Es ist das Ergebnis eines Langzeitprojekts: Bereits 2012 begann die Berliner Fotografin Anne Schönharting, Menschen und deren Wohnungen in Charlottenburg zu porträtieren. Es sind spektakuläre Räume, die mondänen Luxus, Kunstsinn und stilsicheren Geschmack verströmen. Der Zugang zu diesen privaten Welten, den die Fotografin ermöglicht, ist einzigartig. Diese Bilder sind nun die sie in dem Buch „Habitat“ versammelt. Wir sprachen mit Anne Schönharting, die seit 1999 Mitglied bei „Ostkreuz – Agentur der Fotografen“ ist, über ihre Arbeit, dass sie nie eine „Schöner-Wohnen“-Geschichte machen wollte, das Interesse an Charlottenburg, Neidgefühle sowie Privilegien.
Anne Schönharting: „Ich selbst lebe nicht in Charlottenburg“
tipBerlin Frau Schönharting, leben Sie selbst in Charlottenburg und falls ja und wie sah in dem Bezirk Ihre Sozialisation aus?
Anne Schönharting Ich selbst lebe nicht in Charlottenburg, sondern in Pankow und bin vor 30 Jahren nach Berlin gezogen. Über diesen Zeitraum habe ich in verschiedenen Stadtteilen gelebt und ich würde somit eher von einer allgemeinen Berlin-Sozialisation sprechen.
tipBerlin Was hat Sie zu dem Projekt inspiriert?
Anne Schönharting Als die Fotograf:innen der Agentur Ostkreuz 2012 von CO Berlin gebeten wurden, für die Eröffnungsausstellung der neuen Räumlichkeiten im Amerikahaus die Nachbarschaft Charlottenburgs zu fotografieren, hatte ich Lust, mir die Bewohner:innen hinter den großen erleuchteten Fenstern etwas näher anzusehen. Die ersten Fototermine und davon besonders der mit den Raumstylisten Karsten von Kuczkowski und Frank Dingel fand ich sehr inspirierend, so als hätte ich eine Reise in unbekannte Welten in meiner eigenen Stadt angetreten.
Fotografisch und künstlerisch war ich von Anfang an erinnert und beeinflusst von den Alten Meistern der Malerei, welche ich besonders in der Kindheit gemeinsam mit meinem Vater in den Dresdner Museen bewundert habe. Etwas Vertrautes und gleichzeitig Neues habe ich im alten West-Berlin wieder gefunden.
tipBerlin Wie haben Sie den Zugang zu den privaten Wohnräumen der Menschen erhalten?
Anne Schönharting Ein paar Kontakte habe ich anfänglich von Felix Hoffman, dem Kurator von CO Berlin, erhalten. Da ich nie daran interessiert war eine „Schöner-Wohnen“-Arbeit zu fotografieren, waren es eher die nicht so an der Öffentlichkeit interessierten Menschen, welche ich fotografieren wollte. Das macht es natürlich nicht leichter, einen Zugang zu erhalten. Sehr viel Zeit für Gespräche und aufrichtiges Interesse am Gegenüber, so könnte ich meine Herangehensweise beschreiben. Nach jedem Fototermin bat ich um Weiterempfehlung. Dadurch ist diese Arbeit aus sich selbst über diesen langen Zeitraum immer weitergewachsen und wurde somit auch zu einem Porträt einer bestimmten Gruppe von Menschen in Charlottenburg.
„Die meisten Porträtierten hatten eher ein geringes Interesse daran, ihren Wohlstand besonders zur Schau zu stellen“
tipBerlin Sie porträtieren in Ihrem Buch die Charlottenburger Oberschicht, hatten Sie Bedenken in gewisser Weise Neid zu schüren? Es geht hier um eine bestimmte soziale Klasse, die sich bewusst in ihrem Luxus repräsentiert.
Anne Schönharting Während der Arbeit an einem Thema denke ich nicht in Kategorien von Angst und Neid. Mich treibt eher ein soziologisches und psychologisches Interesse und die Begeisterung, Geschichten zu erzählen an, in dem ich fremde Welten betrete. Die meisten Porträtierten hatten eher ein geringes Interesse daran, ihren Wohlstand besonders zur Schau zu stellen, es war eher die Freude an der gemeinsamen Inszenierung eines eigenen Porträts in den privaten Raum-Welten, was im Vordergrund stand.
tipBerlin Im Prinzip stellen diese Bilder also einfach einen Aspekt der Berliner Gesellschaft dar.
Anne Schönharting Ich denke auch, dass eine kosmopolitische Stadt wie Berlin von der Diversität der Lebensentwürfe und Möglichkeiten, aber auch Privilegien ihrer Bewohner profitiert und ihr gesamtes Erscheinungsbild bereichert. Vielleicht bringt es Inka Schube am Ende ihres Essays im Buch ganz gut auf den Punkt: „Und mir kommt in den Sinn, dass die Fotografien von Anne Schönharting auch von Sesshaftigkeit und vom langen hiesigen Frieden handeln, von Privilegien und der Frage nach ihrem Verhältnis zu Verantwortung und Gemeinwohl.“
- Anne Schönharting Habitat Berlin-Charlottenburg, Hartmann Books, 27,5 × 35,5 cm, 160 Seiten, 85 Abbildungen, Text von Inka Schube, Deutsch/Englisch, 68 Euro
Ausstellung „Habitat im Dialog“ im Museum Charlottenburg
Anne Schönhartings Fotografien sind bereits in einer Ausstellung im Haus am Kleistpark gezeigt worden. 2023 sind die Fotografien erneut zu sehen, diesmal in einer Ausstellung mit dem Titel „Habitat im Dialog“ im Museum Charlottenburg. Der Dialog ist das Zusammenspiel mit den Werken der Kunstsammlung Charlottenburg, darunter Arbeiten der Berliner Secession von Künstlern wie Walter Leistikow, Franz Skarbina und Max Liebermann.
- Museum Charlottenburg Schloßstraße 55, Charlottenburg, 9.2.–21.5. 2023, Eröffnung: 8.2., 18.30 Uhr, Di–Fr 10–17 Uhr, Sa+So 11–17 Uhr, Eintritt frei, mehr Infos hier
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