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CTM Festival 2021: Schon wieder Ausnahmezustand

Mit dem zweiten Teil der diesjährigen Ausgabe des CTM Festivals geht es in den Realraum zurück. Unter dem Motto „Transformation“ werden in Konzerten und Installationsarbeiten neue Perspektiven auf Mensch, Maschine und Miteinander geworfen. tipBerlin-Autor Kristoffer Cornils erklärt, was uns auf dem CTM Festival vom 3. bis 12. September 2021 erwartet.

Auch im Vollgutlager auf dem Neuköllner Rollberg (neben dem SchwuZ) findet das CTM Festival statt.
Auch im Vollgutlager auf dem Neuköllner Rollberg (neben dem SchwuZ) findet das CTM Festival statt. Foto: Promo/Vollgutlager

CTM: Die zweite Ausgabe 2021 wieder im Realraum

Nachmittags Diskussionen im Künstlerhaus Bethanien, abends zwischen Performances mit experimenteller Drone-Musik oder abstraktem Metal in den Spielstätten des Hebbel am Ufer wählen müssen, danach dann im Berghain zu Clubmusik jenseits standardisierter Techno-Rhythmen die Nacht durchtanzen – und am nächsten Tag dasselbe, etwas unausgeschlafener. So gestaltete sich eine übliche Ausgabe des CTM Festivals bisher, als absoluter Ausnahmezustand für Fans von „abenteuerlicher Musik und Kunst“, wie die Selbstbeschreibung nicht zu Unrecht lautet.

Doch wie so jedes andere Festival geriet das CTM nach seiner 21. Ausgabe im Frühjahr 2020 selbst in einen Ausnahmezustand und musste seine diesjährige Episode den Bedingungen anpassen. Nachdem es Anfang des Jahres in Zeiten von Ausgangssperren das Publikum am Rechner durch virtuelle Welten rauschen ließ und das Musikerlebnis mit der Erfahrung einer Videospielwelt verband, geht es jetzt zurück in den Realraum.

Zwischen dem 3. und 12. September spaltet sich der zweite Teil der diesjährigen Ausgabe auf zwei Konzerte sowie zwei Installationsarbeiten auf. Der Weg dahin war kein leichter, wie Kurator Jan Rohlf berichtet. Zuerst wurde das Live-Programm auf den Mai verschoben; auch dem machte das Infektionsgeschehen allerdings einen Strich durch die Rechnung.

CTM Festival: Hybridformat hat Zukunft

Obwohl die Verschieberei und die Planung für ein zweiteiliges Festival an den Nerven sowie vor allem Ressourcen zehrte, sieht Jan Rohlf nach den Erfahrungen des ersten Teils durchaus Potenziale im Hybridformat. Die Arbeit mit den Game-Engines für die digitale Ausgabe habe neue Perspektiven eröffnet und auch zeigten Reisebeschränkungen und Kontaktsperren auf, dass dank technologischer Mittel vieles ohne physische Präsenz ähnlich gut oder – allein in ökologischer Hinsicht – sogar noch besser umsetzbar war. Die Möglichkeiten von Technologie als gesellschaftlicher Mittlerin und Katalysator schließlich zieht sich als roter Faden durch die Geschichte des CTM Festivals. Umso mehr noch im zweiten Teil der diesjährigen Ausgabe, die sich mit gutem Grund das Motto „Transformation“ auf die Fahnen geschrieben hat.

Wenn der Komponist Maximilian Marcoll gemeinsam mit dem Ensemble AuditivVokal am 10. und 11. September im HAU1 eine Messe aus dem 16. Jahrhundert mit elektronischen Mitteln neu bearbeitet, ist die Veränderung zwar in erster Linie eine ästhetische. Doch spätestens mit dem zweiten der Konzerte wird die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen explizit: Für ihren „Echoic Choir“ haben die Stimmkünstlerin Stine Janvin und die Choreografin Ula Sickle die Unmöglichkeit der Rave-Erfahrung in Pandemiezeiten inszeniert. Das Publikum wird in die Performance einbezogen und kann dabei vielleicht nicht nur Erinnerungen an Clubnächte Revue passieren lassen, sondern bekommt am 10. September im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst auch neue Konzepte für ein intimes Erlebnis in Zeiten der Abstandsregelungen vorgeführt.

Ein Klangraum mit 50 Lautsprechern

Das gemeinschaftliche Erlebnis steht auf mehrere Arten auch bei der im Vollgutlager untergebrachten Installation „Ventrilogues“ im Fokus. Das Publikum bewegt sich durch einen Klangraum, der von knapp 50 Lautsprechern beschallt wird. „An unterschiedlichen Stellen sind unterschiedliche Dinge zu hören. Denen lässt es sich dann folgen oder einen anderen Weg einschlagen“, erklärt Rohlf das Prinzip, das eine aktive Erkundung der Kompositionen erlaubt. Ein zukunftsweisendes System, das bald schon dem herkömmlichen Stereosound von Live-Events und damit auch die Frontalsituation von Konzerten aufbrechen könnte.

Klangkünstlerin und Computer-Musikerin Jessica Ekomane lotet mit ihrem Projekt die Grenzen des Menschlichen aus. Foto: Camille Blake

Neben Beiträgen, an denen unter anderem Mouse On Mars, das Soundwalk Collective gemeinsam mit Charlotte Gainsbourg und Paul B. Preciado sowie Marcin Pietruszewski und Alex Freiheit beteiligt sind, kommt eine der vier Arbeiten von Jessica Ekomane und Rully Shabara. Im ständigen Austausch zwischen Berlin und Yogyakarta erarbeiteten die Komponistin und das Mitglied der Band Senyawa ein Stück, welches das Motto des Festivals eindringlich umzusetzen verspricht. „Wir bewegen uns an der Grenze dessen, was menschlich ist und was nicht“, sagt Ekomane hinsichtlich ihrer musikalischen Manipulationen von Stimmimprovisationen, die ihr Shabara zugeschickt hatte. „Mal klingt er nach Wasser oder wie ein Tier, dann wieder komplett künstlich oder nach Instrumentalmusik.“ 

Dries Verhoevens Humanoide stellt Konsum infrage

Von ähnlich transhumanen und doch zugleich allzu menschlichen Themen zeigt sich die Installationsarbeit Dries Verhoevens geprägt, die während des Festivalzeitraums im öffentlichen Raum auf dem Albert-Scholz-Platz zu erleben sein wird. Der Theatermacher hat eine Humanoidin entwickelt, die mit dem Publikum über deren Verhältnis zum Konsum von diversen pharmazeutischen Mitteln spricht. „Das stellt eine Einladung dar, darüber nachzudenken, wie wir Menschen unterschiedliche Substanzen nutzen, um unsere psychischen Zustände zu modellieren“, kommentiert Rohlf das in einem Betoncontainer untergebrachte Werk. Er fügt hinzu, dass sich auch davon ausgehend Fragen nach unserem Umgang mit Technologie stellen lassen.

„Alle vier Arbeiten beschäftigen sich auf unterschiedliche Art damit, einen Horizont zu eröffnen, in dem andere Möglichkeiten aufscheinen, mit Technologien emanzipatorische Ziele erreichen zu können“, erklärt Rohlf. Das CTM Festival schließlich wäre nicht das CTM Festival, würde es nicht im Ausnahmezustand noch Zukunftsvisionen erfahrbar machen.

  • CTM Festival Verschiedene Orte in der Stadt, 3.–12.9., mehr Infos hier

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In diesem Jahr war schon einmal CTM-Zeit. Hier lest ihr alles zum ersten – digitalen – Teil des Festivals im Januar. Der Senat hat die 2G-Regelung für Clubs beschlossen. In den Berliner Clubs darf also wieder getanzt werden. Übrigens: In unserem Club-Update lest ihr, was in Berlin wo geht.

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