Berlinale 2024

„Black Tea“: Herausragende Romanze mit Hindernissen

Im Film „Black Tea“ von Abderrahmane Sissako ist Politik allgegenwärtig, aber bleibt im Hintergrund. Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen China und der Elfenbeinküste. tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl schreibt, die Romanze gehöre zum Schönsten, das man zuletzt im Kino sehen konnte. Die Rezension zu einem Film, der sowohl Bärenfavorit als auch Publikumsliebling sein könnte.

„Black Tea“ ist einer der herausragenden Filme im Berlinale-Wettbewerb 2024. In den Hauptrollen: Han Chang und Nina Mélo. Foto: Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision
„Black Tea“ ist einer der herausragenden Filme im Berlinale-Wettbewerb 2024. In den Hauptrollen: Han Chang und Nina Mélo. Foto: Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision

„Black Tea“ von Abderrahmane Sissako: Umweg zum Glück

Wenn Menschen vor ihrer Heirat stehen, wissen sie in der Regel schon, dass sie dort laut und deutlich „ja“ sagen werden: ja zu dem erwählten Partner, ja zu einer gemeinsamen Zukunft. Während des Rituals ist wirklich nicht mehr Zeit, noch einmal genau nachzudenken. Aber natürlich gibt es auch für diese nicht ganz alltägliche Situation längst ein ganzes Genre von verhinderten, verschobenen, umgeplanten Hochzeiten. So ein „ja“ will eben wirklich gut überlegt sein, und manchmal kommt die Erleuchtung spät.

„Black Tea“ von Abderrahmane Sissako beginnt mit einer Hochzeitsszene. Die Gäste sind alle da, der Standesbeamte ist bereit, die Dekoration ist kitschig, wie es sich für den Anlass gehört. Nur die wichtigste Person zögert. Aya ist die Braut, die sich nicht traut. Sie nimmt stattdessen einen langen Umweg zum Glück.

Dieser Umweg ist die Geschichte des Films „Black Tea“. Denn ohne großen Übergang sehen wir sie nun in China, in der südlichen Stadt Guangzhou. Sie lebt dort in einer Welt, in der viele kleine Läden zu einer intimen Shopping Mall zusammengewachsen sind. Aya arbeitet in einem Teegeschäft. Sie spricht überraschend gut Mandarin, sie hat sich eingelebt. Mit ihrem Chef verbindet sie mindestens eine Freundschaft, und natürlich auch die gemeinsame Liebe zum Tee.

„Black Tea“ erzählt eine Liebesgeschichte zwischen China und Afrika, im Hintergrund geht es immer auch um Politik. Foto: Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision

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Aya und Cai sind ein unwahrscheinliches Paar. Aber sie sind zugleich auch ein naheliegendes Paar. Denn China und Afrika unterhalten vielfache Beziehungen, da liegt es doch nahe, dass Menschen sich auch privat näherkommen. Allerdings sind die Beziehungen nicht immer konfliktfrei: Rassismus ist in China stark verbreitet, bei den Wirtschaftsbeziehungen geht es um Weltmachtpolitik und nicht um Völkerfreundschaft.

„Black Tea“ hat etwas von der Traumatmosphäre des großen Studiokinos

Abderrahmane Sissako weiß das alles, aber ihm geht es um eine positive Utopie: „Black Tea“ hat etwas von der Traumatmosphäre des großen Studiokinos. Die Kultur des Tees, die auf jahrhundertealtem Wissen und auf Plantagen in wunderschönen Landschaften beruht, ist so etwas wie eine moderne Religion, auf die sich ein Mann aus China und eine Frau aus der Elfenbeinküste einigen können. Je mehr Aya und Cai einander näherkommen, desto deutlicher wird auch eine lange Geschichte der Beziehungen zwischen China und Afrika erkennbar. Politik ist allgegenwärtig in „Black Tea“, aber sie bleibt im Hintergrund. Im Vordergrund sehen wir eine fast schon zeremonielle, äußerst subtil inszenierte Romanze mit Hindernissen, die zum Schönsten gehört, das man zuletzt im Kino sehen konnte.

Der Regisseur stammt ursprünglich aus Mauretanien, er hat seinerzeit in Moskau noch in der Sowjetunion Film studiert. „Das Weltgericht von Bamako“ (2006) ist ein zentrales Werk des panafrikanischen Kinos. 2014 war Sissako mit „Timbuktu“ im Wettbewerb von Cannes. Dass „Black Tea“ nun in Berlin läuft, kann als eine Überraschung gewertet werden – und zeugt davon, dass es bei der Berlinale durchaus auch große Namen des Autorenkinos geben kann. Zum Favoritenkreis um die diesjährige Bären-Entscheidung ist der Film auf jeden Fall zu zählen. Und das Zeug zum Publikumsliebling hat er auch.


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir, wer im Wettbewerb gut abschneiden wird. Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. „Black Tea“ hat gute Chancen: 80 Prozent. Wer ist noch Favorit? zum Beispiel der iranische Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), das starke deutsch-französische Generationenporträt „Langue Étrangère“ von Claire Burger, die harte historische Tragödie „Des Teufels Bad (The Devil’s Bath)“ mit Anja Plaschg oder „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


Mehr zur Berlinale 2024

Wir berichten vom Berlinale-Wettbewerb 2024: Alle Filme im Überblick. Rasant, aber auch gut? „La Cocina“ in der Filmkritik. Hohes Niveau – bis zur Hälfte jedenfalls: Unsere Rezension zu „Sterben“ mit Lars Eidinger und Corinna Harfouch lest ihr hier. Das Monumentale liegt dem Dokumentaristen Victor Kossakovsky – Rezension zu seinem Film „Architecton“. Auch jenseits vom Wettbewerb 2024 sind die Filmfestspiele spannend, unter anderem wegen grandioser Filme wie dem Coming-of-Age-Drama „Ellbogen“. Und manches liegt uns besonders am Herzen: Hier sind 15 Filmtipps aus den anderen Sektionen der Berlinale 2024. Das Wichtigste zum Berlinale-Programm auf einen Blick. Und damit ihr nicht leer ausgeht: Über alles Wichtige zum Berlinale-Ticketkauf – wo, wann, wie teuer – halten wir euch auf dem Laufenden. Hungrig geworden? Wir empfehlen Restaurants rund um die Berlinale-Spielorte in der City West. Und auch hier haben wir Tipps: Restaurants rund um den Potsdamer Platz. Alle Texte zum internationalen Filmfestival in der Hauptstadt findet ihr auf unserer Themenseite zur Berlinale 2024

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