Berlinale 2024

„Gloria!“: Echte Girl-Power sieht anders aus

„Gloria!“ läuft im Wettbewerb der Berlinale 2024. Das Regiedebüt der Italienerin Margherita Vicario spielt um 1800 in Italien, an einem Musikinstitut wird eifrig komponiert, denn der Papst kommt zu Besuch – und ein Dienstmädchen entdeckt sein musikalisches Talent. Die beschwingte Komödie hat Charme, aber trägt zu dick auf und ist zu seicht, schreibt tipBerlin-Kritikerin Pamela Jahn in ihrer Rezension.

„Gloria!“ von Margherita Vicario läuft im Berlinale-Wettbewerb. Im Bild: Veronica Lucchesi, Galatéa Bellugi, Maria Vittoria Dallasta. Foto: tempesta srl

„Gloria!“ wirkt wie ein Märchen aus einer anderen Zeit

Hier spielt die Musik! Das ist die Devise der italienischen Regisseurin Margherita Vicario, die sich in ihrer Heimat bislang als Schauspielerin und Singer-Songwriterin einen Namen gemacht hat. Ihr Regiedebüt folgt von Beginn an einer einschlägigen Melodie: Kleider und Töpfe werden im Takt gewaschen, der Hof in rhythmischen Bewegungen gefegt. Auch in der Küche ist jeder Messerschnitt abgestimmt; selbst eine Magd, die niesen muss, fügt sich harmonisch in die Komposition.

„Gloria!“, das wird schnell klar, ist voller Musik und jugendlichem Charme. Vicarios Spielfilmdebüt wirkt wie ein Märchen aus einer anderen Zeit. Allerdings wird hier nicht nur klassische Kammermusik gespielt. Die Regisseurin setzt auch Jazz- und Pop-Elemente ein, um ihrer Geschichte den nötigen Schwung zu geben. Sie spielt um 1800 in einem von der Kirche betriebenen Musikinstitut in der Nähe von Venedig. 

„Gloria!“ mit Galatéa Bellugi in der Hauptrolle: Sie entpuppt sich als begabte Musikerin. Foto: tempesta srl

Im Zentrum steht Teresa (Galatea Bellugi), ein scheinbar stummes Dienstmädchen, das in der heruntergekommenen Klosterschule die niedrigsten Arbeiten zu verrichten hat. Sie ist das Aschenputtel im Haus, ein gütiges Geschöpf, das vor allem von der gehässigen, aber musikalisch begabten Lucia (Carlotta Gamba) herumkommandiert wird. Aber auch der alte Kapellmeister Perlina (Paolo Rossi) von Sant’Ignazio schikaniert die Magd, wann immer sich die Gelegenheit bietet. 

Noch dazu ist der mürrische musikalische Priester gestresst, weil der neue Papst, Pius VII., das Kloster besuchen wird, und er für diesen Anlass eine neue Partitur schreiben soll. Doch Perlinas künstlerisches Genie ist schon seit längerem erschöpft. Lucia (Carlotta Gamba) könnte ihm beim Komponieren helfen, aber der zänkische Maestro zieht es vor, sich auf anderen Wegen helfen zu lassen. Als Teresa im Keller schließlich über ein Klavier stolpert und die Musik zu spielen beginnt, die sie im Kopf hat, ist der weitere Verlauf dieser beschwingten Komödie gewissermaßen vorprogrammiert. 

So glorreich wie der Titel ist Vicarios Film „Gloria!“ nicht

So glorreich, wie es der Titel verspricht, ist Vicarios Film jedoch keineswegs. Die Frauenfiguren sind im Drehbuch von Vicario und Anita Rivaroli zwar ansatzweise fein herausgearbeitet, aber ihre traurigen Vorgeschichten sind mit den üblichen Klischees belegt. Zudem steuert die Geschichte unweigerlich auf ein großes Finale in Anwesenheit des Papstes zu, das alle dramatischen und musikalischen Erwartungen sprengen will, und dabei viel zu dick aufträgt. Wie es „Gloria!“ in den diesjährigen Wettbewerb geschafft hat, sei dahingestellt. Echte Girl-Power, wie sie Vicario vermitteln will, sieht jedenfalls anders aus. Dafür ist Ihre Inszenierung zu seicht, der Rhythmus zu banal. Da hilft auch das Ausrufezeichen im Titel nicht. 


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir, wer im Wettbewerb gut abschneiden wird. Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. „Gloria!“ sehen wir bei gerade einmal 20 Prozent. Andere Filme haben höhere Chancen: zum Beispiel der iranische Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), das starke deutsch-französische Generationenporträt „Langue Étrangère“ von Claire Burger, die harte historische Tragödie „Des Teufels Bad (The Devil’s Bath)“ mit Anja Plaschg oder „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


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Wir berichten vom Berlinale-Wettbewerb 2024: Alle Filme im Überblick. Rasant, aber auch gut? „La Cocina“ in der Filmkritik. Hohes Niveau – bis zur Hälfte jedenfalls: Unsere Rezension zu „Sterben“ mit Lars Eidinger und Corinna Harfouch lest ihr hier. Das Monumentale liegt dem Dokumentaristen Victor Kossakovsky – Rezension zu seinem Film „Architecton“. Auch jenseits vom Wettbewerb 2024 sind die Filmfestspiele spannend, unter anderem wegen grandioser Filme wie dem Coming-of-Age-Drama „Ellbogen“. Und manches liegt uns besonders am Herzen: Hier sind 15 Filmtipps aus den anderen Sektionen der Berlinale 2024. Das Wichtigste zum Berlinale-Programm auf einen Blick. Und damit ihr nicht leer ausgeht: Über alles Wichtige zum Berlinale-Ticketkauf – wo, wann, wie teuer – halten wir euch auf dem Laufenden. Hungrig geworden? Wir empfehlen Restaurants rund um die Berlinale-Spielorte in der City West. Und auch hier haben wir Tipps: Restaurants rund um den Potsdamer Platz. Alle Texte zum internationalen Filmfestival in der Hauptstadt findet ihr auf unserer Themenseite zur Berlinale 2024

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