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Die Filmstarts der Woche: Von „Close“ bis „Till – Kampf um die Wahrheit“

Das belgische Drama „Close“ um zwei Jungen, die eine enge Freundschaft verbindet, ist diese Woche einer der Höhepunkte – auch bei den Oscars gab es eine Nominierung. Das Bürgerrechtsdrama „Till – Kampf um die Wahrheit“ erinnert an einen brutalen Fall von Rassismus in den USA. Dazu gibt es tolle Dokus wie die Berliner Langzeitbeobachung „Kalle Kosmonaut“. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.

Close

„Close“ von Lukas Dhont. Foto: Pandora

DRAMA „Seid ihr zusammen?“ Diese Frage, gerichtet an die beiden Jungen Léo und Rémi, kann nett gemeint sein, sie kann einfach aus Interesse gestellt werden. Sie kann aber auch eine Gemeinheit sein. Denn Léo und Rémi sind eigentlich noch zu jung, um genau zu wissen, was ein Paar ist, was die Liebe sein könnte, was eine Beziehung ausmacht. Offensichtlich sind sie gute Freunde, es sind die Begegnungen mit anderen Kindern in der Schule, die einen Keil in ihre Freundschaft treiben, bis es schließlich zu einem dramatischen Ereignis kommt.

Regisseur Lukas Dhont („Girl“) hat mit Eden Dambrine und Gustav De Waele zwei attraktive Jungen gefunden, die perfekt nicht nur das verkörpern, was er von Léo und Rémi erzählen will, sondern auch, was das Kino mit so einer Geschichte macht. Die Jungen entsprechen in vielerlei Hinsicht den Eigenschaften, die das Vorurteil mit Begriffen wie „Schwuchtel“ belegt, sie sind latent schwul oder queer (vielleicht nur für ein paar Monate) auf eine Weise, die eben genau die Grenze zwischen definierter Identität und allen Definitionen vorausliegender Unmittelbarkeit markiert, auf die Dhont hinaus will.

Denn es geht zwar auch um Aspekte, die Homosexualität als eine Form des Geschlechterwechsels sehen (der Schwule als effeminierter Mann, ein alter Topos). Das ist allerdings nur die nächste Ebene nach der viel grundsätzlicheren, ob es eine Welt vor der Notwendigkeit gibt, sich selbst (als jemand Bestimmtes) zu verstehen. Lukas Dhont erzählt den vielleicht zeitgemäßesten Mythos vom Paradies, und wir können nun darüber nachdenken, wer darin Adam und wer Eva ist. Und wer die Schlange. Bert Rebhandl

Belgien 2022; 104 Min.; R: Lukas Dhont; D: Eden Dambrine, Gustav De Waele, Léa Drucker; Kinostart: 26.1.

Berliner Langzeit-Doku „Kalle Kosmonaut“

„Kalle Kosmonaut“ von Tine Kugler und Günther Kurth. Foto: Mindjazz

DOKU Als Zehnjähriger ist Pascal, genannt Kalle, ein aufgeweckter Junge. Er kann sich artikulieren und ist in der Lage, sich selber kritisch sehen. Das wird sich auch später nicht ändern, einmal betont er, er wolle etwas erreichen, ein anderes Mal ärgert er sich über sich selber, als er auf Arbeitslosengeld angewiesen ist. Man gewinnt den Eindruck, dass er es schaffen könnte, den widrigen Lebensumständen zu trotzen. Doch nicht alles läuft wie geplant, im Alter von 16 Jahren attackiert er unter Drogeneinfluss einen Mann mit einem Messer. Mit der Erzählung dieses einschneidenden Erlebnisses beginnt „Kalle Kosmonaut“, eine Langzeitbeobachtung über zehn Jahre, in gewisser Weise ein dokumentarisches Gegenstück zu Richard Linklaters „Boyhood“, angesiedelt in einem Plattenbau in Berlin-Marzahn.

Ihr ebenso ehrgeiziges wie gewagtes Projekt einer Langzeitbeobachtung haben Tine Kugler und Günther Kurth selber produziert. Dass es letztlich zehn Jahre wurden, hatten sie nicht geplant, fanden es aber – zurecht – wichtig, Kalle auch nach seiner Zeit im Gefängnis noch eine Zeit lang zu begleiten. Nach zwei Jahren und sieben Monate im Bau muss er fast 12.000 Euro Schmerzensgeld zahlen und hat weitere Schulden von fast 3000 Euro zu begleichen. Dafür bleiben ihm fünf Jahre Zeit. Das ist keine leichte Hypothek für Kalle – mit 19 Jahren hat er das Gefühl, dass ihm alles über den Kopf wächst, er ahnt, dass allzu hoch gesetzte Ziele nicht erreichbar sind. Aber der Ausblick am Ende des Films ist positiv, Kalle lebt nicht mehr bei seiner Mutter, sondern bei seiner Freundin und kümmert sich um den gemeinsamen Sohn. Ein eindringliches Porträt einer für die meisten Zuschauer fremden Welt ist hier gelungen. Frank Arnold

D 2022; 99 Min.; R: Tine Kugler, Günther Kurth; Kinostart: 26.1.; in Anwesenheit der Filmemacher und des Protagonisten am 29.1. im Moviemento und im CineStar Berlin Hellersdorf

Midwives

„Midwives“ von Snow Hnin Ei Hlaing. Foto: jip

DOKU Hla und Nyo Nyo, die beiden Hebammen, die Snow Hnin Ei Hlaings Dokumentarfilm den Titel geben, leben in Rakhaing-Staat. Das ist eine der 15 Verwaltungseinheiten von Myanmar; genauer gesagt jene, in der die buddhistische Mehrheit 2017 einen Völkermord an der muslimischen Minderheit der Rohingya verübte. Über eine halbe Million Menschen flohen damals ins benachbarte Bangladesch, ein trauriger Höhepunkt in einer langen Reihe von Repressalien. Nun ist Hla zwar Buddhistin und Nyo Nyo Muslima, aber beide arbeiten gemeinsam in einer kleinen Dorfklinik, die eigentlich eher ein schuppenartiger Anbau an ein Haupthaus ist. Hla hat Nyo Nyo als ihre Schülerin angenommen, sie zeigt ihr, wie man Kinder auf die Welt bringt und medizinische Erstversorgung leistet, und verstößt damit gegen diverse, die Rohingya diskriminierende Regeln. Sie lasse sich nicht vorschreiben, wen sie behandelt, sagt sie. Um im nächsten Moment über die Andersgläubigen zu schimpfen, während ihr Mann im Hintergrund nationalistische Popmusik hört. Die Traurigkeit in Nyo Nyo Gesicht ist nicht zu übersehen. Man wird nicht recht schlau aus diesem Verhältnis.

Fünf Jahre lang hat die Filmemacherin Leben und Arbeit der beiden Frauen dokumentiert, kurz nach dem Militärputsch im Februar 2021 war damit dann Schluss. Entstanden ist kein erbauliches Exempel für „Gemeinsam sind wir stark und besiegen die Unterdrücker“, sondern ein nüchternes Bild pragmatischen Verfahrens innerhalb eines beschränkten Handlungsraums. Angesichts der offiziellen Vorurteils-Propaganda kann Widerstand auch bedeuten, weiter miteinander zu leben. Man muss den Nächsten nicht lieben, um ihm das Leben zu retten. Alexandra Seitz

Myanmar/Kanada/Deutschland 2022; 92 Min.; R: Snow Hnin Ei Hliang; Kinostart: 26.1.

Die arabische Welt als Gefängnis: „Sharaf“ von Samir Nasr

„Sharaf“ von Samir Nasr. Foto: Barnsteiner

DRAMA Ein zweifelhaftes Geständnis, das unter Folter abgenommen wird. Eine Anstalt, die nach Aussage der Wächter auf „Verbesserung und Rehabilitation“ ausgelegt ist. Und eine Anklage, die keinen Raum bei den Richtern findet, da der Anwalt des Angeklagten nie erscheint. Regisseur Samir Nasr erschafft mit seinem neuen Film „Sharaf“ eine fiktive Welt, mit ebenso fiktiven Personen in einem Gefängnis, in dem Arabisch gesprochen wird und Menschen, Glaube und Machtgefüge aufeinander prallen.

Sharafs Leben findet von nun an in einem Gefängnis statt: Der junge Ägypter hat einen anderen Mann in Notwehr umgebracht. Im Gefängnis, in dem Zigarettenpackungen und weitergetragene Geheimnisse entscheidende Währungen sind, versucht Sharaf, eine bessere Stellung zu erhalten. Er wechselt vom „staatlichen“ zum „königlichen“ Trakt, in dem er als Spitzel eingesetzt wird. Seine Figur erinnert an Alfred Döblins Franz, der in Berlin Alexanderplatz „gut sein will“, den aber das Schicksal und das Außen dazu treiben, Schlechtes zu tun. Sharaf wird als Spielball eingesetzt – für die anderen ein Leichtes, durch Sharafs hohe Naivität.

„Sharaf“ lief auf mehreren Filmfestivals im Wettbewerb, darunter das Red Sea Film Festival, die Hofer Filmtage und das Festival International du Film Panafricain in Cannes. In diesem Film wird nichts beschönigt: Die Kamera verharrt in lang anhaltenden Einstellungen und macht das Hinschauen schwer, aber das Wegschauen unmöglich. Der dargestellte Gefängnis-Kosmos ist Spiegel für ein ganzes, allzu reales Land, in dem Armut und diktatorische Zwänge vorherrschen. Kein einfacher, aber ein absolut wichtiger Film. Luisa-Marie Kauzmann

D/F/LUX/Tunesien 2021; 95 Min.; R: Samir Nasr; Ahmed al Munirawi, Fadi Abi Samra, Khaled Houissa; Kinostart: 26.1.

Till

„Till“ von Chinonye Chukwu. Foto: Universal

DRAMA In Chicago leben Emmett Till (Jalyn Hall) und seine Mutter Mamie (Danielle Deadwyler), im Norden der USA, wo Rassismus zwar auch spürbar, wo er in der Regel aber nicht tödlich ist. Ganz im Gegensatz zum Süden, zu Mississippi, wo Emmett im Sommer 1955 Verwandte besucht. Inständig bittet seine Mutter ihn, sich dort zurückhaltender zu verhalten, als er es gewohnt ist, doch Emmett ist ein selbstbewusster junger Mann, der gerne flirtet, auch mit weißen Frauen. Doch was im Norden toleriert wird, kann im Süden tödlich enden: Ein paar unbedachte Worte zu einer weißen Frau reichen, um Emmett in Gefahr zu bringen. Er wird gekidnappt, gefoltert und ermordet, seine kaum zu identifizierende Leiche in einen Fluss geworfen.

So grausam war Emmetts Leichnam zugerichtet, dass eine traditionelle Aufbahrung im offenen Sarg unmöglich erschien. Doch genau darauf bestand Mamie Till: Das Foto, das sie, die trauernde, aber starke Mutter hinter dem kaum zu erkennenden Leichnam ihres ermordeten Sohnes zeigte, ging um die Welt und machte Mamie Till zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung.

Starke Mutter: Danielle Deadwyler in „Till“

Gespielt wird sie im Film von Danielle Deadwyler, die bislang in erster Linie aus Fernsehserien bekannt war und nun zum erweiterten Kreis der Oscar-Kandidatinnen zählt. Immer wieder bleibt die Kamera lange auf ihrem Gesicht, zeigt eine Frau, die ihre Emotionen im Griff haben will, trotz allem. Selbst als sie im Zeugenstand sitzt, bei einer Gerichtsverhandlung gegen die Mörder ihres Sohnes, die kaum mehr als eine Farce ist, und sich unverhohlene Anschuldigungen anhören muss, dass sie ihren Sohn falsch erzogen hat, entgleisen ihre Gesichtszüge nicht, bleibt sie stark und stolz. Vor dem Mord an ihrem Sohn war sie eine einfache Arbeiterin, danach wurde sie zu einer unermüdlichen Kämpferin der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Michael Meyns

USA 2022; 114 Min.; R: Chinonye Chukwu; D: Danielle Deadwyler, Jalyn Hall; Kinostart: 26.1.

Die drei ??? – Erbe des Drachen

„Die drei ??? – Erbe des Drachen“ von Tin Dünschede. Foto: Sony

KINDERFILM Dreharbeiten zu einem Vampirfilm in einem Schloss in Rumänien! Das wirft im Verlauf der Geschichte natürlich die Frage auf, ob es Vampire tatsächlich gibt – oder ob sich für all die geheimnisvoll gruseligen Vorfälle am Drehort am Ende doch rationale Erklärungen finden lassen.

So geht es auch den drei amerikanischen Jungs, die hier am Set ein Praktikum machen dürfen, vermittelt durch einen ihrer Väter, der für die Spezialeffekte des Films verantwortlich ist. Zur ernüchternden Begegnung mit einem überheblichen Filmstar, der seine Dialogzeilen trotz ihrer Kürze nicht behalten kann, gesellen sich die Mythen der Vergangenheit: ein sagenumwobener Schatz und ein Junge, der hier im Alter von 13 Jahren spurlos verschwand.

Der immer noch hohe Bekanntheitsgrad der gleichnamigen Hörspielserie um die drei jungen Amateurdetektive, die sich „Die drei ???“ nennen, wirft eher die Frage auf, warum es 15 Jahre gedauert hat, bis ein zweiter Kinofilm zustande kam. Waren 2007 nicht nur die drei Jungdetektive mit amerikanischen Schauspielern besetzt, hat man sich diesmal für deutsche Darsteller entschieden. Die agieren überzeugender und konzentrieren sich ganz auf ihre Arbeit, von der sie keine gleichaltrigen Mädchen ablenken. Dass dabei Julius Weckauf als Justus Jonas den Primus inter pares des Trios verkörpert, passt: ungleich bekannter als seine beiden Mitstreiter, profiliert sich seine Figur hier durch einige Alleingänge.

Da man mit dem Film nicht nur heutige Kinder ansprechen will, sondern auch diejenigen, die mit der Serie aufgewachsen sind, wird auch 2022 eher analog als digital ermittelt. Glücklicherweise bleibt einem so auch eine flapsige Jugendsprache erspart. Trotz dem Einsatz eines „bat bots“ funktioniert der Film angenehm altmodisch mit dem Reiz des seriell Vertrauten – als käme ein alter Bekannter mal wieder zum Kaffee vorbei. Frank Arnold

D 2022; 100 Min.; R: Tim Dünschede; D: Julius Weckauf, Nevio Wendt, Levi Brandl, Mark Waschke, Natalia Belitski; Kinostart: 26.1.

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Bald sind Filmfestspiele – Wann der Berlinale-Ticketverkauf startet und das Programm veröffentlicht wird, lest ihr hier. In der Stadt ist aber darüber hinaus das ganze Jahr hindurch Filmfestival – ein Überblick. Unser Lieblingsfilm bisher im Jahr 2023 ist „Unruh“ – mit Regisseur Cyril Schäublin haben wir ausführlich gesprochen. Täglich aktuell auf tipBerlin: das Kinoprogramm für Berlin. Alles Weitere zu Kinos und Filmen lest ihr in dieser Rubrik.

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