Filmkritik

„Nachtkatzen“ von Valentin Merz: Verdächtig, sexy und verworren

„Nachtkatzen“, das Spielfilmdebüt des Schweizer Regisseurs Valentin Merz, lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, Erotikfilm und Krimi verschmelzen. Ein Fetisch-Regisseur verschwindet spurlos – und ein Verwirrspiel beginnt. Was als Film über das Filmemachen beginnt, schlägt bald einen ganz anderen Weg ein. tipBerlin-Kritikerin Olga Baruk hat den Film gesehen.

„Nachtkatzen“ spielt mit Genres und Erwartungen. Foto: GMfilms

„Nachtkatzen“ von Valentin Merz: Zärtlichkeit und Schlager

Man schnüffelt, wälzt hingebungsvoll in Gras und Moos, zuckt wie bei einem epileptischen Anfall. Die Euphorie unter dem Wasserfall ist anders, soft und zärtlich, in Slow-Motion und mit einem französischen Schlager unterlegt, der jedes liebende Herz mit einem Mal in kleine Stücke reißt (es ist „Aline“ von Christophe, ähnlich euphorisierend hören wir später: „Ti amo, je t’aime“ von Dalida). Man penetriert einander, aber – Entwarnung! – offensichtlich nur als ob. Es gibt – für noch mehr Vorgeschmack – ein Voyeur-Szenario, das prompt und sehr witzig aus den Fugen gerät. Diese Lady Chatterley will nämlich mehr als einen Lover.

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Viel später im Film gibt es eine weibliche Solo-Performance, das frisch erwachte Begehren will nie wieder nach Hause zurück, nie wieder arbeiten gehen, schon gar nicht in einem Zürcher Bestattungsinstitut. Warum liegt hier eigentlich ein Akkordeon? Sie zieht den Balg auseinander und drückt ihn zusammen, ganz langsam, das Instrument antwortet mit schweren, saugenden Tönen. Währenddessen herbstet es im Wald, der kalte Wind raschelt durchs dünne Laub. Gut und richtig also, dass man in diesen pornografischen Etüden Kleidung anbehalten darf. Man dreht einen Film oder mehrere Filmchen, danach schaut es aus, mit dem Gegenwartsporno haben diese losen Fragmente aber wenig zu tun, und es fällt schwer zu sagen, wohin die schillernde Reise von „Nachtkatzen“ geht.

Wo kommen plötzlich die Gendarmen her? „Nachtkatzen“ geht in alle Richtungen. Foto: GMfilms

Wohin geht die Reise?

„Nachtkatzen“ ist ein Debüt des Schweizer Regisseurs Valentin Merz, und es beginnt wie ein Film, der über das Filmemachen erzählt. Die Crew ist divers, queer und gemütlich, man spricht Kastilisch, Englisch, Französisch, Schwizerdütsch. Merz selbst spielt Valentin Tanören, den Regisseur und Darsteller, Fußfetischisten und Liebhaber zweier eifersüchtiger Männer. Dann verschwindet Valentin – und mit ihm alle Anker, die man in diesem eher lustwandelnden als klar voranschreitenden Werk anfangs noch auszumachen glaubte.

Die gerufenen Gendarmen erscheinen zahlreich, die Ermittlungsarbeit kommt aber nur schleppend voran. Der zuständige Kommissar ist verdächtig sexy, er zupft an seinem kleinen runden Ohrring und hält die Beine übereinandergeschlagen, sein Geist scheint woanders zu schweben. Eine wunderbar seltsame Figur und wie herrlich die Vernehmungsgespräche! Der Wechsel zum Kriminalfilm, den „Nachtkatzen“ damit sanft, aber entschieden vollzieht, ist ein Augenzwinkern. Alles ist wackelig, die Genremerkmale sitzen locker, wie schon am Anfang sein Film-im-Film-Arrangement.

„Nachtkatzen“ von Valentin Merz: Ein frei rotierendes Miteinander

Und es geht schon wieder weiter, der neue Twist ist schön eingefädelt, gerade noch ein französischer Landstrich, ein Chateau und ein kleines hübsches Kino namens Rex – schon trägt der Film seine neu eingewechselte Hauptfigur in einem Motorboot durch den Golf von Mexiko. Sexualität sei „ein Universum“, sagt jemand im Film, „es existiert zusammen mit der Person, mit der die sexuelle Chemie stimmt“. Auch das filmische Erzählen folgt bei Valentin Merz dem Prinzip des frei rotierenden Miteinanders. Lustvoll, federleicht und ironisch-verschmitzt ist der Pakt mit dem Publikum, die Geschichte ist in alle Richtungen hin offen. In dem Kreis, der sich am Ende doch schließt, schweben die Moleküle. Über den Dschungel legt sich die Nacht. Olga Baruk

  • De Noche los Gatos Son Pardos CH 2022; 110 Min.; R: Valentin Merz; D: Valentin Merz, Robin Mognetti, Jean-Charles de Qillacq; Kinostart: 3.8. 

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