Vom Eierbecher bis zum Wartburg lagern in West-Berlin tausende DDR-Designobjekte. Kunsthistoriker Thorsten Krause hat uns zu einer Tour durchs Depot des Museums in der Kulturbrauerei eingeladen – mit erstaunlichen Einsichten. Unser Autor fordert: Holt das DDR-Design aus dem Depot!
DDR-Design: Die Adresse des Depots muss geheim bleiben
Tief im Westen lagert Ostgut. Über meterhohe Schwerlastregale breitet sich eine einzigartige Sammlungvon DDR-Designobjekten aus: von nicht realisierten Prototypen über den Klassiker der Formgestaltung bis zum Alltagsgegenstand, der das Beste für den Werktätigen sein sollte. Wo genau das alles zu finden ist, dürfen wir nicht sagen. Zu wertvoll ist die Sammlung, zu groß die Angst vor Begehrlichkeiten. Ohnehin ist das Depot kein öffentlicher Ort. Leider, muss man sagen. Denn das, was da lagert, würde sich wunderbar in einem Museum machen.
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In der Vergangenheit waren viele dieser Objekte tatsächlich schon einmal im musealen Kontext zu bestaunen. Im Kern handelt es sich bei dem Ostgut um die Sammlung Industrielle Gestaltung, deren geistiger Vater, Hein Köster, sie in wechselnden Präsentationen in der Kulturbrauerei zeigte. Dann kam der Mauerfall. Die Sammlung wurde in den Bestand der Bundesstiftung Haus der Geschichte überführt. Es gab viel Krach und zwischenmenschliche Verwerfungen, denn anstelle eines Museums für DDR-Design wurde in Prenzlauer Berg eine historische Dauerausstellung zum Thema „Alltag in der DDR“ eingerichtet.
Restaurierung, Konservierung und Digitalisierung von DDR-Design
Einzelne Objekte aus der Sammlung sind dort weiterhin zu sehen. Die übergroße Mehrheit der etwa 160.000 Objekte aber nicht. Die Stiftung musste viel Kritik einstecken. Die relativiert sich aber, betrachtet man die andere, eher unbekannte Seite. Ohne das Stiftungsengagement wäre die Sammlung womöglich nicht zu retten gewesen. Die Lagerbedingungen waren katastrophal, viele Objekte waren in einem kritischen Zustand. Sie aufzubereiten, zu konservieren und zu dokumentieren, das ist seitdem die Aufgabe von Thorsten Krause und seinem Team.
Der Kunsthistoriker hat uns auf eine Reise durch die Depotwelt eingeladen. Auf den ersten Blick verbirgt sich der Schatz. Es gibt viele Kisten, viele Schränke. Zahlreiche Exponate sind in Papier eingehüllt. In einem Regal betrifft das fast alle Objekte. Krause blickt zufrieden auf die weiße Wand. „Das ist mein Motivationsregal“, sagt er. Die Verpackung symbolisiere, dass Restaurierung, Konservierung und Erfassung abgeschlossen seien. Das sind auch die Kerntätigkeiten.
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„Im ersten Schritt wird die materielle Integrität gesichert“, so Krause. Gerade bei Kunststoffen sei das nicht immer einfach. Funktionalität spiele indes keine entscheidende Rolle. Auch bei Unterhaltungselektronik zähle in erster Linie der formgestalterische Aspekt. Im zweiten Schritt erfolgt die Datenbankerfassung mit Angaben zur Objektgeschichte, zum:r Schöpfer:in, zum Entstehungszeitpunkt. Die Ergebnisse werden online gestellt, auf der Website der Stiftung. Dort sind sie für alle sichtbar. Die Datenbank wachse sukzessive, aber: „Das ist Arbeit für weit mehr als ein Berufsleben“, so Krause.
Bei manchen Objekten fragt man sich, warum sie hergestellt wurden
Auch wir haben vorab in der Datenbank gestöbert und uns einige Exponate von Krause auspacken lassen. An einem Regal lehnt deshalb ein überdimensioniertes Banner, das eine Zeichnung von Kosmonaut Sigmund Jähn ziert. Auf einem Tisch daneben steht ein Rupfentier aus Sonneberg, wo Renate Müller für den VEB Therapeutisches Spielzeug tätig war. Die Tiere sind längst Kultobjekte geworden, werden teils für tausende Euros gehandelt. Viele Objekte waren einst Gebrauchsgegenstände, so der Radioapparat „Stern 111“ – er erinnert an Lutz Seilers großen Roman von 2020.
Bei manchen Objekten fragt man sich, warum sie hergestellt wurden. So beim Plakat mit kubanischer Orange, verziert mit kleiner Flagge des Bruderstaates. Verführerisch leuchtet das Tropenobst. Man fragt sich, warum werbewirksam auf den Mangel aufmerksam gemacht wurde. Andere Objekte sind allein wegen ihrer Geschichte interessant. Eine Nähmaschine zeugt vom harten Leben vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen, die in Fabriken für den DDR-Markt und das Exportgeschäft schufteten. Das Wissen um die Geschichte verdankt Krause auch den Inventarbüchern des Amts für Industrielle Formgestaltung (und dessen Vorgängerinstitutionen), von dem es kein westliches Pendant gab.
Die Formgestalter:innen frustrierte die Einflussnahme der DDR-Oberen
Das führt ihn zur Frage, ob es so etwas wie politisches Design gibt. Unstrittig ist, dass in den kreativen Prozess eingegriffen wurde. Das Amt versuchte, Designprozesse anzuleiten, man dachte über die Devisenbeschaffung nach, wollte den Export ankurbeln. Die Formgestalter:innen frustrierte diese Einflussnahme. So entwarfen Margarete Jahny und Erich Müller 1969 für die DDR-Hotellerie das Stapelgeschirr „Rationell“ mit schlichtem Banddekor. Ohne ihr Wissen variierte man dieses, wohl im Glauben, das Design so „besser“ zu machen.
Es sind Geschichten wie diese, die sich zu erzählen lohnen würden. Nicht nur online, in einem Katalog oder beim Verleih an Designhäuser aus aller Welt. Am besten wären sie in einem eigenen Museum in Berlin aufgehoben. So endet der Text mit einem Plädoyer an die Berliner Politik: Holt das DDR-Design aus dem Depot!
- Museum in der Kulturbrauerei Knaackstraße 97, Prenzlauer Berg, Stöbern in der Objektdatenbank
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