Aslı Özge stellt in „Black Box“ die Machtfrage in einem ganz normalen Berliner Mietshaus. Die Polizei greift durch, der Hof wird abgeriegelt, raus kommt niemand mehr. Die Regisseurin hat einen Film über die Krisen der Gegenwart gemacht. Und tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl hat sie getroffen.
Aslı Özge über ihren Film „Black Box“: „Im Kern geht es immer um Machtfragen“
Wenn Menschen gemeinsam ein Haus bewohnen, dann stellen sich Fragen. Die vielleicht wichtigste: Wo kommt der Müll hin? Klar, für den Abfall gibt es Tonnen, aber die Tonnen müssen irgendwo stehen, und dann gibt es Parteien im Haus, die sind näher dran, wenn es mal müffelt. In Aslı Özges Film „Black Box“ ist für die Tonnen in einem typischen Berliner Hof ein Mann namens Johannes Horn zuständig. Die neue Hausverwaltung hat ihn entsandt, er hat sogar extra ein Büro bekommen, ein architektonischer Fremdkörper, halb Baracke, halb Kummerkasten. Horn kommt jeden Tag, seine Anwesenheit deutet darauf hin, dass sich etwas ändern wird, vielleicht sollen Wohnungen verkauft werden, niemand weiß etwas Genaues, aber es beginnt zu vibrieren im Haus. Und vorerst konzentriert sich der Argwohn noch auf die Mülltonnen, doch bald steht schon mehr auf dem Spiel.
Die Regisseurin Aslı Özge lebt selbst in einem Haus in Mitte, das über einen Hof verfügt, wie sie ihn nun zum Ausgangspunkt ihrer Geschichte gemacht hat. „Ein Hof ist wie ein Land. Es gibt eine Regierung, das ist die Hausverwaltung, es gibt ein Volk, und es gibt in der Regel auch Ausländer. Wenn die Besitzer wechseln, wechselt auch die Regierung. Und im Kern geht es immer um Machtfragen.“ Das war dann der Aspekt, mit dem sich die Geschichte von „Black Box“ auf einen größeren Zusammenhang hin öffnet. Aslı Özge schrieb die ersten Drehbuchfassungen vor der Pandemie. In den USA war damals Donald Trump noch an der Macht, in der Türkei, dem Land ihrer Herkunft, ist der Präsident Erdogan auch alles andere als ein lupenreiner Demokrat. Wir sind von Führern umgeben, sagt Aslı Özge, und diese Gefährdungen der Demokratie hat sie auf eine Situation heruntergebrochen, die für viele Menschen in Berlin nachvollziehbar ist. „Ich habe Gentrifizierung als Schaufenster auf die Macht genommen.“
Der Cast von „Black Box“: Christian Berkel, Luise Heyer und weitere Größen
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Aus naheliegenden Gründen ist „Black Box“ ein Film mit einer großen Besetzung. In einem Haus wohnen unterschiedlichste Menschen, man könnte durchaus von einem repräsentativen Schnitt sprechen: Luise Heyer spielt Henrike Koch, eine Frau, die gerade einen neuen Job sucht, ein wichtiges Vorstellungsgespräch ist schon anberaumt. Christian Berkel spielt Erik Behr, einen Mieter im Parterre, der sich besonders an dem neuen Stellplatz für die Mülltonnen stößt. Die waren nämlich früher dort, wo jetzt der Container von Herrn Horn steht. Für den Namen der Firma, die er vertritt, hat Aslı Özge sich einen kleinen Gag gegönnt. Sie heißt East West Management. Früher war Berlin in Osten und Westen getrennt, heute verläuft die unsichtbare Mauer dort durch die Stadt, wo das Immobilienkapital für Verwerfungen sorgt. Anna Brüggemann spielt Karin, die mit einer Unterschriftenliste das erste und eher ohnmächtige Protestmittel anregt gegen die zunehmenden Zumutungen durch Herrn Horn.
Bis in die Nebenrollen ist „Black Box“ prominent und sinnvoll besetzt: Anne-Ratte Polle, Hanns Zischler, André Szymansmki, Timur Magomedhadzhiev. Und im Mittelpunkt steht Felix Kramer, zuletzt bei Emily Atef in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ zu sehen. Er spielt Johannes Horn als eine schwer lesbare Figur, einen Kümmerer, der aber deutlich auf der anderen Seite steht. Auf der falschen.
„Wo ist denn hier die eine, klar erkennbare Identifikationsfigur?“
Özge erzählt, dass diese Arbeit der Rollenfindung und Rollenverteilung bei ihr in Form von Workshops geschieht. Sie lädt Leute ein, die sie einen Tag lang oder ein Wochenende mit dem Drehbuch interagieren lässt, und dann erst kristallisiert sich heraus, wer konkret wen spielen soll. „Ich bin da immer selbst auch eine Mitbewohnerin“, so beschreibt sie ihre engagierte Position inmitten des Ensembles. „Felix fand seine Rolle anfangs zu negativ“, nach einem Probentag wussten aber alle, dass er der Richtige war für diese Rolle. Und generell fand das Projekt großes Interesse.
Allerdings gab es während der Finanzierung auch die eine oder andere Hürde, denn die Menschen, die in Deutschland das Geld für Filme vergeben, haben oft eher traditionelle Vorstellungen. Und so bekam auch Aslı Özge den trivialsten aller Einwände gegen ein vielschichtiges Drehbuch mit vielen Rollen zu hören: Wo ist denn hier die eine, klar erkennbare Identifikationsfigur? Luise Heyers Henrike entspricht am ehesten diesen Erwartungen, aber die Stärke von „Black Box“ liegt eben darin, dass sich die ganze Gesellschaft vertreten sehen kann. „Ich wollte ein Bild von der Spaltung geben, die sich immer mehr zeigt. Es gibt Freundschaften, gemeinsame Interessen, dann macht sich aber auch Egoismus bemerkbar. Ich habe Figuren, die sind wie Wechselwähler. Und dann gibt es Ausländer, die sich schwer damit tun, zu verstehen, was los ist.“
Aslı Özge: „Alle haben diesen Druck“
Aslı Özge war selber einmal Ausländerin in Berlin. Sie kam 2000 aus Istanbul hierher, einer Beziehung wegen. 2009 wurde sie mit „Men on the Bridge“ bekannt, ihr künstlerisches Leben ist das einer europäischen Regisseurin, wenn man diesen Begriff großzügig weit fasst. 2018 stellte sie das Projekt „Black Box“ in Cannes vor, und kam dort in Kontakt mit den Brüdern Dardenne, die seit „Rosetta“ (1999) zu den Leitfiguren eines sozialrealistischen Kinos gehören. Jean-Pierre Dardenne engagierte sich dann als Koproduzent stark, und die ganze Postproduktion fand im belgischen Liège statt, einer alten Industriestadt, die Aslı Özge mit ihrer multikulturellen Rauheit fast ein bisschen an Istanbul erinnerte. „Alle haben diesen Druck: ich muss heute Geld verdienen. Diesen Druck sieht man. Die Dardennes erzählen davon kleine Geschichten.“
„Black Box“: Der Hof wird abgeriegelt, die Menschen sind eingesperrt
In „Black Box“ geht der Druck zuerst von East West Management aus, dann aber lässt Özge den Druck noch anwachsen, indem sie eine mögliche terroristische Gefährdung erfindet. Sie lässt dabei sehr schön im Unklaren, ob es nicht eher eine überreagierende Polizei ist, die vor allem Druck macht. Jedenfalls dürfen die Leute plötzlich nicht mehr aus dem Haus, der Hof wird abgeriegelt, und Horn hat mit den Beamten ein auffällig gutes Einverständnis. Oder schleicht er einfach nur hinter ihnen her, um sich Einblicke in die Wohnungen zu verschaffen?
Wie auch schon „Das Lehrerzimmer“ in diesem Jahr ist „Black Box“ ein Krisenfilm, ein Versuch, etwas einzufangen, was sich noch eher unklar zeigt, was aber für eine Beobachterin wie Aslı Özge schon Konturen annimmt. „Ich bin eine pessimistische Person“, sagt sie, gegen den Eindruck, den sie im persönlichen Gespräch erweckt. „Ich weiß, ich wirke fröhlich, aber innerlich frage ich mich: Was würde passieren, wenn jetzt noch eine Katastrophe dazukommt?“ Corona, dann der Krieg in der Ukraine, das Klima sowieso. „Wir können die Demokratie schnell verlieren.“
Aslı Özge spricht dabei auch aus ihrer Erfahrung in der Türkei. Der „Fake-Putsch“ im Jahr 2016 hat sie auch zu einigen Facetten von „Black Box“ inspiriert. Mit ihrem Vater, der hochbetagt in Istanbul lebt, dreht sie gerade einen Dokumentarfilm, der auch von einem Haus handelt, und von Identität und Verdrängung. Wie erlebt sie den Unterschied zwischen Istanbul und Berlin? In beiden Städten ist sie zu Hause, sie hat, wie viele Menschen in der heutigen Welt, zwei Heimaten. „Berlin ist immer noch ein bisschen nachlässig und nicht so anstrengend. In der Türkei kommen die Probleme eines nach dem anderen, zuletzt auch noch das große Erdbeben im Osten. In Berlin kann ich ein wenig durchatmen, hier mache ich den Fernseher nicht an, in Istanbul werde ich mit Nachrichten geradezu bombardiert. Hier habe ich mehr Platz für mich, hier wird es aber auch voller.“
Für eine Stadt ist es immer wichtig, dass sie eine gute Balance für ihre Energien findet. Wenn alles perfekt funktioniert, wenn es keine Konflikte gibt, wenn sich nichts reibt, wird es langweilig. Wenn man aber gegen sinnlose Widerstände kämpfen muss, wenn man in die Ohnmacht getrieben wird, dann kann auch etwas zerbrechen. Davon erzählt „Black Box“, auf eine durchaus auch ein bisschen spekulative Weise, aber mit vielen spannenden Facetten. Noch ist der Häuserkampf in Berlin kein Krieg, aber Aslı Özge lässt schon einmal die Hubschrauber kreisen. Ein bisschen Zuspitzung muss sein, denn es geht um deutlich mehr als nur um die Mülltonnen. Bert Rebhandl
- Black Box D 2023; 120 Min.; R: Asli Özge; D: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel; Kinostart: 10.8.
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