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Neu im Kino

Filmstarts der Woche: Von Leander Haußmanns „Stasikomödie“ bis zu dem Porträt „Bettina“

Leander Haußmann hat einst mit „Sonnenallee“ einen Schlüsselfilm für das Nachwendekino gemacht, mit „Stasikomödie“ versucht er nun, daran anzuschließen; außerdem diese Woche neu: „Erhebe dich, du Schöne“, ein Dokumentarfilm von Heidi Specogna über eine Musikerin in Äthiopien; „Bettina“ von Lutz Pehnert, das Porträt der großen Sängerin Bettina Wegner; und die Pornodreh-Parodie „X“ mit vielen Filmanspielungen – die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick

Stasikomödie

„Stasikomödie“ von Leander Haußmann. Foto: Constantin

KOMÖDIE In dem wahrscheinlich bekanntesten Film über die Stasi, in „Das Leben der anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck, ging es darum, dass ein Schriftsteller ein Buch schreiben konnte – gedeckt von einem Beamten, der es heimlich gut mit ihm meinte. Leander Haußmann setzt da nun mit seiner „Stasikomödie“ noch einen drauf, und verwandelt den Sicherheits- und Unterdrückungsapparat direkt in eine Quelle für Literatur. Ein junger Mann namens Ludger Fuchs (David Kross) wird in den 80er-Jahren auf die „negativ-dekadente Szene“ im Prenzlauer Berg angesetzt („neg-dek“). Er gerät in verschiedene erotische Situationen, die alle zugleich auch hochnotpeinlich sind. Statt Berichte schreibt er bald heimlich einen Roman, einmal trifft er sogar den legendären Beat-Dichter Allen Ginsberg, der ihn als Genie bezeichnet (Achtung: Ironie).

Die DDR als Trödelladen für Klamauk: „Stasikomödie“ von Leander Haußmann

Ein wenig notdürftig wird das auch noch mit einer Rahmenhandlung im Heute versehen, in der Jörg Schüttauf den halbwegs würdig gealterten Starschriftsteller spielt, in einem Prenzlauer Berg, in dem er von Touristen dämliche Fragen gestellt bekommt. Die frühere DDR wurde bei Leander Haußmann („Sonnenallee“, „NVA“) schon bald nach der Wende zu einer Art Trödelladen, aus dem man kuriose Geschichten abstauben konnte. So ist es nun auch mit der „Stasikomödie“: trotz einiger gelungener Verfremdungseffekte setzt Leander Haußmann doch in erster Linie auf billigen Klamauk und kommt damit zu einem allzu einfachen Schluss: die DDR war sogar noch dämlicher, als die Staatspolizei erlaubte. Bert Rebhandl

D 2022; 114 Min.; R: Leander Haußmann; D: David Kross, Jörg Schüttauf, Deleila Piasko; Kinostart: 19.5.

Erhebe dich, du Schöne

„Erhebe dich, du Schöne“ von Heidi Specogna. Foto: Foto: deja-vu-film

DOKU Porträt der jungen Äthiopierin Nardos, die als Sängerin in Clubs auftritt und hofft, mit eigenen Liedern den Durchbruch zu schaffen. Wie immer in ihren Filmen erzählt die Schweizer Dokumentaristin Heidi Specogna auf Augenhöhe der Porträtierten und zeigt in Zwischenbildern zudem den Wandel in Äthiopien. Frank Arnold

CH/D 2021; 110 Min.; R: Heidi Specogna; Kinostart: 19.5.

Filmgespräch mit Heidi Specogna jeweils am 22.5. im fsk Kino und am 23.5. im Klick Kino

Bettina

„Bettina“ von Lutz Pehnert. Foto: Salzgeber

DOKU Bettina Wegner erzählt aus ihrer Kindheit. Ihre Eltern hätten immer gewollt, dass sie und ihre Schwester Hochdeutsch sprechen und deshalb folgende Regel eingeführt: Jedes Mal, wenn sie berlinert hätte, sei ihr ein Pfennig vom Taschengeld abgezogen worden, berichtet die Liedermacherin. Übriggeblieben sei von dem Geld nichts. Mit Hochdeutsch habe sie sich einfach nicht Zuhause gefühlt. Wegner berlinert immer noch.

Man könnte dies vielleicht als nebensächliche Anekdote aus einem reichhaltigen Leben abtun, aber Regisseur Lutz Pehnert hat diese kleine Geschichte in seinem Filmporträt „Bettina“ sicher nicht bloß aus chronologischen Gründen ziemlich an den Anfang gestellt. Denn das Leben der Bettina Wegner ist eine einzige große Story der Verwurzelung und der Entwurzelung, die dabei auch viel über die deutsch-deutsche Geschichte erzählt.

Verwurzelt, das war Bettina Wegner in der DDR, wo sie in Ost-Berlin aufwuchs. Zunächst erwies sie sich als kindlicher Stalin-Fan (das war selbst ihren Eltern peinlich), und Regisseur Pehnert setzt dem auch sogleich das Tondokument einer Anklage gegen Wegner entgegen, der sie sich 1968 ausgesetzt sah, als sie mit Flugblättern gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei protestierte: „Staatsfeindliche Hetze“, Gefängnisstrafe, ausgesetzt zur Bewährung in der Produktion. Da war Wegner bereits „kritische“ Sozialistin, hatte die Liebeslieder, die sie ursprünglich schrieb („Lustig endeten die nie“), getauscht gegen Lieder über den Alltag in der DDR.  

Im Westen entwurzelt: „Bettina“ erzählt von Bettina Wegners Leben zwischen den Systemen

Offenheit und Spontanität stellte sie sich vor, doch damit hatten es Staat und Justiz im Land der Arbeiter und Bauern bekanntlich ebenso wenig wie mit Kritik: Als Wegner den Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterschrieb, gab man auch ihr ein West-Visum, ließ sie fast nur noch im Westen auftreten und hoffte, dass sie einfach dort bleiben würde. Als das nicht klappte, eröffnete man ein absurdes Ermittlungsverfahren wegen Zoll- und Devisenvergehen, das sie 1983 zur Übersiedelung nach West-Berlin zwang. Seitdem fühlt die Sängerin sich entwurzelt, das Wort „drüben“ benutze sie auch heute immer noch für den Westen.

Regisseur Pehnert erzählt diese Geschichte einer Frau, die sich nie verbiegen ließ, in einer sehr schlüssigen Weise mit heutigen Interviews, Archivmaterialien und aktuellen Proben zu einer Konzerttournee, bei denen die Lieder die einzelnen Stationen eines konsequent geraden Lebensweges kommentieren und beleuchten. 

Bettina Wegners berühmtestes Lied „Kinder (Sind so kleine Hände)“ kommt im Film übrigens eher am Rande vor, gegen Ende als eine Art Zugabe, ohne die man als Zuschauer:in dann vielleicht doch nicht heimgehen möchte. Jahrelang habe sie das Lied nicht in ihrem Repertoire gehabt, erzählt Wegner bei einem aktuellen Konzert, weil sie nicht auf diesen Hit hätte reduziert werden wollen. Doch dann seien ihre Kinder eines Tages mit einer Punkplatte der Band Daily Terror angekommen, die „Kleine Hände“ in „Sind so kleine Biere“ umgedichtet hatte. Seitdem könne sie das Lied wieder spielen.

Dass die Liedermacherin mit diesem witzigen Bruch des Pathos und der großen Ernsthaftigkeit, der in politischen Chansons ja immer auch drinsteckt, und der (etwas anderen) Neuverankerung des Liedes im Alltag etwas anfangen konnte, zeigt eine Seite der Bettina Wegner, die nur auf den ersten Blick fremd scheint, letztlich jedoch nur konsequent wirkt. Ihre Kinder hätten sie wohl ein wenig schockieren wollen, meint Wegner, sie aber in dieser Hinsicht zu wenig gekannt: „Ich bin ein Punk-Fan.“ Lars Penning

D 2021; 104 Min.; R: Lutz Pehnert; Kinostart: 12.5.

X

„X“ von Ti West. Foto: Capelight

SCHOCKER Mit „Deep Throat“ wurde Pornokino 1972 in den USA gesellschaftsfähig, die Hauptdarstellerin Linda Lovelace erlangte Celebrity-Status. Auch die junge, Kokain schnupfende Stripperin Maxine träumt von Starruhm, als sie 1979 mit einem Filmteam in die texanische Provinz reist. Zusammen mit einer abgebrühten Burlesque-Tänzerin und einem virilen Afroamerikaner in der Rolle des „Rammlers“ soll sie für Erektionen beim zahlenden Publikum sorgen.

Die sechsköpfige Truppe gelangt zu einem heruntergekommenen Bauernhof, der verwittert aussehende Besitzer begrüßt die Neuankömmlinge mit einer Schrotflinte im Anschlag. Besänftigt mit einer Handvoll Dollar, weist er den Besuchern ein Nebengebäude als Unterkunft an, ohne zu ahnen, was sie vorhaben. Seine welke, sinister wirkende Gattin Pearl späht aus dem Fenster im ersten Stock des Wohnhauses. Später beobachtet sie unbemerkt die heimlichen Dreharbeiten in der Gästebaracke und im Kuhstall. Pearl fühlt sich hingezogen zu Maxine. Ihr blauer Lidschatten erinnert die gespenstische Greisin an eigene Jugendzeiten als Tänzerin mit blauem Augen-Make-up.

Technisch hervorragend

Bevor das Schlachtfest beginnt (mit Momenten verstörender Zärtlichkeit, wenn es um lüsternen Sex im Alter geht), nimmt sich der filmsprachlich versierte Autorenfilmer Ti West Zeit für die Charakterisierung der Figuren (mit Mia Goth in einer Doppelrolle als Maxine/Pearl) und die Erkundung der Schauplätze (gedreht wurde in Neuseeland), sowie die Schaffung einer latent bedrohlichen, zunehmend unheimlichen Stimmung. Perfekt passend zum Filmgeschehen ist der Soundtrack konzipiert. Der Komponist und Marilyn Manson-Leadgitarrist Tyler Bates schuf mit der Liedermacherin Chelsea Wolfe einen hypnotisch dräuenden Score. Beim Pornodreh dient „Act Naturally“ quasi als Regieanweisung und artikuliert Maxines Filmstar-Träume.

„X“ bereitet Kinokundigen immenses visuelles Vergnügen mit Anspielungen (unter anderem an „The Texas Chainsaw Massacre“, „Der weiße Hai“ und, namentlich genannt, „Psycho“), sowie einer Vielzahl virtuos eingesetzter Techniken: Aufnahmen aus Unter- und Obersicht, Spiegelbilder (einmal sogar auf der Kameralinse), langsame Zooms, Split-Screen, Parallelmontagen, suggestive Bildanschlüsse, traumhafte Totalen aus der Vogelperspektive. Man ahnt nie, was als nächstes passiert. Ein fanatischer Tele-Evangelist sorgt für eine überraschende Schlusspointe. Derzeit arbeitet West bereits an einem Prequel mit dem Titel „Pearl“. Ralph Umard

USA 2022; 105 Min.; R: Ti West; D: Mia Goth, Brttany Snow, Scott „Kid Codi“ Mescudi; Kinostart: 19.5

Sechs Tage unter Strom – Unterwegs in Barcelona

„Sechs Tage unter Strom“ von Neus Ballús. Foto: Arsenal

ALLTAGSDRAMA Auch wenn der Titel anderes verspricht: „Sechs Tage unter Strom – Unterwegs in Barcelona“ ist keineswegs ein rasanter, energiegeladener Film. Im Gegenteil, Regisseurin Neus Ballús erzählt subtil, unterschwellig, ja fast enigmatisch vom Leben ganz normaler Menschen mit ganz normalen Problemen, und gerade das macht die Qualität ihres ungewöhnlichen Films aus.

Ungewöhnlich sind schon die Hauptfiguren, denn es sind Handwerker, also Menschen aus der Arbeiterklasse, die im zeitgenössischen Kino meist kaum mehr als Randfiguren sind. In den Außenbezirken der katalanischen Metropole Barcelona arbeiten der Einheimische Valero (Valero Escolar) und sein neuer Kollege Moha (Mohamed Mellali), ein Migrant aus dem Maghreb. Eine Woche Probezeit hat Moha, eine Woche lang begleitet der Film das Duo bei ihrer Arbeit. Eine Woche, in der der übergewichtige und unzufriedene Valero nicht wirklich offen rassistisch agiert, aber seine Vorurteile auch nicht verhehlt.

Der Vater der Regisseurin war selbst Installateur, viele Episoden ihres Films sind seinen Erzählungen nachempfunden, ein Bemühen um Authentizität, das sich auch bei den Schauspielern zeigt. Escolar und Mellali sind Laien, die hier zum ersten Mal vor der Kamera standen und Variationen ihrer selbst spielen. Und das so überzeugend, dass sie beim Festival in Locarno mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurden. Zu Recht, denn im Laufe der episodischen Erzählung entfaltet sich ein genau beobachtetes Geflecht aus Beziehungen und Verbindungen, wird von alltäglichen Vorurteilen und Klischees erzählt, und von Menschen, die nicht mehr verlangen als ein anständiges Leben. Michael Meyns

Spanien 2021; 84 Min.; R: Neus Ballús; D: Mohamed Mellali, Valero Escolar, Pep Sarrà; Kinostart: 19.5.

One of These Days

„One of These Days“ von Bastian Günther. Foto: Weltkino

DRAMA Ein gutes Dutzend Leute steht um einen Pick-Up-Truck herum, mit einer Hand am Auto. Sie alle nehmen an dem Verlosungswettbewerb eines Autohauses in der texanischen Provinz teil: Wer von ihnen als letzte:r noch steht und den Wagen berührt, darf ihn behalten. Erwartungsgemäß stammt die Mehrzahl der Wettbewerber:innen aus der Unterschicht von God’s Own Country: Jene, die es nötig haben, werden hier zur Belustigung freigegeben für jene, die es sich leisten können, nicht an einer derartigen Veranstaltung teilzunehmen. Und natürlich finden entsprechende Dramen statt: Zusammenbrüche, Psychoterror und Ausraster.

Wer oder ob überhaupt jemand am Ende gewinnen wird, darauf kommt es in dem Spielfilm „One of Those Days“ des deutschen Regisseurs und Autors Bastian Günther allerdings nicht an. Denn seine Idee ist, aufzuzeigen, was für ein ungerechtes Land die USA sind – irgendwo zwischen Turbokapitalismus und dem verlogenen Amerikanischen Traum, dass jede:r ihres/seines eigenen Glückes Schmied ist. Aber ist das alles auch eine filmische Idee?

Günther folgt den verschiedenen Protagonist:innen in den ihnen zustehenden Pausen mal hier, mal dorthin, schafft es aber nie, diese Figuren auch nur soweit zum Leben zu erwecken, dass man ihrem Schicksal mit einem gewissen Interesse folgen möchte. Das gelingt ihm lediglich bei Joan (Carrie Preston), der Mitarbeiterin des Autohauses, die den Wettbewerb seit Jahren organisiert: eine einsame, sympathische Frau mittleren Alters, die durchaus Mitgefühl mit ihren Kandidat:innen verspürt, zugleich aber überhaupt nicht erkennt, wie demütigend das von ihr entworfene Szenario ist. Für satte zwei Stunden Filmdauer ist das allerdings ein wenig dünn. Lars Penning

D 2020; 121 Min.; R: Bastian Günther; D: Carrie Preston, Joe Cole, Jesse C. Boyd; Kinostart: 19.5.


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