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Berlin verstehen

Berliner Cafés: Szenen aus 100 Jahren Kaffeekultur an der Spree

Seit genau 300 Jahren gehen die Berliner in Cafés. Das erste Kaffeehaus eröffnete 1721, die Mode schwappte aus dem Orient über Venedig, Paris, London und Wien erst spät in die preußische Provinz. Selbst in Regensburg, Leipzig und Würzburg trank man schon früher das aromatische Getränk. Anfangs war Kaffee ein Privileg der Oberschicht, am Hofe der Kurfürsten kannte man die dunkel gerösteten Bohnen bereits um 1675. Doch mit der Zeit entwickelte sich die herrlich duftende Brühe zum bevorzugten Getränk des ganzen Volkes.

Im 19. Jahrhundert gab es etwa allerorts Kaffeesuppe, die mit Brot vermengt auf dem Speiseplan einfacher Wirtshäuser und Kneipen stand, und um 1900 existierten weit über 100 Röstereien in der ganzen Stadt. Die Cafés erlebten im Kaiserreich einen Siegeszug, der bis in die Zeiten der Weimarer Republik andauerte. Es entwickelte sich eine regelrechte Kaffeekultur, die im Dritten Reich nach und nach verschwand und erst in den letzten zehn bis zwanzig Jahren wieder an Fahrt aufgenommen hat.

Statt auf schnöden Filterkaffee setzen die Baristas der Third-Wave-Bewegung auf ausgesuchte Sorten, Nachhaltigkeit und hochkomplexe Zubereitungsarten. Berlin ist heute längst wieder eine Kaffeestadt. Hier blicken wir auf die Geschichte der Berliner Cafés – Szenen aus (mehr als) 100 Jahren Kaffeehauskultur.


Nachtcafé in Berlin

Berliner Cafés: Zwei Damen im Nachtcafé. Zeitgenössische Illustration aus dem "Simplicissimus", um 1900. Foto: Imago/Kharbine-Tapabor
Zwei Damen im Nachtcafé. Zeitgenössische Illustration aus dem „Simplicissimus“, um 1900. Foto: Imago/Kharbine-Tapabor

Im 19. Jahrhundert entwickelten sich auch in Berlin die Cafés zu sozialen Orten. Es gab mondäne Kaffeehäuser mit glänzenden Kandelabern, Samt und schweren Holzmöbeln, in denen sich die feine Gesellschaft traf. Der Kaffee zum Kuchen war obligatorisch, ein Likörchen oder Schnäpschen im Anschluss nicht selten. Pianisten sorgten für die Musik, Zeitungen hingen aus und an den Tischen tauschte man den neusten Tratsch aus. Cafés wurden neben den klassischen Berliner Kneipen zu Orten, an denen das Stadtgespräch geführt wurde.


Conditorei und Café am Kaiser-Friedrich-Platz

So trank man seinen Kaffee um 1910 in Kreuzberg. Conditorei und Café am Kaiser-Friedrich-Platz, Hasenheide. Foto: Imago/Arkivi
So trank man seinen Kaffee um 1910 in Kreuzberg. Conditorei und Café am Kaiser-Friedrich-Platz, Hasenheide. Foto: Imago/Arkivi

Die Hasenheide galt in Berlin lange als einer der wichtigsten Orte für ausgelassene Vergnügungen. Es gab eine Seilbahn, Ballsäle und Live-Musik. Der heutige Südstern hieß vor dem Ersten Weltkrieg noch Kaiser-Friedrich-Platz, hier traf man sich im hübschen Gartencafé mit Blick auf die Kirche am Südstern.


Victoria Café in Mitte

Victoria Café an der Friedrich Ecke Jägerstraße, um 1920. Foto: Imago/Arkivi
Victoria Café an der Friedrich Ecke Jägerstraße, um 1920. Foto: Imago/Arkivi

Die Friedrichstraße war einer der Mittelpunkte der Stadt. Viele große Hotels, Restaurants, Modegeschäfte und natürlich auch Cafés residierten an der vornehmen Straße, in der es ein stetiges Kommen und Gehen gab. Der Erste Weltkrieg hat die gute Stimmung überschattet, doch nach Kriegsende ging das Leben weiter. An der Kreuzung Friedrichstraße und Jägerstraße gehörte in den 1920er-Jahren das Victoria Café zu den angesagten Orten. Auch wenn sich die Boheme eher im Romanischen Café oder im Café Josty traf.


Kaffee im Dritten Reich

Berliner Cafés: Hakenkreuzfahnen über dem Kranzler. Foto: Imago/United Archives International
Hakenkreuzfahnen über dem Kranzler. Foto: Imago/United Archives International

Das berühmte Café Kranzler residierte bis 1911 am Boulevard Unter den Linden Ecke Friedrichstraße, ab 1932 lautete die neue Adresse Kurfürstendamm 18/19. In den Räumlichkeiten des ehemaligen Cafés des Westens wurden unter dem Namen „Restaurant und Konditorei Kranzler“ Kaffee, Kuchen und andere Köstlichkeiten serviert. Doch schon bald hingen Hakenkreuzfahnen am Gebäude. Die goldene Ära der Berliner Cafés, die in der Zeit der Weimarer Republik ganz neue Höhen erreichte, fand nach 1933 ein jähes Ende. Spätestens ab Kriegsbeginn gehörten Kaffeebohnen ohnehin zur begehrten Luxusware, die man nur schwer ergattern konnte.


West-Berliner Institution

Das Kranzler in Charlottenburg, um 1956. Foto: Imago/Ralph Peters
Das Kranzler in Charlottenburg, um 1956. Foto: Imago/Ralph Peters

In West-Berlin wurde die Kaffeehaus-Institution, die nach dem Krieg erst 1958 wieder öffnete, zum legendären Ort. Udo Lindenberg sang über das Kranzler, der Kabarettist Wolfgang Neuss nannte hier den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker „Häuptling Silberlocke“ und die Wilmersdorfer Witwen verschlangen tonnenweise Sahnetörtchen und Kirschplunder. 2000 schloss das Traditionshaus, heute befindet sich dort ein Ableger der Kaffeerösterei The Barn.


Pressecafé in Ost-Berlin

Gediegen ein Käffchen am Alex trinken im Pressecafé, 1974. Foto: Imago/Zuma/Keystone
Gediegen ein Käffchen am Alex trinken im Pressecafé, 1974. Foto: Imago/Zuma/Keystone

Das Haus des Berliner Verlags in der Karl-Liebknecht-Straße 29 in Mitte entstand in den frühen 1970er-Jahren nach den Plänen der Architekten Karl-Ernst Swora, Rainer Hanslik, Günter Derdau. Der 17-geschossige Bürobau ist eine Dominante am berühmten Alexanderplatz, der in der DDR-Zeit zum Prestigeprojekt des Sozialismus wurde. Zum Verlagshaus gehörte ebenfalls der vorgelagerten Flachbau, in dem sich das Pressecafé befand. Ein illuster Ort in Ost-Berlin, wo sich ansonsten die Kaffeehauskultur wegen der Mangelwirtschaft und dem Argwohn des SED-Regimes gegenüber vermeintlich bourgeoisen Traditionen kaum entwickeln konnte.


Neue Kaffeekultur in Berliner Cafés

Berliner Cafés: Bücher, dunkles Holz und frisch geröstete Kaffeebohnen. In den 1990er-Jahren entwickelt sich eine neue Kaffeehauskultur in Berlin. Foto: Imago/Teutopress
Bücher, dunkles Holz und frisch geröstete Kaffeebohnen. In den 1990er-Jahren entwickelt sich eine neue Kaffeehauskultur in Berlin. Foto: Imago/Teutopress

In Ost-Berlin sorgten SED und Sozialismus für den Niedergang der Kaffeekultur, aber auch im Westteil der Stadt trank man vornehmlich bitteren Filterkaffee und machte sich wenig Gedanken über geschäumte Milch, die Herkunft der Bohnen oder spezielle Zubereitungsarten. Nach der politischen Wende wehte plötzlich auch in den Berliner Cafés ein frischer Wind. Man trank Milchkaffee, legte mehr wert auf Qualität – und Latte Macchiato, Melange und Cappuccino waren keine Fremdwörter mehr.


Das Szene-Café

Café Schwarz Sauer in der Kastanienallee. Foto: Imago/Rüttimann
Café Schwarzsauer an der Kastanienallee. Foto: Imago/Rüttimann

Im Zuge der erwachenden Berliner Kaffeekultur entstanden in den 1990er-Jahren auch wieder Szene-Cafés, wo man sich tagsüber einfand, um zu sehen und gesehen zu werden. Dazu gehörte auch das Café Schwarzsauer an der Kastanienallee, jener Prenzlauer Berger Straße, die später „Castingallee“ geschimpft wurde und zum Wahrzeichen der Gentrifizierung wurde.


Kaffee Bankrott

Obdachlose im Kaffee Bankrott in Prenzlauer Berg, 2009. Foto: Imago/epd
Obdachlose im Kaffee Bankrott in Prenzlauer Berg, 2009. Foto: Imago/epd

Kaffee ist nicht nur ein Lifestyle-Getränk für Hipster und Touristen und Kaffeehäuser nicht nur dem besser verdienenden Teil der Gesellschaft vorbehalten. Das Café erfüllt in allen sozialen Schichten eine wichtige Funktion. Der Verein mob e.V. betrieb bis 2018 den offenen Treffpunkt „Kaffee Bankrott“ als Café mit Mittagessen und Wärmestube und bot auch Notübernachtung an. In den Räumen traf sich außerdem die Redaktion der Obdachlosenzeitung Strassenfeger.


Melitta Sundström

Berliner Cafés: Melitta Sundström am Mehringdamm in Kreuzberg. Foto: Imago/Schöning
Melitta Sundström am Mehringdamm in Kreuzberg. Foto: Imago/Schöning

In Berlin haben auch Cafés für die LGBT-Community eine lange Tradition. Schon vor dem Krieg trafen sich Schwule und Lesben in einschlägigen Bars und Clubs, um unter sich zu bleiben. In West-Berlin existierten wichtige Cafés wie das Andere Ufer (heute Café Neues Ufer, Hauptstraße 157, Schöneberg) oder das Frauencafé Begine. Auch das Melitta Sundström am Mehringdamm in Kreuzberg steht schon lange im Zeichen des Regenbogens und pflegt die queere Kaffeehauskultur in Berlin.


Künstlertreffs – Paris Bar

Paris Bar. Foto: Imago/F. Berger
Paris Bar. Foto: Imago/F. Berger

Ein Traditionsrestaurant in Berlin, an dessen legendärem Ruf die Qualität der Speisen so gut wie gar keinen Anteil hat: Michael Würthles Paris Bar, die Mutter aller modernen Berliner Künstlerlokalitäten. Dass man unter der ikonografischen Leuchtfassade dennoch mehr als passabel essen kann, und zwar süddeutsch und vor allem französisch, sei dennoch unbedingt erwähnt. Die Künstler:innen im Publikum sind mit den Jahren weniger geworden, die Prominenten nicht. Ein wichtiger Laden für diese Stadt und ihre Erzählungen. Weitere Lokale der Berliner Kunstszene stellen wir euch hier vor.


Kaffee ist Kunst

Berliner Cafés: Die Espressonisten, Berlin. Foto: FA Schaap
Die Espressonisten, Berlin. Foto: FA Schaap

Spätestens ab 2010 entwickelte sich Berlin immer mehr zu einer Kaffeestadt höchster Güte. Latte Macchiato, Melange und Cappuccino sind heute längst koffeinhaltiger Standard, den man in Wegwerfbechern bei jedem zweiten Späti bekommt. Nun konzentrieren sich angesagte Cafés in Mitte auf eigene Röstmischungen, speziell ausgebildete Baristas (nur echt mit Vollbart und geometrischen Tätowierungen) bereiten einem in sieben bis zwölf Minuten eine ausgesuchte Kaffeekreation vor. Gerne auch mal kalt. Das Ganze heißt Third Wave bzw. Dritte Kaffeewelle, eine Bewegung, die auf höchste Qualität, Nachhaltigkeit und bewussten Konsum setzt. Wer Lust auf die volle Third-Wave-Kaffee-Erfahrung hat, sollte im Coffee Circle in Wedding oder den Espressonisten in Mitte vorbeischauen.


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Hier sind die besten Kaffeeröstereien in Berlin: Aus der Trommel in die Tasse. Zu Kaffee gehört was? Genau: Kuchen und Torten in Berlin: 12 Orte, die euch den Tag versüßen. Nicht nur eure Kaffeebohnen sollen eine Weltreise machen, sondern auch euer Gaumen: 12 außergewöhnliche Restaurants in Berlin. Nicht nur Kaffee ist in Berlin einsame Spitze, sondern auch Craft Beer: Diese 12 Betriebe beherrschen die Braukunst.

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