Berlinale 2024

„Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“: Etwas zu gut, etwas zu glatt

„Mé el Aïn“, internationaler Titel Who Do I Belong To“, so heißt der Berlinale-Wettbewerbsbeitrag von Meryam Joobeur, die damit an einen oscarnominierten Kurzfilm anknüpft. Es geht um ein Dorf in Tunesien, um Brüder, die in den Krieg ziehen, und um eine geheimnisvolle Frau mit seherischer Gabe. tipBerlin-Filmkritiker Michael Meyns meint in seiner Rezension: Es passt alles zusammen, aber vielleicht etwas zu gut und zu glatt.

„Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“ von Meryam Joobeur läuft im Wettbewerb der Berlinale 2024. Foto: Tanit Films, Midi La Nuit, Instinct Bleu

Mé el Aïn (Who Do I Belong To): Eine Frage, bewusst ohne Fragezeichen

Ein Hauch von magischem Realismus zieht sich durch „Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“, dem Debütfilm von Meryam Joobeur, einer in Tunesien geboren Regisseurin, die jedoch seit langem in Kanada lebt, wo sie auch studierte. Zum Filmemachen kehrte Joobeur in ihre Heimat zurück, vor einigen Jahren entstand dort der Kurzfilm „Brotherhood“, für den sie für den Oscar nominiert war. Aus dieser Arbeit entwickelte sich dieses Langfilmprojekt, das ursprünglich „Motherhood“ heißen sollte, nun im Original „Mé el Aïn“ heißt, mit dem internationalen Titel „Who Do I Belong To“, eine Frage, aber bewusst ohne Fragezeichen.

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Die Brüder aus dem Kurzfilm spielen erneut mit, diesmal nehmen sie allerdings eher die Rollen von Söhnen ein, um die der Vater Brahim (Mohamed Hassine Grayaa) vor allem aber die Mutter Aïcha (Salha Nasraoui) besorgt sind. Im kargen Norden Tunesiens lebt die Familie in einfachen Verhältnissen auf einem Bauernhof, umgeben von Ausläufern der Wüste, aber auch unweit des Meeres, wo in den Dünen leuchtend rote Blumen mit dem ausgebleichten Braun und Gelb des Bodens kontrastieren.

Salha Nasraoui spielt die Rolle der mysteriösen Aïcha in „Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“. Foto: Tanit Films, Midi La Nuit, Instinct Bleu
Salha Nasraoui spielt die Rolle der mysteriösen Aïcha in „Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“. Foto: Tanit Films, Midi La Nuit, Instinct Bleu

Die Brüder kämpfen in Syrien für den IS

Während der jüngste Sohn Adam (Rayen Mechergui) zu Hause die Tiere hütet, sind seine älteren Brüder Mehdi (Malek Mechergui) und Amine (Chaker Mechergui) in den Krieg gezogen. In Syrien haben sie sich dem IS angeschlossen, was allein schon Grund genug zur Sorge wäre, doch Aïcha hat zudem eine seherische Gabe. Immer wieder hat sie Visionen, die vom Schicksal der Söhne und der Dorfgemeinschaft erzählen, vielleicht auch warnen. Und dann kehrt Mehdi plötzlich zurück, begleitet von einer Frau namens Reem (Dea Liane), die nicht spricht und nie ihren Niqab, den Gesichtsschleier, ablegt.

Mé el Aïn (Who Do I Belong To): Wie für den internationalen Festival-Zirkus gemacht

„Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“ mit Rayen Mechergui. Foto: Tanit Films, Midi La Nuit, Instinct Bleu

Ein Film, der gleichermaßen aus Tunesien stammt, aber doch auch von außen, der mit traditionellen Motiven arbeitet, aber auch von einem Blick geprägt ist, der westlich wirkt. Man spürt, dass Meryam Joobeur westlich sozialisiert ist, von westlichen Erzählformen geprägt erzählt, vielleicht auch, zumindest unterbewusst westliche Erwartung an einen Film aus der arabischen Welt zu erfüllen sucht. Wie für den internationalen Festival-Zirkus gemacht wirkt „Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“ dadurch, spielt nicht etwa in einer pulsierenden Metropole wie Tunis, sondern auf dem Land, wo die Tradition noch viel sichtbarer sind, die Kostüme hübsch bunt, das Leben schlicht. Dazu das Thema islamistischer Terrorismus, das den losen Hintergrund einer leicht mystischen, von Aïchas Visionen geprägten Familiengeschichte abgibt.

Das passt zwar alles zusammen, vielleicht aber auch etwas zu gut, zu glatt. Am Ende wirkt „Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“ wie der Debütfilm, der er ist, ein kontrolliertes Werk, das irgendwo zwischen den Kulturen und Welten existiert und ein wenig zwischen den Stühlen sitzt. 


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir, wer im Wettbewerb gut abschneiden wird. Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. „Mé el Aïn (Who Do I Belong To)“ steht für uns bei 30 Prozent. Wer sind die Favoriten? Zum Beispiel der iranische Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), die herausragende Romanze „Black Tea“ (hier die Filmrezension), das starke deutsch-französische Generationenporträt „Langue Étrangère“ von Claire Burger, die harte historische Tragödie „Des Teufels Bad (The Devil’s Bath)“ mit Anja Plaschg oder „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries.


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Wir berichten vom Berlinale-Wettbewerb 2024: Alle Filme im Überblick. Rasant, aber auch gut? „La Cocina“ in der Filmkritik. Hohes Niveau – bis zur Hälfte jedenfalls: Unsere Rezension zu „Sterben“ mit Lars Eidinger und Corinna Harfouch lest ihr hier. Das Monumentale liegt dem Dokumentaristen Victor Kossakovsky – Rezension zu seinem Film „Architecton“. Auch jenseits vom Wettbewerb 2024 sind die Filmfestspiele spannend, unter anderem wegen grandioser Filme wie dem Coming-of-Age-Drama „Ellbogen“. Und manches liegt uns besonders am Herzen: Hier sind 15 Filmtipps aus den anderen Sektionen der Berlinale 2024. Das Wichtigste zum Berlinale-Programm auf einen Blick. Und damit ihr nicht leer ausgeht: Über alles Wichtige zum Berlinale-Ticketkauf – wo, wann, wie teuer – halten wir euch auf dem Laufenden. Hungrig geworden? Wir empfehlen Restaurants rund um die Berlinale-Spielorte in der City West. Und auch hier haben wir Tipps: Restaurants rund um den Potsdamer Platz. Alle Texte zum internationalen Filmfestival in der Hauptstadt findet ihr auf unserer Themenseite zur Berlinale 2024

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