Keiner sonst führt Pop und Deutschrap zu einer solch gelungenen Symbiose wie der Berliner Musiker Schmyt. Auf seinem Debütalbum „Universum regelt“, das am 20. Mai erschienen ist, singt er mit rauer Stimme vom Gefühl des Nichtdazugehörens.
Berliner Musiker Schmyt mit Debütalbum: Hang zur (Selbst-) Zerstörung
Ein vor Weltschmerz strotzendes lyrisches Ich, das sich im Eskapismus zu retten versucht und einen Hang zur (Selbst-) Zerstörung hat. Eine raue, geschmeidig zwischen Höhen und Tiefen wechselnde Stimme auf kraftvollen Beats. Eine starke Affinität zum Deutschrap, die sich in der Auswahl der Feature-Gäste, aber auch im Inhalt und Rhythmus der Musik niederschlägt. All das ist Schmyt. Aber auch noch viel mehr, wie sein Debütalbum „Universum regelt“ beweist.
Als vor gut zwei Jahren seine Single „Niemand“ erschien, ein musikalisches wie lyrisches Meisterwerk, war Schmyt für die meisten ein Unbekannter. Schnell wurde er als „Newcomer“ bezeichnet, dabei ist er das schon längst nicht mehr: Sieben Jahre lang war Schmyt eines der Triebwerke der schwer in Genrebezeichnungen zu fassenden Band Rakede gewesen, bevor sie sich 2020 auflöste. Schmyt machte als Solokünstler weiter, veröffentlichte seine erste EP „Gift“ und machte sich mit einem Feature auf dem Haftbefehl-Song „Leuchtreklame“ auch im Deutschrap-Kosmos einen Namen.
Schmyt-Debütalbum „Universum regelt“: Kafka und Haftbefehl
Dennoch, viel ist über Schmyt bis heute nicht bekannt. Ist er privat auch so ein melancholischer Typ wie die Charaktere, über die er in seinen Liedern singt? War er der Junge, den er auf seinem bereits vorab veröffentlichten Song „Keiner von der Quarterbacks“ beschreibt, war er die „Leiche, die von Smalltalk feuchte Hände kriegt“? Und woher kommt seine Faszination für Rap? Eine Menge Gesprächsstoff also für einen Zoom-Call zwischen tip und Schmyt.
Wer seine Musik, die eine extreme lyrische Wucht besitzt, kennt, dürfte eigentlich nicht überrascht sein. Dennoch ist es beeindruckend, wie wortgewandt, smart und reflektiert sich Schmyt im Interview ausdrückt. Woher er das hat? Ein wenig vielleicht auch aus dem Elternhaus, meint der Sänger. Sein Vater sei ein sehr belesener Mann gewesen, das habe abgefärbt: „Ich bin gleichermaßen mit Rilke, Gottfried Benn und Kafka groß geworden, wie auch mit Haftbefehl und
Aggro Berlin“, sagt er.
Eine Sozialisation, die sich auch in der Musik von Schmyt wiederfindet. Da ist einerseits der Hang zu Literatur, insbesondere Lyrik, in den ausdrucksstarken, raffinierten Texten; aber andererseits eben auch die Affinität zum Deutschrap in seiner rauen Sprache, seiner Kraft und seinem Soundbild. Für Letzteres zeigt sich bei vielen Schmyt-Songs der Haftbefehl-Hausproduzent Bazzazian verantwortlich, der es vortrefflich versteht, den Songs eine Brachialität zu verleihen, die wunderbar zu den teils düsteren, melancholischen Texten passt. „Bazzazian ist ein wahnsinnig wichtiger Faktor für mich, weil wir ein paar Deckungsgleichheiten haben, die ich mit niemanden sonst habe“, sagt Schmyt und nennt als Beispiel dafür auch einen ähnlichen Hang zum Pathos, der die beiden verbindet.
„Universum regelt“ von Schmyt: Destruktiv und hoffnungsvoll
Der Song „Mach Kaputt“, auf dem der Mannheimer Rapper OG Keemo einen Featurepart hat, steht idealtypisch für dieses Pathos. In dem Song geht es um die Freude an der (Selbst-)Zerstörung, aber auch um die erst durch die Zerstörung entstehende Möglichkeit eines Neuanfangs. „Mach kaputt“ klingt daher erstmal ziemlich destruktiv, hat aber auch seine aufbauende Seite. Selbst seine düsteren Songs sollen immer einen Hoffnungsschimmer in sich bergen, betont Schmyt. Er erzählt, dass er bei dem Song zunächst Angst hatte, dass das Pathos in Kitsch umschlagen könnte. Eine Sorge, die den Musiker ganz allgemein umtreibt.
Tatsächlich ist seine Musik nicht ganz unanfällig für Kitsch. Schmyt schafft es aber zuverlässig, nur so viel Pathos und Emotionalität in seine Songs zu legen, wie es braucht, um einen emotional zu packen, und verhindert es so, in Stereotype zu verfallen. Ein vor allem im Deutschrap um sich greifender „Selbstzerstörungskitsch“ würde ihn zunehmend nerven, sagt Schmyt. Aus dem Stehgreif dichtet er ein paar exemplarische Lines für einen solch austauschbaren Herzschmerzsong ohne Tiefgang, wie er momentan tausendfach zu hören ist.
Schmyt beherrscht das musikalische Handwerkszeug perfekt. Er weiß, wie ein Song aufgebaut sein muss, damit er funktioniert. Dabei bleibt er aber nicht stehen, stattdessen spielt er mit Akkordfolgen und Stimmlagen, mit Rhythmus und Melodie. Das gibt seinen Songs etwas Unberechenbares und führt dazu, dass man bei ihnen immer das Gefühl hat, es handelt sich um musikalische Unikate und nicht um industriell produzierte Massenware.
„Zartheit ist nicht unbedingt dein Freund“
Dazu tragen neben den musikalischen Kniffen auch die grandiosen Texte bei. In ihnen ist, neben der rauschhaften Selbstzerstörung, vor allem auch ein Gefühl des Außenvorbleibens immer wieder Thema. Nicht zuletzt, weil Schmyt in seiner Vergangenheit selbst die Erfahrung gemacht hat, wie ist es ist, nicht dazuzugehören, vor allem in seiner Kindheit und Jugend. „Ich war in der Schule ein ziemlich langsamer, künstlerischer Genosse. Und ich glaube, Zartheit ist als Junge, der in den Achtzigern geboren wurde, nicht unbedingt dein Freund.“
Ganz normal, dass man als Jugendlicher dann auch mal mit sich hadert, versucht das zu sein, was die anderen mit „cool“ meinen, ohne so ganz zu wissen, was das eigentlich sein soll. Irgendwann entdeckte Schmyt aber für sich, dass „Nonkonformität auch eine große Stärke sein kann.“ Zum Glück!
Auf „Bumms“, seinem bisher biographischsten Song, widmet sich Schmyt seiner Jugend und dem Aufwachsen in einem Vorort nahe der holländischen Grenze: „Reihenhäuser so wie Särge / Ist das Leben oder Zeitlupensterben“, fragt er da. Wenn er im Interview auf seine Jugend zu sprechen kommt, nennt Schmyt drei Adjektive, um sein damaliges Ich zu beschreiben: „Improvisatorisch, anspruchslos und feierfreudig.“
Schmyt über das Aufwachsen im Vorort: Joints im Zeitvakuum
Die Herausforderungen: das elendig große Zeitvakuum zu füllen, sich mit dem Spießertum zu arrangieren und da, wo es geht, zu rebellieren. „Wir kamen uns damals schon wahnsinnig dagegen vor, wenn wir bereits tagsüber Joints geraucht haben.“ sagt Schmyt. Heute lebt der Musiker in Berlin, für ihn „die einzige deutsche Großstadt“. Das solle man aber den Hamburgern nicht sagen. Na gut.
Erstmals wagt sich Schmyt als Solokünstler auf seinem Debütalbum aber auch an dezidiert fröhliche, sommerlich leichte Songs. Sie zeigen, Schmyt hat nicht nur eine Seite, sein Repertoire ist keineswegs auf düstere, pathosgetragene Songs limitiert. „Alles anders“ und „Tangobounce“ büßen zwar etwas an lyrischem Tiefgang ein, dafür kann Schmyt auf ihnen aber seine ganze Vielfältigkeit zeigen. Sich thematisch noch einmal zu erweitern, war Schmyt sehr wichtig: „Immer, wenn etwas zur Marotte wird, dann verliere ich das Interesse“, sagt er.
Schmyt zeigt sich auf seinem Debütalbum noch einmal von einer neuen Seite, spielt aber auch seine alten Trümpfe aus und kreiert so einen kraftvollen Sound mit einem ständig melancholischen Einschlag. Wer ihn bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, hat nun die Chance, den Sänger auf Albumlänge kennenzulernen; alle anderen können ihn noch einmal neu zu entdecken. In jedem Fall super Optionen.
- Schmyt „Universum regelt“ (Division/Sony Music)
- Metropol Nollendorfplatz 5, Schöneberg, Sa 19.11., 19.30 Uhr, VVK 30 €, weitere Infos und Tickets hier
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