Goldener Bär 2024

Dokumentarfilm „Dahomey“: Ein Hauch von mysteriösem Unbehagen

In „Dahomey“ geht es um die Restitution von Kulturgütern und die Überwindung des Kolonialismus. Mati Diop, bekannt durch ihre Regie bei „Atlantique“, kommt mit einem Dokumentarfilm zur Berlinale – und gewinnt damit den Goldenen Bären 2024. tipBerlin-Kritikerin Pamela Jahn hat diesen ungewöhnlichen und faszinierenden Wettbewerbsbeitrag gesehen, der eine enorme Kraft entfaltet.

Die Dokumentation „Dahomey“ ist 2024 im Berlinale-Wettbewerb zu sehen. Foto: Les Films du Bal/Fanta Sy
Die Dokumentation „Dahomey“ ist 2024 im Berlinale-Wettbewerb zu sehen. Foto: Les Films du Bal/Fanta Sy

„Dahomey“: Eine akribisch dokumentierte Rückführung nach Benin

130 Jahre Gefangenschaft sind eine lange Zeit. Jetzt stehen die Häftlinge stolz im Raum, unversehrt zwar, aber bereit, endlich ihre Heimreise anzutreten. In schweren Holzkisten werden sie abtransportiert. Was bleibt, sind die leeren Glasvitrinen im Pariser Museum Quai Branly, in denen sie jahrelang zur Schau gestellt wurden. In einem fremden Land, das sich die Kunstschätze zu Kolonialzeiten unrechtmäßig angeeignet hatte. 

Gefangene, das impliziert Mati Diop in ihrem „Dahomey“, waren die 26 Artefakte, die im November 2021 von Frankreich an ihr afrikanisches Herkunftsland, das heutige Benin, zurückgegeben wurden. Die französisch-senegalesische Regisseurin hat ihre Rückführung akribisch dokumentiert. Sie filmt, wie die Königsstatuen und andere Kunstgegenstände in einem historischen Staatsakt übergeben werden. Sie zeigt, die Freude der Bevölkerung auf den Straßen von Abomey, der Hauptstadt des ehemaligen Königreichs Dahomey. 

Auf den Bildern liegt eine Schwere

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Diop und ihr Kameramann Josephine Drouin Viallard verfolgen mit unaufdringlichem, aber forensischem Interesse, wie etwa eine hölzerne Statue von König Gezo, der Mitte des 18. Jahrhunderts in Dahomey regierte, mit großer Sorgfalt für den Transport vorbereitet wird. Als seine Kiste geschlossen und der Deckel vernagelt wird, bleibt die Leinwand schwarz. Überhaupt liegt eine Schwere auf den Bildern im ersten Teil dieses faszinierenden filmischen Hybrids. Diop lässt die Kunstwerke sprechen. Was sie zu sagen haben, gibt Aufschluss über die Ungeheuerlichkeit, die hinter ihrer Geschichte steckt.

„Warum haben sie mir keinen Namen gegeben?“, beschwert sich der ehemalige König aus dem Off. Er wird als Nummer 26 nach Benin überführt. Die Worte, die Diop für ihn findet, sitzen tief. Und sie verleihen dem ganzen Film einen Hauch von mysteriösem Unbehagen, der auch die freudige Ankunft im Heimatland noch überschattet, wo eine Parade die zurückkehrenden Artefakte begrüßt.

„Dahomey“ zeigt Studierende und deren Hoffnung und Wut

Im letzten Teil des Films, einer Universitätsdebatte in einem großen Saal, klingen viele der gegensätzlichen Meinigen und Ansichten zu den Problemen an, die der Akt der Rückgabe auf kultureller, gesellschaftlicher und politischer Ebene aufwirft. Ein von Diop klug inszenierter Schachzug, der sich aber mit spontaner Authentizität entfaltet, aus den Argumenten der Student:innen sprechen Hoffnung, Enttäuschung und Wut. 

„Dahomey“ zeigt nicht nur den Weg der Kunstwerke zurück nach Benin, sondern auch Studierende und deren Debatten.  Les Films du Bal - Fanta Sy
„Dahomey“ zeigt nicht nur den Weg der Kunstwerke zurück nach Benin, sondern auch Studierende und deren Debatten. Les Films du Bal – Fanta Sy

Die komplexen Zusammenhänge, die in der relativ kurzen Laufzeit dieses besonderen Wettbewerbsbeitrags angerissen werden, kann Diop in so kurzer Zeit nicht klären, aber das will sie auch nicht. Ihr Film entfaltet dennoch eine enorme Kraft, die dem Thema in jedem Moment gerecht wird und zu Weiterführung der Debatte anregt. 


Beim Berlinale-Wettbewerb 2024 spekulieren wir wieder: Unser tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. „Dahomey“ steht bei 70 Prozent, aber andere Filme haben auch gute Chancen: etwa der iranische Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake), der Berlinale-Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ oder „In Liebe, Eure Hilde“ mit Liv Lisa Fries.


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