Zeitreise

Mittelalterliche Orte in Berlin: Zwischen Honigwein und Drehleier

Es gibt Zeiten, von denen sind wir froh, dass sie vorbei sind. Das Mittelalter gehört mit Pest, Folter, Hexenverfolgung und Co. sicherlich dazu. Doch wenn ihr Lust habt, die rosarote Brille aufzusetzen und euch in die Zeit von Drachen, Burgen und Lanzen zurückzuversetzen, haben wir euch genau die richtige Liste zusammengestellt. Hier sind mittelalterliche Orte in Berlin, die den Realitätsanspruch mal mehr, und mal weniger ernst nehmen.  


Leben wie vor 800 Jahren: Speicher, Häuser und das Düppeler Weideschwein

Versteckt im Grünen Süden Berlins liegt das Museumsdorf Düppel. Foto: Imago/Funke Foto Services/Reto Klar

Beginnen wir mit der Realität. Schon vor 800 Jahren befand sich in Berlin Nikolassee eine Siedlung, an deren Stelle nun ein hochmittelalterliches Dorf rekonstruiert wurde. Das Museumsdorf Düppel. Zu sehen gibt es neben reetgedeckten Wohnhäusern und Getreidespeichern auch Tierarten, wie das zurückgezüchtete Düppeler Weideschwein oder die vom Aussterben bedrohte Schafsrasse Skudden. Das Düppeler Weideschwein ist eine Mischung aus rotbuntem Husumer, Wild- und Woll-Schwein, ist dem entsprechend behaart und etwas „sportlicher“ als das gewöhnliche Nutz-Schwein. Besonders ist auch der Kräuter- und Gemüsegarten, in dem ihr längst vergessene Nutzpflanzen findet. Tomate und Kartoffel sucht ihr hier vergebens.

  • Museumsdorf Düppel Clauertstr. 11, Nikolassee, Sa+So 10-18 Uhr, nur in den Sommermonaten, Eintritt 5€, weitere Infos hier

___STEADY_PAYWALL___

„Tjosten“, „Zwergenpömpeln“ und „Ritzelstechen“: Das Bärlin Pedäl Bättle

Die Kerndisziplin ist das „Tjosten“ – eine Art Lanzenstechen auf Fahrrädern. Foto: Imago/Funke Foto Services/Reto Klar

Man nehme die Grundidee des ritterlichen Lanzenstechens, tausche das Pferd gegen ein neumodisches Fahrrad (Tierfreundlich), die Lanze gegen einen Holzspfahl mit Boxhandschuh und behält die Ritterrüstung an – weil es witzig ist. Einmal im Jahr findet das Bärlin Pedäl Bättle statt, ein Event-Highlight, bei dem ihr neben Lanzenstechen auf Rädern auch Disziplinen wie „Stahlrossweitwurf“, „Last Knight Standing“ und „Zwergen Pömpeln“ erleben könnt. Selbst wenn hier jegliche historische Realität verloren gegangen ist – Spaß habt ihr auf dem Bärlin Pedäl Bättle garantiert.

  • Bärlin Pedäl Bättle Sportplatz Waldesruher Str. 40, Hoppegarten, 23.+24.9. 2023, 11-22 Uhr, Ticket ab 10€, weitere Infos hier

Kerzenlicht, Marktsackpfeifen und Drehleier: Mittelalterliche Musik im Arcanoa

Erinnert ihr euch noch an Patty Gurdy vom diesjährigen ESC-Vorentscheid? Trotz Drehleier schaffte sie es nicht nach Liverpool. Foto: Imago/Panama Pictures/Christoph Hardt

Jeden Mittwochabend entsteht im Arcanoa im Bergmannkiez ein herrliches Paralleluniversum. Kerzen leuchten, der Fluss im Tresen plätschert und es heißt: Bühne frei. Spielleute aus der Klangwelt des Mittelalters kommen mit ihren Drehleiern, Marktsackpfeifen (eine Art Dudelsack) und Trommeln zur wöchentlichen Open Stage. Im sympathischen Wirtshaus lässt sich auch für manchen Obolus das Met und METBräu (Verhältnis Bier:Met 4:1) erwerben. Tatsächlich gibt es die Bar schon seit 1988, dementsprechend sind die von Veranstaltungsplakaten beklebten Wände eine echte Zeitkapsel.

  • Arcanoa Berlin Am Tempelhofer Berg 8, Kreuzberg, Mi 20 Uhr, weitere Infos hier

Mittelalterliche Orte in Berlin: Honigwein und Literatur in Amandara’s Shop

In Amandara’s Shop gibt es hochqualitativen Honigwein „Met in Germany“ und Bücher der Autorin Amandara. Foto: Presse Amandara

Die feinste Met-Auswahl der Stadt gibt’s bei Amandara’s Shop in Moabit. Namensgeberin Amandara ist neben ihrer Funktion als Programmleiterin des acabus Verlags auch als Herausgeberin des kulturhistorischen Standardwerks „Met-Magie – der Trunk der Götter, Barden und Bauern“ bekannt. Mit einem Augenzwinkern hat sie darin die (fiktive) Geschichte der Köstlichkeit Met erzählt, (vermeintlich) getrunken seit 20.000 Jahren. Auf den gängigen Mittelaltermärkten der Umgebung Berlins trefft ihr oft einen Außenposten des Ladens an, mit Met, Amandaras Büchern und manchmal der Autorin selbst.

  •  Amandara’s Shop Jagowstr. 19, Alt-Moabit, Öffnungszeiten auf Anfrage unter: [email protected]

Die Wurzel Berlins: Archäologische Ausgrabungen in Mitte

Seit 800 Jahren ist der Molkenmarkt in Mitte bebaut. Aktuell finden hier Ausgrabungen statt. Foto: Imago/Funke Foto Services/Reto Klar

Harte Fakten statt göttlichem Met: Der Molkenmarkt hieß früher Olde Markt und ist der älteste Platz Berlins. Bevor die Neubebauung 2026 beginnt, wird nochmal fleißig gebuddelt. Archäologische Ausgrabungen untersuchen den seit fast 800 Jahren bebauten Platz und brachten schon einiges ans Licht. Unter anderem die älteste Straße Berlins. Zuletzt ein spektakulärer Fund aus dem 15. Jahrhundert mit u.a. Lederstiefeln, Wiegenpüppchen und Knochenwürfel. Ob man damit ins Berghain kommt? Führungen über die Grabungsfelder gibt’s jeden Freitag um 14 Uhr. Weitere Ausgrabungen in Berlin findet ihr hier.

  • Archäologische Grabungen am Molkenmarkt, Molkenmarkt, Mitte, weitere Infos hier

Von Fischern und Fahrmännern: Das alte Fischerdorf Rahnsdorf

Die BVG-Fähre F24 ist tatsächlich die rote Nussschale an der rechten Seite des Bildes. Sie verkehrt alle 60 Minuten – mit Glück auch öfter. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Urkundlich erwähnt wurde der gemütliche Ort an der Müggelspree erstmals 1319 – bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lebten die Bewohner:innen Rahnsdorfs hauptsächlich von der Fischerei. Auch in puncto Verkehr ist das sehenswerte Dorf angenehm historisch: Autos sind im Dorfkern verboten und die einzigartige BVG-Fähre F24 verkehrt hier (genauer: zwischen Rahnsdorf und Müggelheim). Besonders ist die F24, weil der Fährmann auf der putzigen „Paule III“ noch selbst rudert.

  • Fischerdorf Rahnsdorf, Köpenick

Mittelalterliche Orte in Berlin: Die Zitadelle Spandau

Idyllisch fügt sich die gut befestigte Verteidigungsanlage in ihre Umgebung ein. Foto: Imago/Zoonar/Zoonar.com/Bernd Hoyen

Auch wenn der größte Teil der Haselhorster Festung erst in der Hochrenaissance entstanden ist, darf das Spandauer Wahrzeichen in dieser Liste natürlich nicht fehlen. Die Zitadelle gehört zu den wichtigsten und besterhaltensten Verteidigungsanlagen Europas, ihren Kern bildet eine mittelalterliche Burg. Zum „alten“ Teil der Zitadelle gehört auch der berühmte Juliusturm, von dessen Spitze ihr eine ganz wunderbare Sicht über den grünen Westen Berlins genießen könnt. Der Juliusturm ist das älteste Gebäude Berlins. Und die Zitadelle hat noch wesentlich mehr zu bieten als alte Gemäuer! Das Citadel Music Festival, Märkte und Events finden auf dem Gelände regelmäßig statt. Unseren Artikel mit Hintergründen und Fun Facts zur Zitadelle findet ihr hier.

  • Zitadelle Spandau Am Juliusturm 64, Haselhorst, Fr-Mi 10-17 Uhr, Do 13-20 Uhr, Eintritt 4,50€, weitere Infos hier.

Spektakel ohne Realitätsanspruch: Gaukler- und Ritterfest in der Zitadelle Spandau

Mittelalterliche Orte: Wohl das Klischeebild für Mittelalter: Ein Ritter mit Fahne auf einem Pferd. Foto: Imago/Xinhua/Pan Xu

Auf dem Gaukler-, bzw. Ritterfest in der Zitadelle Spandau könnt ihr den Alltag vergessen und die unterhaltsame Seite des Mittelalters erleben. Es gibt mit Met geflutete Becher, Hörner voller Gerstensaft und gegen manchen Taler erlangt ihr auf dem Markt Waren von umherfahrenden Händler:innen. Einen Anspruch auf historische Korrektheit gibt’s hierbei nicht, das Spektakel steht im Vordergrund. So könnt ihr bei den Festen auch Reitershows, Musik und Akrobatik erleben.

  • Gaukler- und Ritterfest in der Zitadelle Spandau Am Juliusturm 64, Haselhorst, diesjähriges Gauklerfest vom 30. September bis 3. Oktober, weitere Infos hier.

Mittelalterliche Orte in Berlin: Das mittelalterliche Gastmahl einnehmen in der Tafelrunde

In der Tafelrunde speist ihr auf mittelalterliche Art: gegessen wird mit Hand und Dolch. Foto: Tafelrunde Berlin

Das Essen wird zum Event: in der Tafelrunde könnt ihr bei einem „Mittelaltergelage“ gastieren. Eine Reservierung ist Pflicht, je nach Tag gibt es ein anderes Menü. Zu jedem Mahl bekommt ihr einen Mettrunk aus dem Kuhhorn gereicht, gegessen wird mit Händen und Dolch. Eine Gabel gibt es hier nicht. Als Beilage gibt es Unterhaltungsprogramm von „Gauklern & Barden“, die euch den Besuch versüßen. Auf eurer Zeitreise werdet ihr so in der Tafelrunde der Bardin Matricaria oder dem Sackpfeifenden Barden Jochen begegnen.

  • Tafelrunde Berlin Nachodstr. 21, Wilmersdorf, Mi-Sa 18-22 Uhr, weitere Infos hier.

Das Eisen zähmen: Schmieden lernen in Niederschönhausen

Achtung heiß! Wie ihr euch mit den glühenden Eisen nicht verbrennt, lernt ihr bei den Workshops. Foto: Imago/Addictive Stock/Alberto Menendez

Die Schmiede gehörte zu den wichtigsten Orten jedes mittelalterlichen Dorfs, schließlich konnten in ihr Messer, (Holz-)Äxte, Nägel und Hufe hergestellt werden. Unerlässliche Gegenstände für den mittelalterlichen Alltag. Einen Einblick in das uralte Handwerk ermöglicht die „Schmiede im Hof“ in Pankow. In einem zwei-Tages-Kurs schmiedet ihr aus einem Stück Stahl ein (hoffentlich) funktionsfähiges Küchenmesser. Weitere Kreativ-Workshops in Berlin stellen wir hier vor.

  • Schmiede im Hof Pankstr. 13, Pankow, Kurse ab 150€, weitere Infos hier

Mittelalterliche Orte in Berlin: Alle Jahre wieder historische Weihnacht Friedrichshain

Ansonsten eher für Clubs und Urban Art bekannt, findet auf dem RAW-Gelände auch in der diesjährigen Vorweihnachtszeit wieder der Weihnachtsmarkt in historischem Gewand statt. Das klassische Maskottchen mit weißem Bart und roten Mantel fehlt, stattdessen gibt es wohlig-warmen Met und viel Kunsthandwerk. Auch hier gilt: historisch akkurat ist anders, doch auf einem handbetriebenen Holzkarussell fahren macht einfach Spaß. Unser Weihnachtsmärkte-Guide führt euch durch die festliche Zeit.

  • Historische Weihnacht Friedrichshain RAW-Gelände Revaler Str. 99, Friedrichshain, ab 16.11., weitere Infos hier

Und jetzt: Rein in die Rüstung und ab zur Berliner Rittergilde!

Sie hält heute nichts mehr auf: Auch bei eisigen Temperaturen zieht die Berliner Rittergilde in die Schlacht. Foto: Imago/Charles Yunck

Zum Abschluss dieser Liste geht es aufs Schlachtfeld. Die Berliner Rittergilde ist die größte Organisation für mittelalterlichen Schaukampf in Deutschland. Mit Schwertern, Speeren, und Wurfmaschinen kämpfen in ihren Shows bis zu 200 Darsteller:innen in historischer „Gewandung“ gegeneinander, tatsächlich verletzt wird aber niemand. Und auch ihr könnt in die Schlacht ziehen! 10 Euro/Monat kostet eine Mitgliedschaft, dafür erlernt ihr den Umgang mit Schwert und Schild. Ritterschaften gibt es in Brandenburg, etwa die „Stadtwache Jüterborg“ oder in Berlin bei der „Stadtwache Steglitz“.  

  • Berliner Rittergilde verschiedene Standorte, weitere Infos hier

Mehr Berliner Geschichte

So sah Berlin vor 400 Jahren aus: Wir schauen uns historische Karten an. Mit Bildern und historischen Fotos spüren wir Berliner Bühnen nach: Theater und Opernhäuser, die es nicht mehr gibt. Die Fotogalerie mit Bildern vom Kriegsende zeigt 1945 und die Gegenwart – das zerstörte Berlin im Vergleich mit dem modernen Berlin. Ansichten aus der Zeit vor den Kriegszerstörungen zeigen wir hier: 12 Farbfotos aus Berlin in den 1940er-Jahren. Mehr zur Geschichte Berlins lest ihr in dieser Rubrik.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad