Interview

Fotografiska-Chef: „Berlin verzeiht es nicht, unauthentisch zu sein“

Am 21. November eröffnet das Veronika im Fotografiska in der Oranienburger Straße, Berlins erstes Museumsrestaurant, das es wirklich ernst meint mit der Umarmung von Kulinarik und Kultur. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Yousef Hammoudah über Baklava, Berufsbiografien und natürlich Berlin.

Im November öffnet das Museumsrestaurant Veronika im Fotografiska. Foto: Pion Studio

Veronika Restaurant im Fotografiska in New York als Vorlage

tipBerlin Yousef Hammoudah, Sie sind in Saudi-Arabien geboren und in Wuppertal aufgewachsen, Sie haben für ein Computerspiel den Grimme-Online-Award bekommen und als Marketingexperte die Adidas Runners in Berlin etabliert. Nun sind Sie Geschäftsführer des Fotografiska in der Oranienburger Straße und als solcher plötzlich auch Gastronom. Eine ganz schöne Reise, oder?

Yousef Hammoudah Wobei ich mich selbst gar nicht als Gastronomen betrachte. Besser gesagt: Wir betrachten auch die Gastronomie im Fotografiska als integrativen Teil einer kulturellen Erfahrung. Genauso wie man künftig mit dem Glas Wein in der Hand aus der Veronika Bar direkt in Ausstellungen schlendern kann, haben wir uns also nicht bloß gefragt, wie ein Restaurant aussehen könnte. Wir haben uns vielmehr gefragt, was ein kulinarisches Angebot wäre, das dem kulturellen Selbstverständnis des Fotografiska als offener, diverser, lustvoller Ort entspricht. Zudem gibt es ja bereits das Veronika Restaurant im Fotografiska in New York, das uns eine gute Vorlage war.

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tipBerlin … die sich dann eins zu eins auf Berlin übertragen ließ?

„Berlin ist offener, auch widersprüchlicher“

Yousef Hammoudah Genau so  war es … – nicht. In New York gibt es eine gewisse Übereinkunft darüber, was man sich unter einem gehobenen Restaurant in Manhattan vorzustellen hat. Berlin ist offener, auch widersprüchlicher. Ich habe mir in der Recherche also nicht nur zeitgenössische Restaurants wie das Remi an der Torstraße angeguckt, dass ich sehr schätze. Ich war genauso bei Mustafas Gemüse Kebap, bei einem Ramen-Pop-up in Neukölln oder in der Long March Canteen, die ich für ein starkes Konzept halte.

tipBerlin Haben Sie einen gemeinsamen Nenner zwischen all diesen Orten gefunden?

Yousef Hammoudah Sie sind alle, auf ihre Art, authentisch. Sie werden von Menschen gemacht, die genau das genauso so machen wollen.

tipBerlin Fake funktioniert in Berlin nicht?

Yousef Hammoudah Absolut, Berlin verzeiht es nicht, unauthentisch zu sein.

Im Zweifel für die Sache brennen: Yousef Hammaoudah, Geschäftsführer des Fotografiska. Foto: Max Menning

tipBerlin Wie übersetzt man diese Erkenntnis in ein Restaurant?

„Ich sehe gerade in der Verknüpfung von Kulinarik und Kultur die Möglichkeit, gute, tiefe Geschichten zu erzählen“

Yousef Hammoudah Authentizität bedeutet, den Menschen den Raum zu geben, den sie brauchen, um sich wohlzufühlen. Authentizität entsteht, wenn ich auf Leute treffe, die Bock haben auf das was sie machen, auf Essen, auf Wein, auf guten Service. Im Zweifel entscheide ich mich lieber für jemanden, der oder die vielleicht weniger Erfahrung mitbringt, aber für eine Sache brennt.  Dadurch entsteht eine andere Art von Stimmung. Ich sehe gerade in der Verknüpfung von Kulinarik und Kultur die Möglichkeit, gute, tiefe Geschichten zu erzählen.

tipBerlin Welche Orte, welche Erfahrungen stehen für Sie für das kulinarische Berlin?

Yousef Hammoudah Ein guter, also dreckiger Burger. Und damit das Versprechen, dass die spannenden Sachen in dieser Stadt immer noch auch auf der Straße passieren. Daneben die vielen sehr guten vegetarischen und veganen Restaurants. Biografisch geprägt haben mich aber die süßen Sachen: Halva, Baklava, ich bin ein Kind des Nahen Ostens. Lange war es echt schwer, so etwas in guter Qualität in Berlin zu bekommen. Heute gibt es etwa einen Laden wie Damaskus. Auch so eine Erfolgsgeschichte der Einwanderungsstadt Berlin.

tipBerlin Hat wegen der „süßen Sachen“ auch die Bakery als erstes der vier gastronomischen Formate im Fotografiska geöffnet?

Yousef Hammoudah Die Bakery ist auch unser direktes Schaufenster hinein in die Stadt. Jule Wojcicka, unsere Patissière, macht dort übrigens einen wahnsinnig guten veganen Carrot Cake.

tipBerlin Wo steht Berlin heute? Und wofür steht Berlin für Sie?

Yousef Hammoudah Berlin ist viel internationaler, viel diverser und viel kultureller als noch 2010. Leider gucken zu viele Leute noch immer auf diese Unterschiede und nicht auf die Kraft, die daraus entsteht. Ich finde es positiv, dass Berlin ein Klassen- und Schubladendenken abgelegt hat. Jemand wie ich kann heute Gymnasiallehrer oder eben Geschäftsführer einer Kulturinstitution werden und ein Bio-Deutscher umgekehrt Rap-Star …

tipBerlin … ein fairer Tausch.

Yousef Hammoudah Eine diverse Gesellschaft funktioniert, dafür  steht für mich Berlin.

Vorbereitungsküche: Roel Lintermans, zuletzt im Grill Royal, ist kulinarischer Direktor der vier Gastronomien im Fotografiska. Foto: Pion Studio

tipBerlin Wo in dieser diversen Stadt sind Sie zuhause?

Yousef Hammoudah Ich wohne  inzwischen in Pankow und genieße es ehrlich sehr, je nach Laune von dort in eine der vielen Berliner Szenen aufzubrechen und an dieser tollen Stadt teilzuhaben. Wir hatten auch schon eine Eigentumswohnung in Kreuzberg, Tempelhofer Ufer, Ecke Mehringdamm. Die ersten Worte meiner Tochter waren „Tatü Tata“.  Das war dann doch etwas zu viel Urbanität.

Im Veronika sind es nur ein paar Schritte von der Kulinarik zur Kunst

Wenn das Veronika im Fotografiska in der Oranienburger Straße am 21. November eröffnet, ist das vielleicht seine spektakulärste, gleichsam aber beiläufigste Qualität: Man kann den Wein aus der Bar auf der weitläufigen Empore über dem Veronika Restaurant einfach mit in die Ausstellungen nehmen. Überhaupt werden die Übergänge fließend sein, zwischen der Kulinarik und der Kunst,  dem überzeugten regional-saisonalen Anspruch und einer aromatischen Weltläufigkeit, zwischen Fine Dining und richtig guten French Fries.

Für diesen recht universellen kulinarischen Anspruch steht der gastronomische Direktor aller vier Food-Orte im Fotografiska: Roel Lintermans kochte spektakulär im Les Solistes im Berliner Waldorf Astoria und bewies vor allem im Grill Royal, dass sich Produktverständnis, Handwerk und ein vibrierendes Gesellschaftslokal nicht ausschließen müssen. Veronika-Küchenchef Ahmed Omer Ahmed wiederum kochte uns noch Anfang des Jahres in der Weinbar Sacrebleu im Schillerkiez ein derart großartiges Menü, dass wir ihm schon damals eine größere Bühne wünschten. Ebenfalls längst mehr als nur ein Talent: der unbedingt zeitgenössische und, ja, mitreißende Sommelier Anton Sterly, er kommt wie Lintermans aus dem Grill Royal. Clemens Niedenthal

Wer das Fotografiska bereits jetzt kosten möchte: die Bakery, also das Tagescafé im Erdgeschoss hat bereist geöffnet. Im Februar folgt, als buchstäblich krönender Abschluss, eine Rooftop Bar.

  • Veronika im Fotografiska Berlin, Oranienburger Str. 54, Mitte

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Zur Eröffnung des Museums haben wir einen Überblick gegeben über das, was euch im Fotografiska erwartet. Feine Küche am Morgen: Wir waren im Kreuzberger Frühstück 3000. Definitiv over the top: Gal Ben Moshe spricht über The Pink Room. Noch mehr News und Empfehlungen aus der Berliner Gastro-Welt gibt es in der Rubrik Food. Weitere Highlights für Frühstück, Lunch und Dinner hat unser Gastro-Guide für Berlin: Die Speisekarte könnt ihr hier (vor-)bestellen.

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