Das Festivaljahr in Deutschland beginnt traditionell in Saarbrücken mit dem Max Ophüls Preis, wo man den Nachwuchs kennenlernen kann. Für den tipBerlin war Michael Meyns dabei und hebt einige Filme hervor.
Max Ophüls Preis: Filmfestival fördert den Nachwuchs
45 Jahre alt (oder jung) ist das Max-Ophüls-Preis-Filmfestival inzwischen schon, und damit nur wenige Jahre älter als viele Regisseur:innen, deren Filme Ende Januar in Saarbrücken gezeigt werden. Und das, obwohl das Festival eine Bühne für den „jungen deutschsprachigen Film“ sein will. Natürlich ist Alter relativ, und jung sein sowieso – bei der Berlinale lief schon mal ein Film des damals weit über 80jährigen Manuel de Oliveria im Forum des Jungen Kinos –, dennoch sagt dieser Aspekt auch ein wenig über den Zustand des deutschen Kinos aus.
Dem geht es bekanntermaßen (mal wieder) nicht so gut, beim Publikum funktionieren Kinderfilme und Komödien, aber wenn es etwas anspruchsvoller oder gar ambitioniert wird, bleibt das Publikum gering. Und international sind es immer noch die sehr, sehr alten Hasen, die für Furore sorgen, vom gerade mal wieder für einen Oscar nominierten Wim Wenders bis zu Alexander Kluge, der beim renommierten Festival in Rotterdam mit 91 Jahren einen neuen Film vorstellt.
Das Festival in Saarbrücken ist dagegen dem sogenannten Nachwuchs vorbehalten. Kurze, mittellange und lange Filme werden in zahlreichen Sektionen gezeigt, im Wettbewerb Spielfilm 13, die ein recht gutes Abbild der deutschen Filmlandschaft abliefern: Zwei, drei bemerkenswerte Arbeiten, nichts wirklich schlechtes, aber viel Mittelmaß, das sich in allzu bekannten Bahnen bewegt, Themen und Geschichten variiert, ohne ihnen inhaltlich oder gar erzählerisch und stilistisch neues hinzuzufügen.
Als prägnantes Beispiel ließe sich Sarah Neumanns „Jenseits der blauen Grenze“ anführen, der eine Fluchtgeschichte im Sommer 1989 erzählt. Wie so viele deutsche Filme jüngerer Zeit geht es also auch hier in und um die Vergangenheit, wird vom Leben in der DDR erzählt, aus dem die drei jungen Hauptfiguren entfliehen wollen, in diesem Fall schwimmend über die Nordsee. In ähnlich bekannten Pfaden bewegt sich ein Beziehungsdrama wie Lynn Oona Baurs „Manchmal denke ich plötzlich an Dich“, aber auch die dystopische Geschichte „Milchzähne“, in der Sophia Bötsch noch einmal jene Endzeitmotive variiert, die in den letzten Jahren in Filmen und Serien schon so oft variiert wurden.
Souverän inszeniert sind diese Filme, aber auch so stromlinienförmig, das man nicht vermutet, dass es sich um Debütfilme handelt. Kein Kompliment, wohlgemerkt, denn wenn man nicht zu Beginn seiner filmischen Karriere einen Funken von Radikalität und Wagemut, stilistischer und erzählerischer Experimentierfreude mitbringt, wird man das später sicher nicht mehr lernen.
Auf den Spuren von David Lynch
Ganz anders ein Film einer polnischen Regisseurin namens Ewa Wikiel, der auch zeigt, das sich der Blick des Max-Ophüls-Festivals längst nicht mehr ausschließlich auf deutschsprachige Produktionen richtet, auch eine Reaktion auf die veränderte Lage an deutschen Filmhochschulen. Wikiel jedenfalls wagt sich in „Krzyk – Losing Control“ an eine surreale Geschichte, die mit dem Bild eines brennenden Autos beginnt: Die Bakteriologin Lena sieht das Wrack und fühlt sich dadurch dem Witwer des Opfers zugetan. Eine langsame Verwandlung setzt ein, in der Lena sich bald äußerlich der Toten annähert. Deutlich mag man hier zwar Verweise auf Hitchcocks „Vertigo“ und angesichts des zunehmend surrealen, schlafwandlerischen Tons vor allem auf David Lynch erkennen, aber sich von den Großmeistern des Kinos inspirieren zu lassen, zeugt in jedem Fall von großer Ambition.
Bei der Preisverleihung ging „Krzyk“ leider leer aus, gleich drei Preise, darunter den Hauptpreis erhielt dagegen „Electric Fields“ der Schweizer Regisseurin Lisa Gertsch. In sechs Episoden, im fast quadratischen 4:3-Format und schwarz-weiß gedreht, inszeniert Gertsch kleine Geschichten zwischen Leben und Tod, mal surreal, mal poetisch, mal seltsam. In einer ist etwa Julia Jentsch zu sehen, führt ein zunehmend abstruses Bewerbungsgespräch – und springt am Ende aus dem Fenster. In einer anderen streift ein Mann einsam durch den Wald, in einer anderen wird einer Leiche durch ein Lied Leben eingehaucht. Was das alles bedeutet, mag man sich fragen und jeder Zuschauer für sich beantworten, aber gerade die offene Form, die nicht erklärt und auf eine bestimmte, allzu klare Erklärung hinausläuft, macht den Reiz aus.
Muslimische Rebellen in Thailand
Viel mehr solcher Debütfilme würde man sich wünschen, Filme, die mit Formen und Geschichten spielen, die nicht einfach das wiederholen und variieren, das schon existiert, sondern die Möglichkeiten einer Produktion, die noch weitestgehend oder doch größtenteils an der Filmhochschule stattfindet, nutzt, um auszuprobieren, anzuecken, zu wagen. Doch gerade das scheint besonders an deutschen Filmhochschulen nicht unbedingt auf dem Lehrplan zu stehen. Viel wichtiger scheint oft zu sein, das deutsche Förder- und Subventionssystem durchschauen zu lernen, um nach dem Studium möglichst bruchlos in selbiges einzutauchen. Ist man einmal erfolgreich drin, ist die Karriere gesichert, zumindest wenn man nicht aneckt. Auch die deutschen Festivals, von der Berlinale über das Filmfest München bis zum Max Ophüls Preis, sind Teil dieses Systems, das fast hermetisch geschlossen ist. Hat man nicht an einer Filmhochschule studiert, sondern sich das Filmemachen autodidaktisch beigebracht, durch Learning by Doing statt dem Besuch von Seminaren, hat man kaum Chancen, bei einem Festival eingeladen zu werden: Von den 13 im Wettbewerb gezeigten Filmen stammen 13 von RegisseurInnen, die an Deutschen oder Schweizer Filmhochschulen studierten.
Was nicht immer zu konformistischem Filmemachen führt, aber allzu oft. Eine bemerkenswerte Ausnahme war Hannes Schillings „Good News“, einer der wenigen Filme des Wettbewerbs, der Deutschland hinter sich ließ: Gedreht wurde in Thailand. Nicht, dass so ein Schauplatz automatisch für einen interessanten Film sorgt, doch schon diese Entscheidung, die auch produktionstechnisch aufwändig ist, zeigt das Verlangen, sich von der bekannten Heimat mit ihren bekannten Geschichten zu lösen. Erzählt wird vom Reporter Leo, der im muslimisch geprägten Süden Thailands, wo Rebellen für einen eigenen Staat kämpfen, an einer Story arbeitet. Es soll sein Comeback im Journalismus werden, eine Recherche, die für Aufsehen sorgt, doch die Rebellen erweisen sich als schwer zu finden, und so bedient sich Leo seiner Phantasie. Spätestens mit dem Auftauchen des Fotografen Julian wird deutlich, das es sich hier um eine Art Relotius-Geschichte handelt, die von fehllgeleiteter, in diesem Fall gar tödlicher Ambition, von Lüge und Betrug erzählt.
Mit welcher Konsequenz und Härte Schilling diese Geschichte zu Ende erzählt, wie er seine Hauptfigur in einen Sumpf aus moralischen Fallstricken versinken lässt, sorgt für einen beeindruckenden Debütfilm. Nicht alles funktioniert in „Good News“, aber er lässt gespannt darauf zurück, wohin Hannes Schillings filmischer Weg in Zukunft führen wird. Insofern vielleicht ganz gut, dass er „nur“ mit einen Nebenpreis ausgezeichnet wurde, denn für einen Großteil der Gewinner des Hauptpreises in den letzten Jahrzehnten, blieb der Max Ophüls Preis der Höhepunkt ihrer künstlerischen Laufbahn und nicht der Beginn.
Preisträger:
Bester Spielfilm und Bestes Drehbuch: „Electric Dreams“ von Lisa Gertsch
Beste Regie: Sara Summa für „Arthur & Diana
Preise für Schauspielnachwuchs: Willi Geitmann in „Jenseits der blauen Grenze“ und Joshua Bader in „Söder“
Preis für den gesellschaftlich relevanten Film: „Good News“ von Hannes Schilling
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