Berlinale 2024

„A Different Man“: Schocker, Komödie, Gratwanderung

Aaron Schimberg schickt seinen Film „A Different Man“ ins Rennen um den Goldenen Bären. Seine Hauptfigur Edward Lemuel ist entstellt, nach einer Schönheitsoperation nimmt dessen Leben eine unerwartete Wendung. Es geht ums Spiel mit Authentizität, um verzerrte Perspektiven und darum, was es heißt, man selbst zu sein. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl befindet in seiner Rezension: eine Bereicherung für den Wettbewerb!

„A Different Man“ von Aaron Schimberg mit Sebastian Stan, Renate Reinsve und Adam Pearson. Foto: Faces Off LLC

„A Different Man“: Ist er jetzt mehr er selbst als zuvor?

Die Schöne und das Monster: ein romantisches Motiv, das wir in vielfachen Variationen kennen. Der amerikanische Regisseur Aaron Schimberg arbeitet immer wieder mit dieser Konstellation, so schon 2018 mit „Chained for Life“. Nun legt er mit „A Different Man“ nach. Der „Man“, mit dem die Sache beginnt, heißt Edward Lemuel (Sebastian Stan). Er ist nicht einfach hässlich, sein Gesicht ist auf eine groteske Weise entstellt, er ist ein Elefantenmensch, aber der trug Binden und versteckte sich dahinter.

Edward hingegen fährt ganz normal U-Bahn, er erträgt die Blicke der Mitmenschen, lebt ein relativ normales Leben, er versucht sogar, aus seiner Besonderheit etwas zu machen und spielt einschlägige Rollen. Nicht wirklich in Spielfilmen, aber in sozialpädagogischen Clips.

Als neben ihm die junge Skandinavierin Ingrid (Renate Reinsve) einzieht, wird die Sache spannend. Denn sie möchte ein Stück schreiben, und ein Mann wie Edward erscheint ihr ein attraktives Thema. Der hat allerdings in der Zwischenzeit eine experimentelle Therapie begonnen, die ihn von seinem Los als Monster erlösen soll. Und tatsächlich verändert er sich so stark, dass er schließlich als das erscheint, was der Filmtitel verspricht: „A Different Man“. Ein normal aussehender Mann. Ist er jetzt mehr er selbst als zuvor? Oder weiß er gar nicht mehr, wer er ist?

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Schimberg holt wirklich jede erdenkliche Volte heraus

Aaron Schimberg arbeitet diese unlösbaren Paradoxa des Selbstseins dann vielleicht ein bisschen weitschweifig, im Grunde aber einfach bis zur letzten Konsequenz durch: Denn das Spiel mit Maske und Authentizität ist dem Kino, mehr noch sogar dem Theater nun einmal eingeschrieben. Und Schimberg holt aus diesen Aspekten wirklich jede erdenkliche Volte heraus. Vor allem, indem er Edward einen unvermuteten Doppelgänger beigesellt, der zufällig bei den Proben zu dem Stück hereinschneit, in dem die ein wenig naive Ingrid ihre Geschichte von und mit Edward zu erzählen versucht.

Sebastian Stan in „A Different Man“. Foto: Faces Off LLC

Oskar sieht nicht minder schockierend aus als der (frühere) Edward, aber er ist das, was man im Englischen einen „ham“ nennt: ein weltgewandter, draufgängerischer Typ, der sofort zu einer Konkurrenz wird. Dabei sieht er doch schrecklich aus, während Edward nun ein properer New Yorker ist, wie man ihn sich vorstellt.

„A Different Man“ bereichert den Berlinale-Wettbewerb

Man spürt förmlich die Lust, mit der Schimberg an jeder Schraube seiner Versuchsanordnung dreht, und er schlägt auch jede Menge Funken daraus: halb Schocker, halb weirde Komödie, ist „A Different Man“ jederzeit eine Gratwanderung, dabei auf eine Weise inszeniert, die alles in beengte Sets und verzerrte Perspektiven zwängt. Das amerikanische Kultstudio A24 überzeugt inzwischen seit Jahren mit einem Überraschungsei nach dem anderen: „A Different Man“ dürfte unter normalen Umständen nur wenig Chancen auf einen Goldenen Bären haben, eine Bereicherung des Wettbewerbs ist der Film aber allemal.


Auch bei der Berlinale 2024 spekulieren wir beim tipBerlin: Unser Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. Im Fall von „A Different Man“ sieht es, wie gesagt, nicht so aussichtsreich aus. Wir sagen: 30 Prozent. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


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