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„Killers of the Flower Moon“: Martin Scorseses Opus magnum

„Killers of the Flower Moon“ sollte eigentlich eine Reportage über die großangelegte Mordserie am Osage-Volk Anfang des 20. Jahrhunderts werden. Martin Scorsese hat dann aber doch lieber einen dreieinhalbstündigen Spielfilm daraus gemacht. tipBerlin-Kritikerin Pamela Jahn findet, Robert DeNiro und Leonardo DiCaprio spielen darin nicht schlecht, für Oscar-verdächtig hält sie aber Hauptdarstellerin Lily Gladstone.

Lily Gladstone: Oscar-verdächtig, und Leonardo DiCaprio: Oscar-Preisträger, spielen zusammen in „Killers of the Flower Moon“. Foto: Apple TV+

„Killers of the Flower Moon“ erscheint 50 Jahre nach Martin Scorseses Regie-Durchbruch

Martin Scorsese macht keine halben Sachen. Jedes Bild ein Volltreffer, jeder Film ein Beweis seiner Kunst. Das weiß man, seit ihm 1973 mit „Mean Streets“, seiner dritten Regiearbeit, der Durchbruch gelang. Ein halbes Jahrhundert später legt er mit „Killers of the Flower Moon“ sein neues Opus magnum vor – es ist ein anderer Film, als ursprünglich geplant.

David Granns gleichnamige Sachbuch, auf dem das Drehbuch beruht, ist eine kriminalistische Untersuchung und beschreibt den ersten großen Fall für das FBI. Der Journalist recherchiert darin in fesselnden Details das Geheimnis einer Mordserie am Volk der Osage zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach, die als Osage Indian Murders in die Geschichte einging. Nachdem die Indigenen aus ihrer ursprünglichen Heimat in Kansas ins amerikanische Hinterland vertrieben worden waren, hatten sie Glück im Unglück: Das Öl unter der verdorrten Landschaft ihres neuen Reservats machte sie über Nacht zum pro Kopf reichsten Siedlungsgebiet der Vereinigten Staaten von Amerika. Doch es dauerte nicht lange, bis die Habsucht und der Argwohn der Weißen den neu gewonnenen Wohlstand des Stammes zerstörte. Und mit dem schwarzen Gold floss bald auch Blut.

Zwei (böse?) weiße alte Männer: Robert DeNiro als rücksichtsloser Viehzüchter und Jesse Plemons als texanischer Ranger in „Killers of the Flower Moon“. Foto: Apple TV+

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Zunächst konzentrierten sich Scorsese und sein Co-Autor Eric Roth ebenfalls auf die polizeilichen Ermittlungen. Auch ihre Adaption der Vorlage war als Reportage angedacht. Leonardo DiCaprio sollte die Rolle des sturen Texas Rangers Tom White übernehmen, der sich auf die Spuren des Verbrechens begibt. Aber dann kam alles anders. „Irgendwann, nachdem wir zwei Jahre an dem Stoff gearbeitet hatten, kam Leo zu mir und fragte: Wo liegt das Herz der Geschichte?“ Nach ein paar Gesprächen mit Vertretern der Osage war dem Regisseur alles klar: „Ich glaube, das Publikum ist uns voraus. Sie wissen, dass es nicht um einen Whodunit geht, sondern darum, wer es nicht getan hat.“

„Killers of the Flower Moon“: Der kulturelle Rassismus ist in Amerika tief verwurzelt

An dieser Stelle kam Lily Gladstone ins Spiel. Sie verkörpert in „Killers of the Flower Moon“ die indigene Mollie Burkhart, und die toxische Liebe zwischen ihr und dem Möchtegern-Cowboy Ernest Burkhart (DiCaprio) ist der Kern des Films. Als Ernest nach dem Ersten Weltkrieg in Fairfax eintrifft, ist sein Onkel, der Viehzüchter Willam Hale (Robert De Niro), längst der „King“ im Revier. Zu dem Zeitpunkt ist der kulturelle Rassismus in den Köpfen der Amerikaner bereits so tief verwurzelt, dass Hale, der sich für einen guten Freund der Osage hält, sie gleichzeitig rücksichtslos ausbeutet und noch Schlimmeres plant. Seine eigenen Söhne sind längst Teil des Komplotts aus Gewalt und Gier. Jetzt soll sein ahnungsloser Neffe den Sündenbock spielen – und er nimmt die Rolle dankbar an.

In „Killers of the Flower Moon“ spielt DiCaprio den ahnungslosen Neffen, DeNiro den ausbeuterischen Onkel. Foto: Apple TV+
In „Killers of the Flower Moon“ spielt DiCaprio den ahnungslosen Neffen, DeNiro den ausbeuterischen Onkel. Foto: Apple TV+

Kaum lernen Ernest und Mollie sich kennen, ist er verliebt. Frauen, so hatte er es gerade noch seinem Onkel gebeichtet, sind seine große Schwäche. Und das trifft sich gut. Denn der will ihn schnellstmöglich mit der vollblütigen Osage-Nachfahrin verheiraten, um sich hinterrücks ins Familienerbe einzuschleichen. Anders als andere indigene Stämme halten die Osage die sogenannten Kopfrechte an den Bodenschätzen gemeinschaftlich. Weil sie nicht verkauft werden dürfen, bleibt jedem Außenstehenden nur die Möglichkeit, über den Nachlass an das Vermögen zu gelangen. Und das weiß auch Hale. Auf jede Heirat zwischen Weiß und Rot folgt im Reservat ein Mord, den er initiiert.

Die Ambivalenz von DiCaprios Figur hält „Killers of the Flower Moon“ zusammen

„Koyote will Geld“, sagt Mollie lächelnd, als Ernest ihr den Hof zu machen versucht. Sie hat die Intrige ihres weißen Verehrers längst durchschaut. Doch Scorsese zeigt wirkungsvoll ihre prekäre Situation: Wie alle Osage hat sie schon früh gelernt, dass man die weißen Gönner auf Abstand halten muss. Einen Goldgräber erkennt sie schnell. Nur als Ernest seinen ganzen unschuldigen Charme spielen lässt, fasst sie schließlich doch Vertrauen. Dazu kommt, dass Mollie Diabetikerin ist. Das macht die Sache für Hale umso einfacher. Osage-Frauen, erklärt er seinem Neffen, würden nie ein besonders hohes Alter erreichen.

„Killers of the Flower Moon“: Martin Scorsese stellt die prekäre Situation der Osage-Frauen wirkungsvoll dar. Foto: Apple TV+

Robert De Niro gefällt sich offensichtlich in der Rolle des mächtigen Onkels. Doch es ist die Ambivalenz von DiCaprios Figur, die „Killers of the Flower Moon“ zusammenhält. Auch Ernest liebt Mollie, von Herzen sogar, aber er liebt auch ihr Geld, den Wohlstand und ein gutes Glas Whiskey. Seine durchtriebene Naivität erinnert an die zwielichtigen Helden aus dem Universum der Coen-Brüder, und die Wortgefechte zwischen DiCaprio und De Niro sind so finster, böse und amüsant zugleich, dass man darüber fast die stolze Laufzeit von dreieinhalb Stunden vergisst.

„Killers of the Flower Moon“-Star Lily Gladstone ist selbst indigener Herkunft

Die Entscheidung, Gladstones Figur mehr Raum zu geben, ist jedoch der größte Clou. Zuletzt war die bisher noch relativ unbekannte Schauspielerin, die selbst indigener Herkunft ist, in Kelly Reichardts „Certain Women“ (2016) an der Seite von Kristen Stewart, Laura Dern und Michelle Williams zu sehen. Nun stiehlt sie DiCapro und De Niro buchstäblich die Show. Es war ein tiefes Verständnis für ihre Figur, das ihr das nötige Selbstvertrauen für die Rolle gab: „Ich bin in einem Reservat in Montana aufgewachsen, und zu sehen, wie sich alberne Cowboy-Typen in selbstbewusste einheimische Frauen verlieben, ist mir nicht neu. Ich bin mit der Dynamik sehr gut vertraut.“

Scorsese nutzt die Gelegenheit, endlich eines der größten Vorurteile aus dem Weg zu räumen, das sein Schaffen umkreist. Von Sharon Stone in „Casino“ (2006) über Michelle Pfeiffer und Winona Ryder in „The Age of Innocence“ (1993) bis hin zu Lorraine Bracco in „GoodFellas“ (1990), immer wieder wurde ihm vorgeworfen, dass er sich in seinen Werken zu wenig auf die Frauenrollen konzentriert. In „Killers of the Flower Moon“ gelingt es Gladstone auf eindringliche Weise, Stärke und Empathie in die sonst von Amoral und Brutalität geprägte Erzählung zu bringen. Dafür wird sie in Hollywood bereits für einen Oscar gehandelt – sie hätte ihn unbedingt verdient.

  • Killers of the Flower Moon USA 2023; 206 Min.; R: Martin Scorsese; D: Lily Gladstone, Leonardo DiCaprio, Robert De Niro; Kinostart: 19.10.

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