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Neu im Kino

Filmstarts der Woche: „Felix Krull“, „French Exit“ und viele tolle Dokus

In dieser Startwoche muss man genauer hinschauen, denn die besten Filme haben alle einen kleinen bis sehr kleinen Start: Bernhard Sallmanns Film „Über Deutschland“ über die Beziehung der Schriftstellerin Marina Zwetajewa zu Deutschland zum Beispiel, oder „Victoria“, in dem drei belgische Regisseurinnen uns in die kalifornische Wüste führen. Groß läuft natürlich der neue Film von Detlev Buck an, eine Adaption von Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ mit Jannis Niewöhner. Der tipBerlin gibt wie gewohnt den Überblick über die Kino-Neuheiten und stellt die Filmstarts vom 2. September vor.


Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Neu im Kino: "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Foto: Thomas Kost/Bavaria Filmproduktion GmbH
Neu im Kino: „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Foto: Thomas Kost/Bavaria Filmproduktion GmbH

LITERATURVERFILMUNG Bei der Verfilmung von Weltliteratur gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man versucht, eine filmische Entsprechung zu Thema und Sprache zu finden. Oder man benutzt einen Plot einfach als eine Art Steinbruch für die Verwirklichung eigener Ideen. Ein Visconti ist Detlev Buck nicht, da kam Ersteres wohl nicht wirklich in Frage. Die zweite Option klappt allerdings auch nur bedingt. Buck und sein Autor Daniel Kehlmann interpretieren die Geschichte des verarmten Fabrikantensohnes Felix Krull, der in einem Pariser Hotel um 1900 nicht nur als Kellner arbeitet, sondern Karriere als Mann für gewisse Stunden macht, vor allem als eine Geschichte der Prostitution: Körpersäfte gegen Geldwert für jene, die es sich leisten können.

Doch als sozialpolitische Kritik im Sinne von Godard – Prostitution als Metapher für den Kapitalismus in seiner Endphase – funktioniert der Film dann doch nicht. Dafür ist er viel zu sehr eine schwelgerische Kostüm- und Dekorstapete, die dramaturgisch zwei Stunden auf der Stelle tritt und ironische Arroganz mit Weltläufigkeit verwechselt. Lars Penning

D 2021; 114 Min.; R: Detlev Buck; D: Jannis Niewöhner, Liv Lies Fries, David Kross; Kinostart: 2.9.


French Exit

„French Exit“ von Azazel Jacobs. Bild: Sony

DRAMA „Mein Plan war es zu sterben, bevor das Geld ausgeht“ ist der lakonische Kommentar von Frances Price. Gerade hat sie erfahren, dass das Erbe ihres verstorbenen Gatten restlos aufgebraucht ist, fatal für die Dame der New Yorker Gesellschaft. Insofern kommt der Vorschlag ihrer besten Freundin gerade recht: ein Appartement in Paris. Ein french exit (so der amerikanische Ausdruck für einen unerwarteten und schnellen Abgang) also im doppelten Sinne. Vielleicht schon lange überfällig, hängt Frances doch die Geschichte an, dass sie, als sie die Leiche ihres Mannes fand, erst einmal ins Ski-Wochenende fuhr, bevor sie die Polizei verständigte.

Diese Frances ist schon ein tough cookie – dem Zuschauer macht sie die Identifikation nicht leicht, so sarkastisch und gefühllos wie sie auftritt. Dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt, allerdings beeindruckt, zumal wenn sie in einem Pariser Restaurant einem arroganten französischen Kellner auflaufen lässt. Im Schlepptau: ihr erwachsener, aber nicht gerade selbständiger Sohn Malcolm, der damit vor seiner Verlobten flüchtet. Dritter im Bunde ist ihr Kater, in dem Frances die Reinkarnation ihres verstorbenen Gatten sieht, spricht er doch mit dessen Stimme zu ihr. Sein Verschwinden dazu führt, dass immer mehr hilfsbereite Personen das Pariser Appartement bevölkern.

Paris als die Stadt, in der amerikanische expatriates sich neu erfinden, ist hier ein fremder Ort, an dem vieles möglich ist. Regisseur Azazel Jacobs erzählt in seinem sechsten Spielfilm erneut von entfremdeten Menschen, die den schweren Pfad der Selbsterkenntnis beschreiten und sich am Ende zumindest ein Stück weiterentwickelt haben. Verhaltene Komik mit satirischen Akzenten, bei der die Figuren stets im Mittelpunkt stehen, angenehm altmodisch, ein Independent im besten Sinne.  Frank Arnold

USA 2020; 110 Min.; R: Azazel Jacobs; D: Michelle Pfeiffer, Lucas Hedges, Imogen Poots; Kinostart: 2.9.


Die Welt jenseits der Stille

„Die Welt jenseits der Stille“ von Manuel Fenn. Bild: 24 Bilder

DOKUMENTARFILM Die Covid-Krise hat dokumentarische Bildtypen geschaffen, die man nur aus dem Katastrophenkino kannte: leere Straßen und Supermarktregale, maskierte Menschen, Straßensperren und Warnhinweise, die die Ausgangssperren ankündigten. Diese Bildtypen spielen eine Rolle, nicht aber die Hauptrolle in der Dokumentation „Die Welt jenseits der Stille“ von Manuel Fenn, der von zwölf ganz persönlichen Alltagserfahrungen aus der Zeit während und nach dem ersten Lockdown 2020 erzählt.

Die verschiedenen Episoden aus Ländern wie Kenia, dem Iran, Russland und Malaysia bis Brasilien wechseln vom Vertrauten – der Ehekrise, der Sorge um die Schulbildung, das Zoomen mit den Liebsten – hin zu ethnographischen Beobachtungen, etwa wenn der Kuikuro Stamm im Amazonas beim Errichten eines Quarantäne-Hauses begleitet wird. Erzählt wird mal über die Protagonist:innen, oft aber auch aus deren eigener Perspektive. Aufgrund der Reisebeschränkungen wurden die Episoden von internationalen Filmteams vor Ort gedreht, weshalb die Bildsprachen und Perspektiven variieren. Den Kitt bildet eine den Zeitverlauf nachzeichnende Montage und ein symphonischer, bisweilen etwas schwülstiger Soundtrack.

Die globale Perspektive ist erfrischend, weil sie mit nationaler Kleinkrämerei bricht, doch gleichzeitig steht die Globalität der Krise etwas plakativ als Metapher für das, was uns Menschen verbindet. Zu sehen sind die „Guten“, die die Pandemie nicht infrage stellen und sich sorgen wegen Arbeitslosigkeit, fehlender Selbstbestimmtheit oder bezahlbarem Wohnraum. Andere Positionen werden weitgehend ausgespart. In dieser universell-vereinenden Geste liegt schließlich auch die klare politische Botschaft von „Die Welt jenseits der Stille“, der, anstatt in gesellschaftliche Abgründe zu blicken, ein optimistisches „Wir schaffen das!“ Gleichgesinnter verkündet. Valerie Dirk

D 2021; 119 Min.; R: Manuel Fenn; Kinostart: 2.9.


A Symphony of Noise

„A Symphony of Noise“ von Enrique Sánchez Lansch. Bild: Rise and Shine Cinema

DOKUMENTARFILM Matthew Herbert beschreibt sich selbst als Unruhestifter. Er komponiert tanzbare Musik mit Alltagsgeräuschen und definiert elektronische Tanzmusik zu seinen ganz eigenen Bedingungen, verpackt in Kontexte zu gesellschaftlichen Themen, die ihn beschäftigen. Sein künstlerisches Credo ist, dass die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen bedeutet, sie aus einer anderen Perspektive zu hören. Andreas Döhler

D 20201; 95 Min.; R: Enrique Sánchez Lansch; Kinostart: 2.9.


Land der Sonderlinge: „Über Deutschland“ von Bernhard Sallmann

„Über Deutschland“ von Bernhard Sallmann. Bild: Ostwärts Film

DOKUMENTARFILM Im Jahr 1910 ist die russische Dichterin Marina Zwetajewa in Deutschland. Nach der Revolution in ihrem Land 1917 geht sie ins Exil, und kehrt lange nicht zurück. Von den vielen Seelen, die sie in sich verspürt, ist ihre „Hauptseele“ deutsch, und als ihren „Hauptstrom“ sieht sie den Rhein. Den Schwarzwald hat sie „bis zum Wahnsinn geliebt“. Bernhard Sallmann, ein österreichischer Dokumentarfilmer, der von Berlin aus schon lange an einem ganz eigenen Kino aus dem Geist der Künste (Bild, Literatur, Musik, Vortrag) arbeitet, widmet sich mit seinem neuen Film „Über Deutschland“ dieser Periode im Leben und im Schreiben von Zwetajewa.

Im Mittelpunkt steht dabei wieder, wie schon in seinem Fontane-Projekt zu den Wanderungen durch die Mark Brandenburg, die Schauspielerin Judica Albrecht, die Texte von Zwetajewa spricht, und die Dichterin auch verkörpert, ohne dabei auf so etwas wie einen Biopic-Effekt zu setzen. Sallmann zeigt sie einfach in sorgfältig komponierten Bildern, die er alle in der Landschaft am Ostufer der Elbe in Dresden gefunden hat. Dort hatte Zwetajewa eine Weile Station gemacht, dort lebte sie, umgeben von Statuen, von romantischer Malerei (Sallmann zeigt immer wieder Bilder aus dem Dresdener Leonhardi-Museum), umgeben aber vor allem von einem geistigen Deutschland, das sich in den Textausschnitten zeigt, die Albrecht vorträgt.

Sie sieht das Land von Hölderlin und Novalis als ein fortgesetztes Griechenland, die Deutschen haben für sie „philosophische Systeme, die die Welt sprengen“. Deutschland ist für sie „das Land der Sonderlinge“, und sie macht sich dann Gedanken über den Zusammenklang und die Bedeutungsfacetten der Wörter „wunderlich“ und „sonderlich“. Viele Überlegungen kreisen um den Krieg, sie macht sich Gedanken, wie das wäre, wenn Russland Alexander Blok verlieren würde, oder Deutschland Rilke. „Bestialität beginnt mit der Zahl 2.“

Sallmann hat eine kluge Auswahl aus Zwetajewas Texten aus dieser Zeit getroffen, und er ergänzt das Gedankenmaterial geschickt mit dem, was die anderen Künste aufzubieten haben: Landschaftsaufnahmen (großartige Villen über der Elbe), Musik von Schumann oder Bach, Gemälde. Das Ergebnis ist ein moderner Kulturfilm par excellence: „Über Deutschland“ zeigt, wie man mit den Mitteln des Kinos die Geschichte des Denkens und des Dichtens lebendig halten kann – für ein Publikum, das sich daraus einlässt, wird alles „Sonderliche“ an diesem Projekt bald zu einer großen Bereicherung. Bert Rebhandl

D 2020; 81 Min.; R: Bernhard Sallmann; Kinostart: 2.9.


Victoria

„Victoria“ von Sofie Benoot, Liesbeth de Ceulaer und Isabelle Tollenaere. Bild: Arsenal Distribution

DOKUMENTARFILM In der Wüste hinter Los Angeles sind die Spuren einer Stadt zu finden, die niemals groß wurde: California City, eine Investorenidee, von der heute nur noch ein Straßennetz zeugt, das unter Sand und Strauchwerk verschwindet. Lashay Warren, ein Afroamerikaner aus LA, ist mit seiner Familie hierhergezogen, um in der nahezu menschenleeren Gegend einen neuen Anfang zu finden. Er ist beruflich mit der Bewahrung der Reste von Cal City befasst, seine Kinder gehen zur Schule und lernen dort von Pionieren im 19. Jahrhundert. Der Mythos von der amerikanischen Landnahme steckte auch noch hinter Cal City und sogar hinter dem „Ausstieg“ der Warrens. Alle diese Aspekte verküpfen die belgischen Dokumentarfilmerinnen zu einem spannenden, sinnlich konkreten und dabei doch beziehungsreichen Werk, bei dem man förmlich zu spüren meint, wie die eigenen Schritte auf dem Sandboden klingen würden, und wie der Wind an einem zerrt. Bert Rebhandl

Belgien 2020; 71 Minuten; R: Sophie Benoot, Liesbeth de Ceulaer, Isabelle Tollenaere; Kinostart: 2.9.

Am 3.9. sind die Regisseurinnen zu Gast im fsk Kino


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