Berlinale 2024

„Vogter (Sons)“: Psychothriller im dänischen Gefängnis

„Vogter“, internationaler Titel „Sons“, so heißt der neue Film von Gustav Möller. Im 4:3-Bildformat wird die Enge des Gefängnisses unterstrichen, in dem der Thriller spielt. Getragen wird er von der Hauptdarstellerin Sidse Babett Knudsen. tipBerlin-Filmkritiker Frank Arnold hat den Berlinale-Wettbewerbsbeitrag gesehen.

„Vogter (Sons)“ von Gustav Möller mit Sidse Babett Knudsen läuft im Wettbewerb der Berlinale 2024. Foto: Nikolaj Moeller

„Vogter (Sons)“: Im Block für die besonders gefährlichen Verbrecher

Jeden der Strafgefangen begrüßt die Vollzugsbeamtin Eva morgens mit seinem Namen, wenn sie die Zelle aufsperrt und ihn weckt. Älter als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen, wirkt sie wie eine Ausnahmeerscheinung in diesem dänischen Knast, eine Person voll mütterlicher Zugeneigtheit.  Der Blick des Zuschauers auf sie ändert sich allerdings, als ihr auf dem Monitor ein Neuzugang unter den Insassen auffällt und sie ein großes Interesse an ihm entwickelt. Sie lässt sich sogar in jenen Block versetzen, in dem Mikkel eingesperrt ist. Es ist der Block für die besonders gefährlichen Verbrecher.

Der Zuschauer ahnt, es gibt ein Ereignis in der Vergangenheit, das die beiden verbindet. Aus der Distanz wird er Zeuge eines Katz-und-Maus-Spiels. Für Mikkel, der als impulsiv gezeichnet wird, mag er kaum Sympathien aufbringen, während die anfänglichen Sympathien für Eva, aus deren Perspektive der Film erzählt ist, durch ihr Handeln immer wieder in Frage gestellt werden.

Nur einmal verlässt der Film den Gefängnis-Schauplatz

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Was genau hat sie vor? Der naheliegende Gedanke: Sie will sich für etwas rächen. Ein gewalttätiger Moment scheint das zu bestätigen. Nach einer Anhörung wird Eva zwar entlastet, aber nun dreht ihr vermeintliches Opfer den Spieß um und beginnt sie zu erpressen. Noch ein zweites Mal wird Gewalt eskalieren, bei einem Freigang, der einzigen Sequenz, für die der Film seinen Schauplatz verlässt, ansonsten die Enge des Gefängnisses durch das gewählte 4:3-Format unterstreichend.

Regisseur Gustav Möller hinterließ bleibenden Eindruck mit seinem Regiedebüt „The Guilty“ (2018) – praktisch ein Ein-Personen-Stück, in Echtzeit erzählt, in dem ein Polizist in der Notrufzentrale einen verstörenden Anruf entgegennimmt: Eine Frau erzählt, sie sei entführt worden – bis das Geschehen am Ende eine überraschende Wendung nimmt. Wenn man diesen Film noch im Kopf hat, stellt man sich hier darauf ein, dass nicht alles so ist, wie es am Anfang scheint.

Jenseits der wohldosierten Spannungssteigerung war „The Guilty“ aber auch mehr: die „Charakterstudie eines Menschen, der etwas gutmachen will“, nannte ihn eine Kritik damals. Das lässt sich ähnlich auch über „Vogter“ sagen, dessen Titel, übersetzt „Söhne“, schon einen Hinweis liefert.

Gustav Möller hat einen Film über Vergebung gemacht

Eva ist am Ende eben nicht der eiskalte Racheengel, als der sie manchmal erscheint. Nach dem ersten Gewaltausbruch gegenüber Mikkel blickt sie auf ein Kreuz und sucht das Gespräch mit dem Gefängnisgeistlichen, nach dem zweiten blickt sie gen Himmel: „Vogter (Sons)“ ist ein Film über die Suche nach Vergebung. Getragen wird er von der Darstellerin Sidse Babett Knudsen, hierzulande vor allem bekannt durch die Rolle der dänischen Ministerpräsidentin, die sie in der Serie „Borgen“ verkörperte. In ihr findet der Film sein emotionales Zentrum, während ihr Gegenspieler eher funktional bleibt und auch Dar Salim (in den Credits an dritter Stelle gelistet) als ihr Kollege hier nichts von den Qualitäten entfalten kann, die er als Gast in den ersten Folgen um die neuen Bremer Tatortkommissarinnen zeigen durfte.  


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir, wer im Wettbewerb gut abschneiden wird. Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. „Vogter (Sons)“ steht für uns bei 30 Prozent. Wer sind die Favoriten? Zum Beispiel der iranische Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), die herausragende Romanze „Black Tea“ (hier die Filmrezension), das starke deutsch-französische Generationenporträt „Langue Étrangère“ von Claire Burger, die harte historische Tragödie „Des Teufels Bad (The Devil’s Bath)“ mit Anja Plaschg oder „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries.


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