mittel der Wahl ist die Stilisierung: Wenn Suzanne das erste Mal mit Raphaël gesprochen hat, führt sie beim Heimweg auf der Straße plötzlich einen kleinen Tanz auf. Für zwei, drei Sekunden wird der Film dabei zu einem Musical. Eine Szene im Café endet in einer Art Tanzperformance, bei der Suzanne und Raphaël zu den Klängen eines Musikstücks von Vivaldi ihre Arme und Hände expressiv bewegen: Der innere Einklang zweier Menschen findet seinen Ausdruck in körperlicher Synchronität. Irgendwann ist es damit dann vorbei. Sie müsse jetzt gehen, sagt Suzanne, also: so richtig gehen. Dann ist auch der Film vorbei.

Seize printemps, F 2020, 75 Min., R: Suzanne Lindon, D: Suzanne Lindon, Arnaud Valois, Frédéric Pierrot, Start: 17. 6.


Zustand und Gelände

"Zustand und Gelände" von Ute Adamczewski. Bild: Grandfilm
„Zustand und Gelände“ von Ute Adamczewski. Bild: Grandfilm

DOKUMENTARFILM Gebäude, Räume und Landschaften: Ausgehend von sogenannten „Schutzhaft“-Lagern, die von den Nationalsozialisten direkt nach der Machtübernahme im Jahr 1933 insbesondere zur Inhaftierung politischer Gegner in Turnhallen oder Fabrikgebäuden eingerichtet wurden, verbindet „Zustand und Gelände“ der Berliner Filmemacherin und Videokünstlerin Ute Adamczewski heutige Aufnahmen dieser Orte mit betont sachlich gehaltenen Informationen, die Zitate aus Behördenschriftverkehr ebenso umfassen wie Erinnerungen ehemaliger Häftlinge, die dort geprügelt, gequält und ermordet wurden.

Es gab wilde und offizielle Lager, viele davon in Sachsen, denn dort war die Arbeiterbewegung gut organisiert. Da löste man dann schnell auch mal einen Arbeiterchor im Namen der allgemeinen Sicherheit auf. Die „Schutzhaft“ war in jeder Hinsicht ein abgrundzynisches Unterfangen: Angeblich wurden die Gefangenen dort vor dem „Volkszorn“ geschützt und mussten mit zwei Reichsmark pro Tag für ihre Internierung finanziell auch noch selbst aufkommen. Zugleich wurden die Inhaftierten unter anderem als Straßenbauarbeiter ausgebeutet. Und natürlich gab es auch jene Leute, die mit dem Terror ihre Geschäfte machten: Geschäftsleute lieferten Bettwäsche und Lebensmittel, der Film zitiert aus dem Bewerbungsschreiben eines Kochs.

Mit vergleichsweise einfachen Mitteln ergibt sich hier ein hochkomplexer Film: einerseits eine erschreckende Chronologie des gewalttätigen nationalsozialistischen Alltagsterrors, aber andererseits auch ein Blick auf 80 Jahre alltäglicher Umwidmung und Überformung dieser Orte sowie auf Erinnerungskultur – je nach Ideologie und Gesellschaftssystem. Dabei geht der Film insbesondere auch auf den Umgang mit Nazi-Verfolgung und die Mahnmale der DDR ein, einem Staat, der sich ja a priori als antifaschistisch verstand und in den 1980er-Jahren ein Riesenproblem mit neonazistischen Umtrieben hatte. 

Deutschland 2019, 120 Min., R: Ute Adamczewski, Start: 17. 6.


Aznavour by Charles

Filmstarts der Woche: "Aznavour by Charles" mit Charles Aznavour. Bild: Anna Sanders Films
Filmstarts der Woche: „Aznavour by Charles“ mit Charles Aznavour. Bild: Anna Sanders Films

PORTRÄT Charles Aznavour war schon zu Lebzeiten eine Legende, als Chansonnier ebenso wie als Kino- und Fernsehstar. Jahrzehntelang erlebte das Publikum den französisch-armenischen Entertainer auf der Bühne und auf der Leinwand, man sah ihn an und vielleicht auch zu ihm auf.

Doch mit welchem Blick schaute Aznavour selbst auf die Welt? Ein Jahr vor seinem Tod 2018 mit 94 Jahren zeigte der Star dem Autor und Regisseur Marc di Domenico eine ganze Kammer voller 8mm- und 16mm-Filme, die er im Lauf seines Erwachsenenlebens gedreht hatte: Straßenszenen mit fremden Menschen und Moden, die ihn interessierten, Erinnerungen an berufliche oder private Reisen (ob in den Senegal oder mit Freundin Evelyne und Edith Piaf in New York), Szenen bei Dreharbeiten, Aufnahmen geliebter Frauen. Manche der letzteren, wie seine schwedische Frau Ulla, filmten dabei gern einmal „zurück“: So ist Aznavour auch selbst gelegentlich zu sehen.

Di Domenico hat dieses Material für den Film „Aznavour by Charles“ nun organisiert, behutsam durch einige wenige Konzert- und Filmausschnitte ergänzt und mit einem Off-Kommentar versehen, der ausschließlich Interviews oder persönlichen Aufzeichnungen und Texten Aznavours entstammt. Dazu gibt es jeweils thematisch passende Chansons des Meisters zu hören. Herausgekommen ist ein durchaus ungewöhnliches Porträt, das sich nicht an Meilensteinen einer großen Karriere orientiert, sondern – wie es der Originaltitel dieses Filmstarts der Woche „Le regard de Charles“ treffend bezeichnet – am Blick des Künstlers auf die Welt.

Ein Blick mit Haltung, etwa gegen den Algerienkrieg. Und es ist ein neugieriger, den Menschen sehr zugewandter Blick: Aznavour, der aus einer armenischen Flüchtlingsfamilie stammende Selfmade-Man, verstand die kleinen Leute mit den großen Träumen sehr gut, konnte sich mit ihnen identifizieren. Er sah sein eigenes Leben stets in dem der anderen Menschen gespiegelt.

Le regard de Charles, F 2019, 83 Min, R: Marc di Domenico, Charles Aznavour, Start 17.6.


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