Mit Audi hat die Berlinale einen zentralen Sponsor verloren. Das Filmfestival, das zu wichtigsten kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen des Jahres in Berlin gehört, stand schon vorher auf der Kippe. Kann es 2021 stattfinden? Eine Analyse von Bert Rebhandl.
Glück im Unglück: Berlinale war das letzte Filmfestival 2020
In diesem Frühjahr hätte es unter den Verantwortlichen der Berlinale gute Gründe gegeben, das eine oder andere Stoßgebet des Dankes an Wolf Donner in den Himmel über der Stadt zu schicken. Der kurzzeitige Festivaldirektor (von 1976 bis 1978) sorgte damals für eine entscheidende Veränderung. Er verlegte den Termin vom Juni in den Februar. 2020 führte dieser Umstand dazu, dass die Berlinale das letzte internationale Filmfestival war, das – wie wir rückblickend wegen Corona wohl annehmen müssen: mit viel Dusel – ohne Beeinträchtigungen stattfand, bevor die Krise Europa mehr oder weniger stilllegte.
Nun sind allerdings schon wieder einige Monate vergangen, und Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek müssen nach ihrem ersten unter ihrer gemeinsamen Leitung absolvierten Festival längst nach vorne schauen, denn der nächste Februar rückt näher – und die Aussichten, dass dann bereits wieder normale Umstände herrschen könnten, sind gering.
Dienstag wurde bekannt, dass mit Audi ein zentraler Sponsor die Berlinale nicht weiter unterstützen wird. Die Gründe für diese Entscheidung werden ebenso viel mit der Situation der Automobilindustrie wie mit der der Berlinale zu tun haben. Einen neuen Fahrzeugsponsor wird die Berlinale vermutlich wieder finden. Das ist auch nicht die größte Sorge.
Es geht um mehr als um Sponsoren wie Audi – es geht um das ganze Festival
Denn es geht mit Blick auf den Februar 2021 um Fragen, die an die Identität des Festivals rühren: Kein anderes A-Festival hat größere Dimensionen, was die Reichweite in die Stadt anlangt; rechnet man den winterlichen Termin mit 20.000 Fachbesucherinnen und 300.000 umgesetzten Kinokarten zusammen, dann bekommt man eben das Publikumsfestival, das Dieter Kosslick über die Jahre immer weiter aufgebläht hat. Man bekommt aber auch einen potentiellen Super Spread.
Vor diesem Hintergrund verblasst die Frage, ob in den Augen von Audi ausreichend Stars über den roten Teppich spaziert sind. Es geht um die Substanz einer sozialen Form: Selbst wer viel von dem Bohei des Festivals für verzichtbar hält, wird sich der Atmosphäre der vollen Foyers, der Besucher*innenströme zwischen den Kinos, der langen Diskussionen nicht entziehen können.
Das „physische Festival“ ist momentan nur eine vage Absichtserklärung
Dass die Berlinale 2021 als „physisches Festival“ stattfinden soll, wie Mariette Rissenbeek erklärt hat, kann im Moment nicht mehr als eine vage Absichtserklärung sein, die mit Leben und einem „Hygienekonzept“ zu füllen die spannende Aufgabe der nächsten Monate sein wird. Dahinter aber steht eine Frage, die unabhängig von Corona auf die Berlinale und ihre immer noch neue Leitung zugekommen wäre: Wie kommt man von dem Jahrmarkt der Kosslick-Ära zu einer konzentrierteren Form, ohne dieses schöne Festivalgefühl aus kommunikativer Betriebsamkeit und cinephiler Erotik einzubüßen?
Darüber wird letztlich nicht in den Chefetagen der Sponsoren, aber auch nicht in den Impfstofflaboren entschieden, sondern von einer Festivalleitung, die sich im Moment aber vermutlich nebenbei auch fragen wird, ob denn in den nächsten Monaten überhaupt genügend Filme fertig werden, um alle Sektionen gut zu füllen.
Mehr zum Thema Kino
Inzwischen haben die meisten Freiluftkinos in Berlin wieder geöffnet – wir haben das ein Programm. Jede Woche verraten wir euch, welches die wichtigsten Filmstarts sind – damit ihr in die richtigen Filme geht.