Berlinale 2024

„Des Teufels Bad“ mit Anja Plaschg: Katholische Terrorherrschaft

Das österreichische Duo Veronika Franz und Severin Fiala nimmt mit einem herausragenden Film am Berlinale-Wettbewerb teil: „Des Teufels Bad“, internationaler Titel „The Devil’s Bath“, erzählt von Depression und Suizid im 18. Jahrhundert, in einer Gegend, in der die rigide Sexualmoral des Katholizismus tonangebend ist – und das Verhängnis seinen Lauf nimmt. In der Hauptrolle: Anja Plaschg (Soap&Skin), die auch den Soundtrack beisteuert. Alexandra Seitz hat die harte historische Tragödie gesehen.

Anja Plaschg spielt die Hauptrolle in „Des Teufels Bad“. Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm
Anja Plaschg spielt die Hauptrolle in „Des Teufels Bad“. Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

„Des Teufels Bad“: Österreich in Zeiten von Aberglaube und Religiosität

Angesiedelt ist das Geschehen 1750 in Oberösterreich. Agnes heiratet den Fischer Wolf. Das Haus, in das sie mit ihm einzieht, ist duster und klamm, tief und dunkel steht dahinter der Wald. Von ihrem Bruder bekommt Agnes zur Hochzeit den Finger einer kürzlich hingerichteten Kindsmörderin geschenkt; so ein Finger soll Glück bringen bei der Empfängnis. Agnes freut sich schon auf das für sie vorgesehene Leben als gute Ehefrau und dann bald Mutter.

Aber es läuft nicht, wie es sich gehören würde. Ihr Mann weiß rein gar nichts mit ihr anzufangen, die Schwiegermutter mischt sich ein, räumt in der Küche herum, maßregelt und ermahnt. Heutzutage würde man sich idealerweise gemeinsam an den Tisch setzen und reden über das, was schief läuft und im Argen liegt. Damals war ein innerer Zustand, eine irritierende Befindlichkeit, nichts, das sich komplex hätte erfassen, geschweige denn verbalisieren lassen. Im Zweifelsfall war der Mensch, der sich von der Gemeinschaft absonderte, besessen, denn an der Stelle von Psychologie standen, eng miteinander verzahnt, Aberglaube und Religiosität.

„Des Teufels Bad“: Anja Plaschg verkörpert die Figur in ihrer ganzen ratlosen Verzweiflung

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Er sei in „des Teufels Bad“ gefangen: Mit diesem Ausdruck, der der starken, harten historischen Tragödie den Titel gibt, die das österreichische Gespann Veronika Franz und Severin Fiala zum Berlinale-Wettbewerb beisteuern, wurden seinerzeit melancholische Menschen bezeichnet. Die Moderne kennt die Melancholie als Depression und weiß, dass es sich dabei um eine böse psychische Erkrankung mit durchaus physischen Folgen handelt.

In die Depression stürzt nun Agnes und weiß sich nicht zu helfen, die anderen stehen ratlos, und das Verhängnis nimmt ungebremsten Verlauf. Franz/Fiala schlittern mit in den Abgrund, weichen Agnes nicht von der Seite, die wiederum von Anja Plaschg – die in ihrer Musikerinnen-Identität als Soap&Skin auch für die aufwühlende Filmmusik sorgt – mit unbedingter Solidarität und in ihrer ganzen ratlosen Verzweiflung verkörpert wird.

Die Geschichte fußt im Übrigen auf neueren Erkenntnissen zum historischen Phänomen des sogenannten „mittelbaren Selbstmords“, bei dem die des Lebens müde Person einen Mord begeht und gesteht, in der Beichte bereut und ihrer Sünden absolutiert wird, um schließlich hingerichtet zu werden und solcherart jener Hölle zu entgehen, die dem Selbstmöder sicher ist. 

„Des Teufels Bad“: Ausweg aus der Hölle? Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

„Des Teufels Bad“ erinnert nicht von ungefähr an Robert Eggers „The Witch“ (2015), der gleichermaßen von historischem Material ausgehend, nur ein Jahrhundert früher, aus der magischen Weltwahrnehmung den Horror der freidrehenden Psyche schälte. Und auch zum diesjährigen Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ gesellt sich Franz‘/Fialas Brocken als ein flankierendes oder Komplementärstück zum Thema Terrorherrschaft des Katholizismus und dessen rigider Sexualmoral. Sagen wir mal so: Es wird ordentlich eingeschenkt.


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir, wer im Wettbewerb gut abschneiden wird. Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. Bei „Des Teufels Bad“ steht es gut, wir sagen: 80 Prozent. Aber auch andere Filme haben gute Chancen: zum Beispiel der iranische Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), das starke deutsch-französische Generationenporträt „Langue Étrangère“ von Claire Burger oder „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


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