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Verkehrsgeschichte: Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn

Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn. Das klingt aus heutiger Sicht bizarr, doch in den späten 1950er-Jahren sah die Welt in West-Berlin noch etwas anders aus. Die Stadtplaner träumten von der Zukunft und die stand im Zeichen der Massenmotorisierung. Ein dichtes Netz aus Stadtautobahnen war für die Mauerstadt vorgesehen. Freie Fahrt für freie Bürger! Neben dem Individualverkehr sollten aber auch Menschen ohne eigenen Wagen an dem neuen Verkehrsnetz teilhaben. So viel Einsicht gab es dann doch. Die Lösung der Senatsbauverwaltung war innovativ: Busverkehr auf der Berliner Stadtautobahn.

Insgesamt entstanden 13 Haltepunkte, die sich in Architektur, Dimension und Form stark unterschieden. Schmal und nüchtern bis opulent und bunt wirkten sich die Autobahnbushaltestellen ins West-Berliner Stadtbild Jahre ein. Heute sind diese Kuriositäten längst nicht mehr im Betrieb, sie wurden zurückgebaut, zerstört oder umgenutzt. Das Buch „Übergangsräume. Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn“ von Tobias Michnik und Leander Nowack erinnert an dieses vergessene Kapitel der Berliner Verkehrsgeschichte.

Düppelstraße, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack
Düppelstraße, Steglitz, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack

Bushaltestellen auf der Stadtautobahn: Eine Norm war nicht drin

Als „Übergangsräume“ bezeichnen die Autoren die einstigen Bushaltestellen, als Schnittstellen zwischen „Stadt und Infrastruktur“. Michnik und Nowack erforschen ihre Geschichte, blicken auf politische Voraussetzungen, technischen Anforderungen und die architektonische Umsetzung. Das spannende an den Autobahn-Bushaltestellen ist ihre Einmaligkeit. Da sie sich den komplexen Außenbedingungen anpassen mussten, war eine serielle Bauweise nicht möglich. Zugleich stehen sie symbolisch für die Ausnahmesituation, in der sich West-Berlin befand. 1961 wurde die Mauer gebaut und die schon vorher geteilte Stadt entwickelte sich unter der Federführung von Architekten wie Bruno Grimmek, Werner Düttmann und Rainer G. Rümmler komplett unabhängig vom Ostteil.

Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1957 entstand das Hansaviertel, ein Musterbeispiel für die Architektur der Nachkriegsmoderne. Zugleich baute Düttmann die Großsiedlung Märkisches Viertel und nach Rümmlers Plänen wurden zahlreiche Gebäude und U-Bahnhöfe gebaut, etwa die poppig-bunten Stationen der U7 wie Rohrdamm und Rathaus Spandau. In diese Phase des Aufschwungs, als West-Berlin nach einem eigenen Charakter suchte, fügen sich auch die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn ein.

Haltestelle Hohenzollerndamm mit haltendem Bus bei Nacht, 1960. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG
Haltestelle Hohenzollerndamm mit haltendem Bus bei Nacht, 1960. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG

Im vorderen Teil des Buchs stellen die Autoren den Ist-Zustand der 13 realisierten Haltestellen vor. Aktuelle Bilder sowie detaillierte Zeichnungen dokumentieren das ungewöhnliche Infrastruktur-Projekt, das nur aus der damaligen Zeit zu begreifen ist. Bereits die Stadtautobahn stellte einen Sonderfall dar. Auch wenn sich exklusiv für den Autoverkehr separierte Trassen in Berlin, etwa die AVUS, auf das frühe 20. Jahrhundert zurückführen lassen, ist die ab 1958 gebaute Stadtautobahn nur mit einer euphorischen Autopolitik erklärbar.

Der ungestörte Verkehrsfluss, eine dem Auto untergeordnete Stadt, breite Straßen, Parkhäuser, gewaltige Kreuzungen, all das galt den Verkehrsplanern als zukunftstaugliches Modell. Vorbild dafür waren die USA, wo gewaltige Straßenkreuzer über die Highways sausten, die Autoindustrie den Ton angab und das Leben in den Suburbs ohne Wagen undenkbar wäre. Nicht zuletzt prägten auch Hollywoodfilme ein romantisches Freiheitsgefühl, das elementar mit dem Auto verbunden war.

Bushaltestellen auf der Stadtautobahn: Hohenzollerndamm, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack
Hohenzollerndamm, Wilmersdorf, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack

Hätten die Verkehrsplaner der 1950er-Jahre ihre Visionen vollständig umgesetzt, würden wir in einer von Autobahnen durchkreuzten Stadt leben. Für Kreuzberg war damals ein großer Zubringer geplant, Mitte wäre von einem Autobahnring umrundet und sternförmig würden Autobahnachsen in jede Himmelsrichtung aus und in die City führen. Selbst den Ostteil der Stadt hat man mitbedacht, wie eine Karte des „geplanten übergeordneten Straßennetzes“ aus dem Jahr 1962 zeigt.

Ganz so weit ist es aus verschiedenen Gründen nicht gekommen. Ölkrise, Hausbesetzer, Proteste, Umweltpolitik, um einige zu nennen. Heute, da die Zukunft der Stadt wohl nicht mehr dem Auto gehören dürfte, muss man sagen, zum Glück. Die Bushaltestellen auf den Autobahnen bleiben so ein ungewöhnliches Beispiel für den Versuch, die Autopolitik mit dem Öffentlichen Nahverkehr in Einklang zu bringen. Die Straßenbahn wurde in West-Berlin rückgebaut und verschwand 1967 endgültig aus dem Stadtbild. Der Senat setzte auf die U-Bahn und auf Autobusse. „Die würden im Gegensatz zur Straßenbahn den Autoverkehr weniger beeinträchtigen und sind besser geeignet, um flexibel auf die zukünftige Verkehrsentwicklung Berlins zu reagieren“, heißt es in dem einleitenden Kapitel zu den „Integrierten Haltestellen“.

„Mit den Bussen auf der Autobahn statuierte die Senatsverwaltung die Teilhabe aller an der modernen Infrastruktur“, lautete das Konzept. Auch bei der BVG gab man sich begeistert und erkannte die Möglichkeiten schnellerer Fahrverbindungen. „Die Busse seien technisch in Bezug auf Geschwindigkeit und Wendigkeit ohne weiteres in der Lage, innerhalb des Autobahnverkehrs in angemessener Weise mitzuhalten“, teilten die Verkehrsbetriebe damals mit. Die Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen machte sich also an die Arbeit. Die dort angestellten Architekten Grimmek, Düttmann und Rümmler entwarfen die Wartebereiche und Zugangstreppen, die Bewag, BVG und die Bezirksämter waren an den Planungen beteiligt. 1957 wurde die erste Haltestelle eröffnet: Rathenauplatz.

Bushaltestellen auf der Stadtautobahn: Rathenauplatz, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack
Rathenauplatz, Grunewald, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack

Der Busverkehr begann 1958, die BVG richtete dafür eigens die Buslinie A65 ein, später folgte die zweite Autobahn-Linie A84. In den folgenden Jahren kamen weitere Haltestellen hinzu. Mit 60 km/h schnurrten die Busse zu Stoßzeiten im 10-Minuten-Takt (sonst alle 20 Minuten) über die A 100. Doch Ende der 1970er-Jahre stagnierte die politische Begeisterung für den weiteren Ausbau der Autobahnen und die Zahl der angefahrenen Autobahnhaltestellen endete bei Elf. Auch bei den Berlinern und Berlinerinnen schwand die Begeisterung für die Autobahnfahrten im Bus, vor allem die unheimlichen und dunklen Zugangstreppen waren der Bevölkerung ein Dorn im Auge. Man empfand die Haltestellen als Angsträume.

In den 1980er-Jahren übernahm West-Berlin die Betriebsrechte der zuvor von der DDR kontrollierten S-Bahn und konnte einen Teil der Autobahnstrecken auf der Schiene abdecken. Die Folge: 1984 nahm die BVG die Buslinie A84 aus dem Betrieb. Der A65er fuhr noch einige Jahre weiter, hielt aber nur noch an den nördlichen Haltestellen, weil sich die Busfahrer weigerten Messedamm und Rathenauplatz anzufahren. Zu gefährlich. Nach der Wiederinbetriebnahme der Ringbahn im Jahr 1993 wurde auch diese Linie eingestellt und damit das Kapitel des Busverkehrs auf den Stadtautobahnen beendet.

Heute sind nur noch Überbleibsel der Haltestellen sichtbar. Treppen, Zugänge, Wartebereiche schlummern an der Autobahn vor sich hin. Tobias Michniks und Leander Nowacks Buch „Übergangsräume. Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn“ erinnert an diese Orte des Haltens, des Wartens, des An- und Abfahrens und an die Ära einer (aus heutiger Sicht) fehlgeleiteten Verkehrspolitik.


Bildergalerie: Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn

Messedamm

Messedamm, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack
Messedamm, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack

Bundesallee

Bundesallee, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack
Bundesallee, Wilmersdorf, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack

Mecklenburgische Straße

Mecklenburgische Straße, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack
Mecklenburgische Straße, Schmargendorf, 2019. Foto: Tobias Michnik und Leander Nowack

Hohenzollerndamm (1967)

Bushaltestellen auf der Stadtautobahn: Haltestelle Hohenzollerndamm mit anfahrendem Bus, 1967. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG
Haltestelle Hohenzollerndamm mit anfahrendem Bus, 1967. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG

Hohenzollerndamm Zugangspavillon

Bushaltestellen Stadtautobahn Zugangspavillion der Haltestelle Hohenzollerndamm, 1960. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG
Zugangspavillion der Haltestelle Hohenzollerndamm, 1960. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG

Messedamm (1964)

Bushaltestellen auf der Stadtautobahn: Haltestelle Messedamm (Richtung Wedding) mit haltendem Bus, 1964. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG
Haltestelle Messedamm (Richtung Wedding) mit haltendem Bus, 1964. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG

Messedamm, Richtung Tempelhof (1964)

Bushaltestellen Stadtautobahn Haltestelle Messedamm (Richtung Tempelhof) mit anfahrendem Bus, 1964. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG
Haltestelle Messedamm (Richtung Tempelhof) mit anfahrendem Bus, 1964. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG

Bundesallee (1970)

Bushaltestellen Stadtautobahn: Wartende Fahrgäste an der Haltestelle Bundesallee, 1970. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG
Wartende Fahrgäste an der Haltestelle Bundesallee, 1970. Foto: Herwarth Staudt/Historisches Archiv der BVG

Übergangsräume. Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn von Tobias Michnik und Leander Nowack, 224 Seiten, 196 Abbildungen, davon 33 farbig, 107 Zeichnungen, Urbanophil, 29 €


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