In ihrem subtilen Drama „Past Lives – In einem anderen Leben“ denkt Celine Song über Lebens- und Liebeswege nach und erzählt von einer Dreiecksgeschichte zwischen Korea und den US. Zur Berlinale 2023 wurde ihr Debütfilm begeistert aufgenommen, der Hype ist mittlerweile global. Nun steht der reguläre Kinostart an. tipBerlin-Filmkritikerin Pamela Jahn hat „Past Lives“ gesehen.
„Past Lives“ hat einen langsamen globalen Hype ausgelöst
Eine junge Frau unterhält sich auf Koreanisch mit zwei Männern in einer Bar in New York. Sie bilden ein seltsames Trio, das Fragen aufwirft: Wie stehen die drei zueinander? Was bringt sie zusammen? Und wer ist die Frau, die das Gespräch zwischen ihnen schmiedet? Celine Song beschreibt in den ersten Bildern ihres Spielfilmdebüts „Past Lives“ eine Szene, die sie selbst erlebt hat: „Ich saß in dieser Bar im East Village mit zwei Männern, die aus völlig unterschiedlichen Bereichen meines Lebens stammten – und aus verschiedenen Kulturen. Beide standen mir sehr nah.“
Die in Südkorea geborene Regisseurin, die bisher als Autorin fürs Theater arbeitete und an der ersten Staffel der Amazon-Serie „Das Rad der Zeit“ mitschrieb, war fasziniert von dem Moment: „Ich spürte, dass gerade etwas Besonderes geschah.“ Als sie sich umschaute, wurde ihr klar, dass auch die Leute um sie herum versuchten, sich ein Bild von der merkwürdigen Beziehungskonstellation zu machen. „Zuerst dachte ich: Ihr habt ja keine Ahnung! Ihr werdet nie erraten, wer wir füreinander sind. Aber dann überlegte ich: Was wäre, wenn ich die Geschichte erzählen würde?“
„Past Lives“ ist das Ergebnis dieses Gedankenspiels. Im Zentrum des Films steht Nora (Greta Lee), eine New Yorker Schriftstellerin, die als Zwölfjährige mit ihren Eltern von Seoul nach Kanada auswandert und neben ihrem koreanischen Geburtsnamen auch ihre Jugendliebe Hae Sung (Teo Yoo) in der alten Heimat zurücklässt. In ihren frühen 20ern finden die beiden Schulfreunde mithilfe des Internets wieder zueinander. Für eine Weile scheint es sogar, als würde die Romanze zwischen ihnen wieder aufflammen, aber so weit kommt es nicht. Stattdessen verlieren sie erneut den Kontakt. Als Hae Sung zwölf weitere Jahre später für ein Wochenende nach New York kommt, um Nora zu besuchen, ist sie längst glücklich mit Arthur (John Magaro) verheiratet und im Leben angekommen.
Seit der Weltpremiere beim Sundance Film Festival im Januar und dem darauffolgenden Gastspiel im Wettbewerb der Berlinale 2023 hat „Past Lives“ einen langsamen globalen Hype ausgelöst. Als eine der schönsten und schmerzlichsten Liebesgeschichten unserer Zeit. Und als ein seltenes, emotional und formal selbstbewusstes Drama für Erwachsene, irgendwo zwischen Romantik und Plattitüde, Poesie und der Alltäglichkeit des Seins. Das ist eine ganze Menge für einen so kleinen, einen so zarten Film.
„Past Lives“: Unaussprechliche Gefühle, unaufdringliche Sätze
Für Song selbst, die als Tochter des koreanischen Filmemachers Song Neung-han in einem Künstlerhaushalt aufwuchs, bleibt die allgemeine Begeisterung für ihr klug inszeniertes Erstlingswerk bis heute ein Rätsel: „Ich habe einfach versucht, das Leben so darzustellen, wie es sich für mich anfühlt. Das ist es, was ich meine, wenn ich manchmal das Wort alltäglich sage.“
Anderseits war die Arbeit an dem Projekt auch eine persönliche Entdeckungsreise für die zurückhaltende Asiatin mit dem sanften Lächeln im Gesicht. „Am liebsten hätte ich den Maßstab noch kleiner gehalten und nicht in zwei Ländern gedreht. Immerhin mussten wir für die Produktion extra nach Korea fliegen. Aber um die Geschichte so authentisch wie möglich zu erzählen, braucht es entsprechende Drehorte. Auf eine seltsame Art und Weise wurde mir dadurch erst bewusst, wie episch die Ausmaße meines normalen Daseins eigentlich sind. Als ich den Film drehte, kam es mir vor, als würde ich mich in dem Moment in einer komplett anderen Welt befinden. So hat es sich wirklich angefühlt.“
Keine sentimentale Larmoyanz
Die Schwierigkeit, auf die unbegreiflichen Emotionen und Gemütslagen ihrer Figuren mit unaufdringlichen, einfachen Sätzen zuzugehen, verdeutlicht Songs Drehbuch in jeder Szene. Da lauert hinter jedem Wort der Kitsch. Aber die geübte Stückeschreiberin macht sich mit schmalen, schlanken Dialogen auf diesen Gefahrenweg, und die unaussprechlichen Gefühle stehen zwischen den Sätzen. So folgt man nicht nur der Nostalgie, die durch alte Fotos oder das fürchterliche Einwählgeräusch bei Skype, der Hymne aller Fernbeziehungsgeplagten, geweckt wird, mit melancholischem, aber stets wachem Blick. Auch Hae Sungs Besuch in New York, der Noars Sehnsucht nach nicht gegangenen Wegen und verlorener Intimität reaktiviert, kommt ohne sentimentale Larmoyanz und effekthascherische Emotionalisierung aus.
Selbst so komplexe Themen wie moderne Männlichkeit, die wahre Bedeutung von Identität und Zugehörigkeit oder das buddhistisch inspirierte koreanische Konzept des „In-Yun“, das eine Art Fügung oder schicksalshafte Begegnung mit einem Menschen beschreibt, mit dem man bereits über vergangene Leben eine tiefe Verbindung aufgebaut hat, fügt Song mit zarter Leichtigkeit in ihren Film ein.
Verweise auf andere Meisterwerke über die Liebe und schwelende Leidenschaften wie etwa Wong Kar-wais „In the Mood for Love“ überraschen daher kaum. Song schätzt die Verbindung und bleibt doch zuversichtlich, dass ihr Film die Kraft besitzt, für sich zu stehen. „Ich glaube, dass ,Past Lives‘ auf eine ähnliche Art und Weise einzigartig ist. Ich habe das Drehbuch in zwei Sprachen geschrieben. Nur ich konnte diesen Film schaffen. Er hat eine eigene Sichtweise, ein eigenes Herz. Ich hoffe, dass er sich dem Vergleich entzieht.“ Pamela Jahn
- Past Lives USA 2022; 106 Min.; R: Celine Song; D: Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro; Kinostart: 17.8.
Die Bilanz der Filmfestspiele: Hier die Infos zum Goldenen Bären und den Silbernen Bären: Preise der Berlinale 2023. Ein Haus wird abgeriegelt: Das erwartet euch in „Black Box“ von Aslı Özge. Verdächtig, verworren, sexy: „Nachtkatzen“ in der Kritik. Wie passen Geisterbeschwörung und Instagram zusammen? Der australische Horrorfilm „Talk to Me“ liefert Antworten. Drei Stunden Wissenschaft und Atombomben: So gut ist Christopher Nolans „Oppenheimer“. Die andere Hälfte von „Barbenheimer“: Hier ist unsere Kritik zu Greta Gerwigs „Barbie“. Was läuft sonst? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Ab an die frische Luft: Hier ist das Programm der Freiluftkinos in Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.