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Grenzgänge

Mauerweg-Tour von Griebnitzsee bis Checkpoint Bravo: Das letzte Haus in West-Berlin

Unser Autor hat sich auf einen Spaziergang begeben, den Mauerweg entlang von Griebnitzsee in Potsdam bis zum Checkpoint Bravo. Unterwegs findet er nicht nur ein Landhaus im Bauhaus-Stil, sondern auch Partyüberreste an der Stammbahn, Kindheitserinnerungen in Gasthäusern und mit der Raststätte Dreilinden wohl einen der traurigsten Orte in ganz Berlin.

Hier kreuzten sich einst Stamm- und Autobahn. Foto: F. Anthea Schaap
Hier kreuzten sich einst Stamm- und Autobahn. Foto: F. Anthea Schaap

Den Bahnhof Griebnitzsee bewachten früher Grenzpolizisten

Eine echte Weltausstellung gab es in Berlin nie, nur die schräge Deutsche Colonial-Ausstellung 1896 im Treptower Park. Dennoch wurde der deutsche Holz-Pavillon der Weltausstellung in Wien 1873 vom Berliner Architektenbüro Kyllmann & Heyden im Auftrag der Berlin-Potsdamer Eisenbahn als Bahnhof Neubabelsberg eröffnet.

Seit 1938 steht der Bahnhof in seiner heutigen Form, war jedoch ab 1961 nicht mehr öffentlich zugänglich, bewaffnete Grenzpolizisten mit Wachhunden bestimmten das Bild. Im nahegelegenen Gleichrichterwerk residierte bis 2016 das sehr schöne private S-Bahn-Museum.

Wir verlassen den Bahnhof in südliche Richtung und laufen an den Gebäuden der Uni Potsdam vorbei in Richtung Steinstücken. Ein Spielplatz in der Straße Am Landeplatz markiert den Ort, über den die legendäre Enklave durch Hubschrauber der US-Armee versorgt wurde. Zur Erinnerung an diese kleine Luftbrücke stehen hier zwei Rotorflügel im Sand. Die 300 Einwohner starke und zwölf Hektar große West-Berliner Insel liegt auf der anderen Seite der Kanonenbahn.

Steinstücken: Stachel im Fleisch der Zone

1951 gab es einen Versuch der DDR, die Zehlendorfer Ortslage an Potsdam anzukoppeln, der scheiterte jedoch nach nur wenigen Tagen am zivilen Ungehorsam der Einwohner. Bis 1961 blieb Steinstücken ein Stachel im Fleisch der Zone: Da die Absperrung nur aus einigen Spanischen Reitern bestand, gelangen hier zahlreiche Fluchtversuche, darunter auch die von mehr als 20 Grepos. Vom „Preußischen Arkadien“ war hier nichts zu spüren, hier regierte der Kalte Krieg in all seiner Gemeinheit.

Erst ab 1971 gab es dank des Verhandlungsgeschicks des Berliner Senats wieder einen öffentlichen Zugang nach Steinstücken und der kleine Ort entwickelte sich zur Touristenattraktion: Wie durch einen nur nach oben offenen Tunnel musste man einen ganzen Kilo­meter von Kohlhasenbrück kommend die Bernhard-­Beyer-Straße entlang, links und rechts die drei Meter hohe weiß-graue Mauer.

Bauhaus-Architektur in Steinstücken

In Steinstücken selber gab es das von Erich Mendelsohn erbaute Landhaus im Bauhaus-Stil, das einst dem berühmten Kreuzberger Arzt, Sozialhygieniker und Gründer des Urban-Kranken­hauses Curt Bejach gehörte. 1930 wurde der erste Akt von „Die Drei von der Tankstelle“ hier gefilmt. Bejach selbst wurde 1944 in Auschwitz ermordet, zwei seiner Töchter hatte er 1939 mit einem der Kindertransporte nach Großbritannien in Sicherheit gebracht, wo sie von der Familie des Schauspielers („Gesprengte Ketten“) und Regisseurs („Ghandi“) Richard Attenborough adoptiert wurden.

Berühmter Blickfang auf diesem Teil des Mauerwegs: das Mendelsohn-Haus des Mediziners Curt Bejach. Foto: F. Anthea Schaap
Berühmter Blickfang auf diesem Teil des Mauerwegs: das Mendelsohn-Haus des Mediziners Curt Bejach. Foto: F. Anthea Schaap

Und dann gab es hier noch das wunderbare Ausflugslokal Zum Taubenschlag der Familie Pieper, in ganz Berlin bekannt für seinen Apfelkuchen. Alles passé. Wende und Wiedervereinigung haben Steinstücken die Exotik genommen und die Normalität eines Vororts zurückgebracht. Selbst der Berliner Mauerweg lässt Steinstücken außen vor, die Erinnerungstafel dazu steht in Kohlhasenbrück.

Wir gehen zurück zum Teltowkanal und folgen der Uferstraße Richtung Osten, vorbei am historischen Gut Eule, das vor zwei Jahren eine neue Bewirtschaftung gefunden hat. Früher einmal erstreckte sich das ursprüngliche Jagdgut, auf dem der Kaiser seine Gewehre testen ließ, bis weit hinein in die Potsdamer Parforce­heide. Nur noch der vordere Bereich ist übrig geblieben und es ist schon ein geschichtlicher Witz, dass die Mieterin bis 2016 Frau General hieß.

Kohlhasenbrück erinnert an Heinrich von Kleist

Um die Ironie auf die Spitze zu treiben, befindet sich das Gut in einer Ortslage, die nach einem Rebellen und Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen Fürstenherrschaft benannt ist – Kohlhasenbrück, die Brücke gibt es schon lange nicht mehr – und keine drei Kilometer von dem Ort entfernt, an dem jener Autor, der „Michael Kohlhaas“ ein literarisches Denkmal setzte, seinem Leben ein Ende bereitete.

Nur wenige hundert Meter weiter liegt auf der rechten Seite die Siedlung Albrechts Teerofen, deren Häuser zwar hochherrschaftlich aussehen, die aber bis heute nicht an die zentrale Wasser- und Abwasserversorgung angeschlossen sind.

Einer der traurigsten Orte Berlins: die Raststätte Dreilinden

Nur noch ein Stückchen einen kleinen Hügel hoch, dann steht man vor der alten Rast­stätte Dreilinden, einem der traurigsten Orte in ganz Berlin. Nördlich von hier, auf der Brücke über den Teltowkanal, lag der alte Kontrollpunkt Dreilinden. Das seit mehr als zehn Jahren leerstehende Gebäude verströmte auch im komplett zerschlagenen Zustand noch den Anschein von Trauer, Verlust, Hilflosigkeit. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Siebenjähriger im Dunst von schalem Bier, kaltem Kaffee und ungezählten Zigaretten in diesem Gastraum saß und heulte, weil mir die Vopos meine Karl-May-Bücher weggenommen hatten.

Die alte Gaststätte Dreilinden. Foto: F. Anthea Schaap
Die alte Raststätte Dreilinden. Foto: F. Anthea Schaap

Nach vielen vergeblichen Versuchen, die Raststätte als Ausflugslokal zu verkaufen, hat sich jetzt ein neuer Besitzer gefunden. Der steht gerade in Latzhosen vor der Tür und sortiert Schrott. „Neenee, hier kommt kein Café mehr rein“, erzählt er auf meine Frage, „das habe ich nur für mich gekauft.“ Versteh‘ ich gut, ich wäre auch stolz, wenn mir das letzte, das wirklich letzte Haus in West-Berlin gehören würde.

Als wir die Grenzbrücke passieren, auf der noch immer die alten Fahrbahnmarkierungen für LKW und PKW zu sehen sind, samt der Umrisse der alten Kontrollkanzeln, haben wir eine weitere surreale Begegnung: Auf der Brücke, die jahrzehntelang Symbol der Teilung war, tanzt heute eine Salsa-Gruppe aus Potsdam in der Frühlingssonne und lässt sich dabei von einer Drohne filmen.

Ein Wegweiser im Wald führt uns Richtung Zollamt Dreilinden. Foto: F. Anthea Schaap
Ein Wegweiser im Wald führt uns Richtung Zollamt Dreilinden. Foto: F. Anthea Schaap

Eigentlich müssten wir jetzt wieder runter an den Teltowkanal und in westliche Richtung laufen. Nach 750 Metern knickte die Mauer hier nach Norden ab und stieß dann auf den Königsweg. Wir kürzen zum ersten Mal ab, indem wir einfach die alte Autobahntrasse entlanglaufen. Genau wie unten am Teltowkanal war der Grenzverlauf auch hier auf der Straße kompliziert, Ost und West wechselten sich ab, in dem unübersichtlichen Gelände gab es viele Grenzzwischenfälle.

Königsweg bis Checkpoint Bravo: Ganz schön langweilig

Als wäre sie das letzte Überbleibsel nach einem Atomkrieg, wölbt sich hier die Brücke der alten Stammbahn über die ehemalige Autobahn. Die Reste einer nächtlichen Party liegen herum, aber schon sind ein paar Sprayer am Werk, die alte Ziegelwände und Metallkonstruktionen verschönern. Der Königsweg ist dann die bisher langweiligste Etappe der ganzen Strecke, schnurgerade zieht er sich durch den Wald bis hoch zum alten Checkpoint Bravo, einzige spannende Punkte im Wald sind die Brücke über die Friedhofsbahn und die letzten Überreste des Ausflugsrestaurant Waldhaus.

Endziel dieser Mauerweg-Tour: Checkpoint Bravo. Foto: F. Anthea Schaap
Endziel dieser Mauerweg-Tour: Checkpoint Bravo. Foto: F. Anthea Schaap

Erst ganz am Ende des Weges, kurz vor der Brücke über die Autobahn, finden wir ein weiteres Kuriosum: einen Baum mit eingeschlagenen Klettersprossen. Früher führten diese Sprossen zu einer Beobachtung­splattform, von der aus man das Zollamt und den alliierten Teil des Checkpoints den ganzen Tag beobachten – und im Notfall wohl auch unter Beschuss nehmen – konnte.

Dieser Text stammt aus unserem Buch „Grenzgänge – 25 Wanderungen auf dem Berliner Mauerweg“, das ihr im Shop von tipBerlin kaufen könnt.


Griebnitzsee bis Checkpoint Bravo: Tipps an der Tour

Piazza Toscana Von außen lässt das Gebäude kaum vermuten, was im Inneren vor sich geht: Die spielerische Mischung aus Holz und Stein in den Innenräumen sowie die deckenhohen Weinregale schaffen eine wohlige Atmosphäre.


Ulfs Café Das Café serviert Menüs aus aller Welt und benutzt dabei nur frische Zutaten. Es steht auf Universitätsgelände, genauer gesagt im Hasso-Plattner-Institut mit seinem bezaubernden Becken vor dem Haupteingang.


Landgut Eule Das historische Gebäude ist der Rest eines von König Friedrich Wilhelm I. 1725 gegründeten Forstgutes, das später durch Friedrich den Großen in eine Kolonistenstelle umgewandelt wurde.

  • Kremnitzufer 49–51, 14109 Berlin

Kontrollpunkt Dreilinden Der Kontrollpunkt und die nördlich anschließende Teltowkanalbrücke sind Relikte der bis 1969 bestehenden Autobahn. Auf der Nordseite der Brücke befindet sich das Denkmal für den getöteten West-Berliner Hermann Döbler.

  • Kanalauenweg, 14109 Berlin

Checkpoint Bravo Wer schon einmal die Stadt mit dem Auto über die heutige A 115 verlassen hat, kennt den ehemals durch die USA genutzten Kontrollpunkt Dreilinden-Drewitz. 500 Meter weiter in Richtung Zentrum liegt die ehemalige Raststätte Dreilinden, heute eine historische Sehenswürdigkeit.


Mehr Spaziergänge

Weitere Mauerweg-Touren aus unserem Buch „Grenzgänge“ findet ihr hier. Unbedingt besuchen: die Gedenkstätte Berliner Mauer. Am Wasser entlang, durch Wälder und wunderbare Weiten: 12 schöne Spaziergänge im Osten Berlins. Ab in die Natur: Unsere Tipps für schöne Waldspaziergänge in Berlin findet ihr hier. Wenn die richtige Strecke nicht dabei ist, haben wir noch mehr schöne Spaziergänge in der Natur und in der Stadt für euch. Am schönsten, wenn die Sonne scheint: 12 tolle Spaziergänge durch Berlin im Sommer. Immer neue Ideen findet ihr in unserer Rubrik „Ausflüge“.

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