„Castingallee“ heißt das Hochglanzbuch, das Bilder des Fotografen Matthias David aus den Jahren 2004 bis 2009 versammelt. Der Titel ist eine Umdeutung der Kastanienallee, der Hauptachse im Prenzlauer Berger Kiez. Davids gestochen scharfe Bilder zeigen Robert Stadlober, Daniel Brühl und Laura Osswald, Mieze von Mia, eine sehr junge Nora Tschirner und viele mehr. Die Berliner Prominenz aus Film, Mode, Musik und Kunst. Sie tanzen, spielen Tennis und sehen sehr gut aus. Das Buch ist ein Blick auf eine glänzende Oberfläche der Stadt, die es so nicht mehr gibt.
„Castingallee“: Schöne Menschen, die schöne Dinge tun
Wenn es in Berlin eine Konstante gibt, dann ist es die Erzählung, dass die wildesten Tage der Stadt hinter ihr liegen. Schon vor 20 Jahren trauerte man dem West-Berliner Inselleben der 1970er- und 1980er-Jahre hinterher, später sehnte man sich zurück in die 1990er. Die Berliner Nostalgie-Industrie kann nerven, aber auch gut unterhalten. Sehr unterhaltsam jedenfalls ist der Band, der nun im Herzstückverlag erschienen ist: „Castingallee“ heißt das Hochglanzbuch, das Bilder des Fotografen Matthias David aus den Jahren 2004 bis 2009 versammelt: die Schauspieler:innen Robert Stadlober, Daniel Brühl und Laura Osswald. Mieze von Mia. beim Tennisspielen. Eine sehr junge Nora Tschirner, die ihre Beine spreizt und die Zähne bleckt. Schöne Menschen, die schöne Dinge tun, ziemlich oft: feiern oder sich ausziehen.
Alles ist überbelichtet, krass und sieht nach einer Menge Spaß aus, Textfragmente – etwa von Stadlober oder dem Popjournalisten Linus Volkmann – werfen Schlaglichter auf die Szene- und Lebenskultur der Zeit: Getanzt wurde zu Ellen Alien, gewohnt in schlimmen, schönen WGs. Und die Warmherzigkeit des Nachwortes von Niels Ruf dürfte alle überraschen, die ihn heute vor allem als unangenehm trolligen Social-Media-Schreck kennen.
Die Kastanienallee war die „hippste Straße der Stadt“
Wenn man so will, dokumentiert der Band die Übergangsphase des räudigen Prenzlauer Bergs der Nachwendezeit zu dem Ort, der wenig später zum Fanal der Verspießbürgerung der Bohème werden sollte. Eine Zeit, in der die Kastanienallee – damals die „hippste Straße der Stadt“ (Standard-O-Ton vieler Medien) – eben noch „Castingallee“ genannt wurde, weil dort die Kreativen und Schönen herumflanierten, vorbei an den noch nicht flächendeckend herausgeputzten Gründerzeitbauten.
Matthias David, geboren in 1978 in Bremen, hatte eine Fotografieausbildung beim Lette-Verein in Berlin absolviert und in den frühen Nullerjahren begonnen, die Promis und Halbpromis der Stadt wie auch internationale Stars abzulichten – für Marken wie Levi’s und SEAT, aber auch für Popkultur- und Lifestyle-Magazine. Die Nullerjahre, das zeigt der Band recht eindrucksvoll, waren nicht nur die letzten Tage der billigen Mieten, sondern auch der Printpublikationen. Für zwei dieser Magazine, die es heute nicht mehr gibt – FACE und BLANK – hatte David mit Johannes Finke zusammengearbeitet, der heute neben dem Herzstückverlag auch die Bravo Bar betreibt.
Schon 2015 kuratierte Finke die Ausstellung „Huckleberry/Berlin“, in der sich David neben Fotograf:innen wie Ali Kepenek, Dorothea Tuch und Maxim Ballesteros die Frage stellte, wie der literarische Huckleberry Finn im heutigen Berlin aussehen würde. Der Band, an dem die Künstlerin und Autorin Sarah Berger mitgewirkt hat, ist also ziemlich deutlich ein Projekt alter Freunde, ein Erinnerungsbuch für Wegbegleiter:innen, für die damalige Schickeria, für alle, die gern dazugehört hätten – und natürlich für diejenigen, die alles verpasst haben.
Das alles macht Spaß und auch dann ein bisschen nostalgisch, wenn man (wie die Autorin dieses Textes) in der Woche nach Berlin gezogen ist, in der die Bar25 schloss. Denn nein, so wie in diesem Band sieht Berlin nicht mehr aus, so wird nicht mehr gelebt und gefeiert. Das findet man in vielen Momenten schade – in einigen aber auch ganz gut so.
„Castingallee. Fotografien 2004-2009“ von Matthias David, 160 Seiten, 39,90 Euro, Herzstückverlag
„Castingallee“ von Matthias David – Bildergalerie
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