Filmkritik

„Barbie“: Greta Gerwig gelingt die Quadratur des Kreises

„Barbie“ ist eins der Kino-Großereignisse des Jahres. Den lang erwarteten neuen Film von Greta Gerwig hat tipBerlin-Kritiker Michael Meyns gesehen. Die zwei pinken Stunden vereinen jede Menge Gegensätze, spielen mit Stereotypen, haben jede Menge Tiefgang, verärgern US-Konservative – und machen vor allem sehr viel Spaß. Hier ist die „Barbie“-Filmkritik.

 Ryan Gosling spielt Ken, Margot Robbie ist in der „Barbie“-Titelrolle zu sehen. Foto: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.  Courtesy Warner Bros. Pictures
Ryan Gosling spielt Ken, Margot Robbie ist in der „Barbie“-Titelrolle zu sehen. Foto: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. Courtesy Warner Bros. Pictures

„Barbie“ wird den Mattel-Marktwert in die Höhe treiben

Im Englischen gibt es die schöne Redewendung „You can’t have your cake and eat it“, was sich in etwa als „man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen“ oder einfacher: „Man kann nicht alles haben“ übersetzen lässt. Nach den zwei pinken Stunden von Greta Gerwigs „Barbie“ ist man allerdings versucht zu sagen: Doch. Man kann.

Denn was Gerwig mit der Verfilmung der ebenso beliebten wie verhassten Puppe gelingt, ist so etwas wie die Quadratur des Kreises: ein Film für Menschen, die Barbie lieben, aber auch für solche, die Barbie hassen; ein feministisches Manifest, das aber die Männer nicht unter den Tisch buttert; ein Werbefilm für ein Plastikprodukt, aber mit kapitalismuskritischen Anklängen; ein Oberflächenreiz, der auch Witze über Proust zu bieten hat; die ironische Dekonstruktion einer Spielzeugfirma, die den Marktwert von Barbie-Hersteller Mattel aber in die Höhe treiben wird.

„Die werden uns dieses Drehbuch nie verfilmen lassen!“

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Im Nachhinein versteht man, was Hauptdarstellerin und Produzentin Margot Robbie meinte, als sie sagte: „Die werden uns dieses Drehbuch nie verfilmen lassen!“ Die, das ist Mattel, der Spielzeugkonzern, der sich anschickt, nach dem Vorbild von Marvel oder dem direkten Konkurrenten Hasbro nun auch das Kino zu erobern. Dutzende Projekte basierend auf Mattel-Figuren sind in Planung, ob eines davon die Originalität dieses „Barbie“-Films erreichen wird, bleibt abzuwarten, die Messlatte liegt nun jedenfalls hoch.

Dafür hat einer der Shooting-Stars des Hollywood-Kinos gesorgt, Greta Gerwig, die als Schauspielerin in kleinen Independent-Filmen bekannt wurde, dann aber schnell auch hinter der Kamera aktiv wurde. 2017 kam mit „Lady Bird“ ihre erste Regiearbeit ins Kino, zwei Jahre später folgte eine Neuadaption von „Little Women“, nun also die Adaption einer Spielzeugfigur, die gleichzeitig feministische und antifeministische Ikone ist.

Greta Gerwigs „Barbie“ hat deutliche „Matrix“-Bezüge

Die Barbiewelt ist grell und pink. Foto: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. Courtesy Warner Bros. Pictures

Zusammen mit ihrem Mann Noah Baumbach schrieb Greta Gerwig ein Buch, das im pinken Barbieland beginnt. Hier lebt Barbie (Margot Robbie) unter diversen (im wahrsten Sinne des Wortes) anderen Barbies in Barbie-Traumhäusern, fährt mit ihrem Barbie-Sportwagen zum Strand, wo ebenfalls diverse Kens (darunter der von Ryan Gosling gespielte) Strand spielen.

Aber kann das schon alles sein? In einem düsteren (oder lichten?) Moment denkt Barbie an den Tod – und die Party verstummt. Bald geht sie weiter, doch Barbie hat die Realität ihrer Welt durchbrochen, so als wäre sie Neo in der „Matrix“ oder Dorothy im „Zauberer von Oz“, zwei Filme, auf die sich Barbie mehr als deutlich bezieht. Hier ist es keine yellow, sondern eine pink brick road, über die sich Barbie auf den Weg macht, nicht mit Toto, sondern Ken im Gepäck – und in der auch ziemlich künstlichen Realität von Los Angeles landet. Hier gehen die Uhren anders, wie vor allem Ken feststellt, der endlich Respekt erfährt und sich im Patriarchat so wohl fühlt, dass er sofort das Matriarchat von Barbieland auf den Kopf stellt.

Konservative gehen auf die Barrikaden

Worauf das hinausläuft, ist nicht schwer zu ahnen, überdeutlich wird das heimelige Ende vorbereitet, in dem nicht das eine gegen das andere ausgespielt wird, sondern sich alle lieb haben. Gegen so eine „United Colors of Barbie“-Botschaft kann man natürlich nichts haben, auch wenn zumindest in Amerika schon allerlei konservative Kommentatoren auf die Barrikaden gehen: trans Barbies, eine Barbie im Rollstuhl, Barbies aller Ethnien und Körpertypen, das will man Kindern nicht zumuten.

Warum eigentlich nicht? Bezeichnend, dass diese Identitätspolitischen Aspekte für viel mehr Aufregung sorgen als der unverhohlene Marketing-Aspekt des Films, der zwei Stunden kostenlose Produktwerbung bietet, für die am Ende nicht etwa Mattel zahlen musste, sondern das Filmstudio Warner Bros. Aber auch dagegen lässt sich wenig einwenden, zu großes Vergnügen bereitet das Spiel mit Klischees und Stereotypen, und ganz nebenbei hat „Barbie“ auch noch einige der originellsten Musical-Nummern jüngerer Zeit zu bieten. Kurz gesagt: „Life in plastic. It’s fantastic!“

  • Barbie USA 2023; 114 Min.; R: Greta Gerwig; D: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrara, Will Ferrell; Kinostart: 20.7.

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Die andere Hälfte von „Barbenheimer“: Christopher Nolans „Oppenheimer“ besprechen wir hier. Ein großer Blockbuster in der Kritik: „Mission: Impossible – Dead Reckoning, Teil 1“. Was ist dran am Hype um „Barbie“? Lest ihr hier. Was läuft sonst? Zum Beispiel das moderne Märchen „Die Purpursegel“. Ein anderer alter Held: „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“. Auch schön: Wes Andersons „Asteroid City“ – zur Kritik. Besonders gut: Der Berlinale-Erfolg „20.000 Arten von Bienen“. Oder der tolle neue Pixar-Animationsfilm „Elemental“. Immer informiert: Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Ab an die frische Luft: Hier ist das Programm der Freiluftkinos in Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik. Von Berlinale bis Independent: Filmfestivals in Berlin im Überblick.

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