Restaurants

Merold in Neukölln: Entdeckungshungriges Nachbarschaftslokal

Das Universum in einer Hirschbratwurst: Der junge Koch Jonas Merold erzählt mit seinem gleichnamigen Restaurant von der Zukunft der guten Küche als entdeckungshungriges Nachbarschaftslokal. Japanische Fermentationstechnik trifft hier auf brandenburgische Produktrecherche – und Fine Dining auf bezahlbare Kiezküche.

Japanische Fermentationstechnik, brandenburgische Produktrecherche: das Merold in Neukölln. Foto: Ralph Keller

Merold: Kulinarik mit Herz und Hirn

Jede gute Küche beginnt nicht mit dem Einkauf der Waren. Jede gute Küche beginnt bereits mit dem Ausbringen der Saat. Weshalb Jonas Merold, der Mann mit dem grünen Daumen und den lackierten Fingernägeln, in den vergangenen zwei Jahren bewusst etwas weniger in der Küche gestanden hatte. Stattdessen hatte er den Gemeinschaftsgarten im Hinterhof des Haus der Statistik am Alexanderplatz aufgebaut. Selbstgebaute Hochbeete aus Industriepaletten, Urban Gardening als eine Art soziale Installation. Einmal im Monat gab es ein mehrgängiges Dinner zum Selbstkostenpreis.

Diese beiden Ideen, das gutes Essen möglichst für alle sein sollte und kompromisslos saisonal und regional, die hat Jonas Merold auch mit in die Neuköllner Pannierstraße genommen, wo er seit dem vergangenen Herbst sein erstes eigenes Restaurant betreibt. Ein Speiselokal, das so heißt wie der junge Koch selbst: Merold. Und das in seiner Mischung aus robuster Handwerklichkeit, vollmundiger Aromentiefe und uneitler Gastfreundschaft eines der spannendsten und vor allem zeitgenössischsten Berliner Restaurants dieser Tage ist. Die Zukunft der guten Küche als entdeckungshungriges Nachbarschaftslokal.

Chef Jonas Merold: Ausbildung bei Tim Raue

Das Kochen hat Jonas Merold bei Tim Raue gelernt. Und noch einmal bei René Frank im Coda Dessert Dinning, dessen Produkttiefe und Kompromisslosigkeit ihn nachhaltig beeindruckt hat: „Die Konsequenz, einen Teller einfach nicht zu schicken, weil die Qualität der Roten Bete oder der Amalfizitronen an diesem Abend eben nicht gut genug war, kannte ich vorher noch nicht.“ 

Merold gefiel diese Unbedingtheit. Und doch haben ihm die Jahre in der Spitzen- und Sternegastronomie gezeigt, was er nicht wollte. Wie vor ihm schon Vadim Otto Ursus mit seinem Restaurant Otto in der Oderberger Straße, Prenzlauer Berg, steht Jonas Merold für eine Generation junger, hervorragend ausgebildeter Köch:innen, die vieles anders machen wollen als die Generationen vor ihnen. Weg von den Statusprodukten, den Hierarchien, ein Arbeiten auf Augenhöhe, sei es in der Küche oder mit den Landwirt:innen, mit denen sich Jonas Merold schon jetzt im Januar trifft, um die Saat zu planen.

Liebevoll drapiert und garantiert lecker: Die Vorspeisen im Merold. Foto: Ralph Keller

Wie diese Küche schmeckt? Über Nacht fermentiertes Tempeh, serviert auf einem nussigen Petersilienwurzelpüree, kombiniert mit sauer eingelegten, angebratenen Pilzen. Eine Hirschbratwurst auf Senfsaat und krossem Schwarzkohl. Ein zur Fischboulette verarbeiteter Karpfen aus dem Stechlin, mit Pastinake, Leinsaat und einem eineinhalb Jahre gereiftem Zitronen-Miso. 

Fernöstliche Fermentationstechniken, nahbrandenburgische Produktrecherche. Mit Paul Kaufmann hat Jonas Merold dabei einen Fementations-Nerd an seiner Seite, der frisch aus dem Kopenhagener Noma nach Berlin gekommen war. Eigentlich konnte sich der junge Gastronom so einen Experten gar nicht leisten, also hilft Kaufmann zudem im Service mit. Auch dieser Enthusiasmus und Tatenhunger sind es, die ein Restaurant wie das Merold so besonders machen. Man spürt eine Euphorie, die sich auch auf den Gastraum übertägt. Und schmeckt eine Küche, die sich nicht mehr entscheiden muss, ob sie nun Exzellenz oder Alltäglichkeit meint.

Im Sommer wird das Merold für zwei Monate schließen. Der Keller muss saniert werden, was während der Bauabnahme just vor der Eröffnung aufgefallen war. Bis dahin wird der Boden behelfsmäßig abgestützt. Und so wird Jonas Merold seine Zelte im Juli und August dort aufschlagen, von wo er jetzt schon seine Produkte bezieht, ein Pop-up-Restaurant auf dem Biohof Gut & Bösel in Alt Madlitz im Odervorland. From farm to Table, dann auch buchstäblich. Planen Sie schon mal einen Ausflug ein.


„Unterschätzt den Lauch nicht“

Jonas Merold erzählt in seinem Restaurant die Zukunft der guten Küche. Foto: Boisix

Jonas Merold über … Brandenburg

Das Bundesland mit dem wenigsten Regen, den meisten Sonnenstunden und ziemlich blöden Böden. Gerade deshalb finde ich Brandenburg so interessant, weil es schon jetzt zum Zukunftslabor für den Klimawandel taugt. Deswegen ist es auch so cool mit Landwirtschaften zusammenzuarbeiten, die bereits Bock haben, neue Produkte anzubauen, gewisse Maissorten etwa oder Auberginen. Es gibt inzwischen ja sogar schon Ingwer aus Brandenburg.

... Fine Dining

Fine Dining ist toll und macht richtig viel Spaß, ich war gerade erst im Nobelhart & Schmutzig essen. Gleichzeitig schließt es aber viele Menschen aus, längst nicht nur die, die sich so einen Abend schlicht nicht leisten können. Gewisse Menüs verlangen ein kulinarisches Grundverständnis, auch ein bestimmtes Faible für gastronomische Rituale. Wir wollen da ganz bewusst niederschwelliger und zugänglicher sein, auch wenn unsere Lieferanten und die Produktqualität durchaus die gleichen sind. Ich sehe uns dennoch als vor allem Kiezrestaurant, bei uns soll man auch mit 30 oder 40 Euro glücklich werden.

... alles vom Tier

Ist spannend, aufregend und toll, auch für die Mitarbeiter:innen in der Küche, weil man gezwungen wird, kreativer zu sein. Wir wechseln unsere Karte ja nicht täglich oder wöchentlich. Dadurch, dass wir aber Tiere im Ganzen verarbeiten, aktuell etwa einen Hirsch von Gut & Bösel, wird ein bestimmter Teller doch immer wieder anders, weil eben ein anderes Teil vom Tier verwendet werden muss. Wäre ja auch langweilig, jeden Abend nur das Filet zu braten. Ich habe keine Lust, mir nur die Prime Cuts auszusuchen und die Landwirtschaften mit dem Rest alleine zu lassen. 

… unterschätzte Produkte

Das klassischen Suppengemüse, unterschätzt nicht den Lauch. Wir hatten auf unserer ersten Karte beispielsweise einen Lauchgang: ein Produkt in drei unerschiedlichen Zubereitungsformen. Etwas ähnliches haben wir später auch mit Sellerie gemacht. Solche Teller müssen wir am Tisch natürlich erstmal erklären, aber wenn sich die Gäste mal darauf eingelassen haben, waren die meisten begeistert. Überhaupt wird Gemüse das Thema sein, das gerade die gehobene Küche in Zukunft nachhaltig verändert wird.

  • Merold Pannierstr. 24,  Neukölln, Di–Sa 18–23 Uhr, Tel. 62 73 32 10, www.restaurant-merold.de

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